Sie haben einiges gemeinsam, die ersten Stromer der deutschen Premium-Marken Audi und Mercedes. Beide treten im derzeit boomenden Segment der Sports Utility Vehicles (SUV) an, verfügen über je zwei Asynchron-Elektromotoren mit total 408 PS Leistung und Allradantrieb. Marc Surer bemerkt dazu lächelnd: «Einen SUV zu verstromern, ist aktuell wohl die beste Möglichkeit, ein Elektroauto an den Kunden zu bringen.»
Mögen EQC und e-tron auf den ersten Blick Gemeinsamkeiten haben, macht unser Experte schnell entscheidende Unterschiede aus. «Beim Audi e-tron arbeitet der hintere Motor permanent, und der vordere schaltet sich bei Bedarf zu. Beim Mercedes EQC ists dagegen umgekehrt.» Im Gegensatz zum Audi, wo sich unter der vorderen Haube ein Abteil versteckt, in dem sich Ladekabel für Wallbox und Steckdose verstauen lassen, ist beim Mercedes EQC tatsächlich ein Motor zu finden. Und dieser übernimmt bei geringer Last den Antrieb alleine, während sich der hintere erst bei vehementerem Tempowunsch zuschaltet. Beim e-tron dagegen arbeitet hauptsächlich der hinten verbaute E-Motor, derweil sich der vordere nur bei höherem Leistungsbedarf zuschaltet. Der Audi bunkert seinen Strom in einem 700 Kilo (!) schweren, in zwei Ebenen im Fahrzeug-Unterboden plazierten 95-kWh-Akku. Bei dieser Akku-Grösse erstaunt es Surer wenig, dass der e-tron über 2,5 Tonnen wiegt. Mit 85 kWh ist die Batterie des Mercedes EQC etwas schwächer. Freilich bringt auch der 14 Zentimeter kürzere Mercedes-Stromer fast 2,5 Tonnen auf die Waage.
Gespannt setzt sich Marc Surer ans Steuer des Audi e-tron. «Optisch gefällt mir der Audi besser als der Mercedes.» Der e-tron hat sportliche Felgen, gelb lackierte Bremssättel und wirkt trotz seiner Grösse kompakt und elegant. «Einzig den wie abgeklebt wirkenden Kühlergrill finde ich nicht besonders gelungen. Das hätte man bestimmt raffinierter lösen können.» Dann drückt er das Gaspedal und saust los. Nach seiner ersten Runde über die Pisten des TCS-Trainingsgeländes bilanziert er: «Die Aussenkameras statt Rückspiegel beim e-tron sind gewöhnungsbedürftig – für mich eine unnötige Spielerei. Zumal ich sie nicht besonders schön finde.» Die Beschleunigung ist wie erwartet sehr linear. Surer: «Es gibt kaum Lastwechsel-Reaktionen. Der Audi untersteuert zudem im Grenzbereich konstant und fühlt sich dadurch stabil und sicher an.» Positiv beurteilt er das Platzangebot. «Vor allem hinten sind die Platzverhältnisse formidabel. Und das Luftfahrwerk trägt zum komfortablen Eindruck bei.»
Nun setzt sich der frühere Formel-1-Pilot ans Steuer des Mercedes EQC. «Schon aussen ist die Verwandtschaft mit dem normalen GLC zu sehen. Und auch im Cockpit findet man sich mit den typischen Mercedes-Armaturen sofort zurecht», stellt er noch vor dem Losfahren fest. Und nach seiner Test-runde im Elektro-Mercedes steigt Surer mit einem breiten Grinsen wieder aus. «Wow, ich bin überrascht. Der EQC hängt extrem sportlich am ‹Gas›, und im sportlichsten Fahrprogramm lässt er sich mit Lastwechseln gar in ein leichtes Übersteuern bringen.» Dadurch wirke der Mercedes-Stromer deutlich agiler und leichtfüssiger als der Audi. Vielleicht, weil er etwas kleiner und leichter ist. Vielleicht aber auch, weil die beiden Elektromotoren im Mercedes doch fast 100 Nm mehr Drehmoment als beim Audi liefern. Surer jedenfalls ist sprachlos: «Das hätte ich so nicht erwartet. Für mich war bislang immer Audi die Sportmarke.»
«Mir gefällt der Audi e-tron besser als der Mercedes»
Marc Surer
Nach Fahrten auf den Asphaltpisten sollen die beiden SUV-Stromer ihre Fähigkeiten nun noch auf dem neuen Offroadgelände des TCS-Testcenters in Hinwil ZH unter Beweis stellen. Am Steilhang mit 100 Prozent Gefälle und einer Rampe aus Rundholz-Stämmen stossen die zwei Elektro-SUV schnell an ihre Grenzen. Immerhin schafft der Audi dank der bis auf 17,2 Zentimeter zu erhöhenden Bodenfreiheit die Holzrampe. Der Mercedes steht mit «nur» 9,7 Zentimeter Bodenfreiheit dagegen schnell an. Aber der Versuch, beide Fahrzeuge an der steilen Kies-Rampe mit der elektronischen Parkbremse zu sichern, scheitert. «Dazu sind sie wohl schlicht zu schwer», vermutet Surer. Auf seinem Testblatt hält er fest: «Auf Schotterwegen und im Gelände dank höhenverstellbarem Luftfahrwerk Vorteile für den Audi.»
Marc Surers Bilanz nach einem halben Tag stromern: «Der grössere und teurere Audi e-tron ist der komfortablere und geräumigere der zwei. Der Mercedes EQC dagegen der agilere und dynamischere. Punkto Leistung mit je 408 PS und je 417 Kilometern Reichweite schenken sie sich nichts. An der Ladestation ist der Audi der flinkere, da er mit bis zu 150 kW (Mercedes 110 kW) Strom tanken kann.»