Vor der Boulangerie Fayet im kleinen Waadtländer Örtchen Prangins ist an diesem Morgen in zweiter Reihe ein Traktor geparkt. Klein, knallrot, knuffig. Er will nicht recht zur automobilen High Society hier am Lac Léman passen. Schwere Oberklasselimousinen und rassige Sportwagen drücken sich auf der Strasse – das mondäne Genf und Lausanne, die Hauptstadt des olympischen Sports, sind nicht weit entfernt. Doch irgendwie passt das Ackergerät hierher. Es ist ein Porsche-Diesel Junior, Baujahr 1958. Und gleich wird jemand aufsteigen, der den Glamour mit sich bringt.
In handgenähten Schuhen erklimmt Karl-Friedrich Scheufele, 61, den Einzylinder, den Papiersack mit den Brötchen in der Hand. Sichtbar kein Landwirt, sondern der Co-Präsident des Genfer Uhren- und Schmuckhauses Chopard. Er befindet sich auf Sonntagsfahrt. Routiniert führt er das Startprozedere des Porsche-Traktors durch: Handgashebel gegen den Uhrzeigersinn Richtung Vollgas schwingen, den untypisch für einen Porsche rechts des Lenkrads angebrachten Zündschlüssel niederdrücken, zum Vorglühen den Zugknopf links halb gezogen einige Sekunden halten, dann ganz herausziehen. Jetzt dreht der Anlasser, nach kurzer Zeit läuft der Selbstzünder ohne dessen Unterstützung. Das Kupplungspedal muss kraftvoll niedergetreten werden. Es ist, als wolle es die Schuhnaht auf ihre Güte prüfen. Handbremse rechts lösen, erster Gang. Los.
Karl-Friedrich Scheufele schätzt das Archaische an dem Einzylinder. Er geniesst jeden Moment der Fahrt. Jede Zündung ist für ihn ein Fest, jede Kurve gut für das Bauchgefühl. Ein schmales Landsträsschen, gesäumt von Schatten spendenden Birken und weidenden Kühen, führt ihn zurück nach Hause, zum Familienanwesen am Ufer des Genfersees, zu einem restaurierten Landsitz mit einer Historie zurück bis 1695. Kopfsteingepflastert der Innenhof. Geranien, Oleanderbüsche, Rosenranken und Lavendel – hier wohnen Karl-Friedrich und Christine Scheufele mit ihren drei Kindern und ebenso vielen Leonberger Hunden.
Die Scheufeles kommen aus der deutschen Goldstadt Pforzheim. Karl Scheufele III., Karl-Friedrichs Vater, übernahm 1963 das Genfer Uhrenlabel Chopard, gegründet 1860 von Louis-Ulysse Chopard, einem Bauernsohn aus Sonvilier im Berner Jura. Der Ort hat eine lange und reiche Uhrmachertradition. Chopard bediente schon den Zarenhof von Nikolaus II. mit seinen kleinen Kunstwerken, die Scheufeles beliefern heute die ganze Welt.
Chopard ist eines der weltweit letzten familiengeführten Uhren- und Schmuckunternehmen, geleitet von den Geschwistern und Co-Präsidenten Caroline und Karl-Friedrich Scheufele. Während sie die Damenkollektionen verantwortet, erst Schmuck entwickelte, dann die High-Jewellery-Kollektionen kreierte, ist er seit den 1980er-Jahren für die sportlichen Uhren der Herrenkollektionen und seit den 1990er-Jahren für die Chopard-Manufaktur zuständig.
Mehr als 2000 Menschen arbeiten in über 40 Handwerksberufen unter dem Dach von Chopard. Als viele Hersteller den Markt mit Quarzuhren fluteten, investierte die Familie in eine kleine Manufaktur für mechanische Werke im Juraort Fleurier für einen Platz in der Haute Horlogerie. Hier entstehen komplizierte Chronografen, Tourbillons oder Ewige Kalender – Meisterwerke, eingebettet in kunstvolle Roségold- oder Platingehäuse und verziert mit handguillochierten Zifferblättern aus massivem Gold oder Silber. Sie alle heissen L.U.C nach dem Firmengründer Louis-Ulysse Chopard, tragen als Gütezeichen das traditionelle Firmenlogo und das begehrte COSC-Zertifikat der Schweizer Chronometerprüfstelle Contrôle officiel suisse des chronomètres.
«Es gibt gerade in unserem Segment ein Aufleben des Handwerks», sagt Karl-Friedrich Scheufele. «Mechanische Uhrwerke üben ebenso wie klassische Automobile auch deshalb eine besondere Faszination aus, weil man sie begreifen kann, weil man sie im besten Fall sogar selbst reparieren kann.»
Scheufele ist Nostalgiker. Das signalisiert seine Garage, eine ehemalige Abtei gleich gegenüber dem Wohnhaus auf der anderen Seite der Strasse. Er fährt den Junior hinein wie in ein Museum. Ein weinroter Porsche 356 Speedster 1600, Baujahr 1954, steht da. Daneben, ebenfalls rot, doch mit mehr Gelbanteil im Lack, ein Porsche 356 B Carrera 2 von 1963. Ein silberner Porsche 911 T 2.4, Jahrgang 1973, schafft den Kontrast zum Rot. Der gelbe Porsche 911 Carrera RS 2.7 von 1974 sticht kraftvoll heraus und überstrahlt fast zwei jüngere Modelle: einen silbergrauen 996 Turbo, Baujahr 1997, und einen anthrazitfarbenen 911 R von 2016. In diesem exklusiven Porsche-Separee wird aus dem arrivierten Sechziger Scheufele wieder der begeisterte Junge Karl-Friedrich: «Von Kindheit an hegte ich eine Faszination für Autos, ganz besonders für Porsche.» Sein erstes Auto war allerdings ein VW Käfer Cabriolet in Postautogelb. Das fuhr er so lange, bis er sich einen Porsche 911 leisten konnte. Dazwischen gab es nichts.
Diese private Leidenschaft übertrug Scheufele auf das Geschäftliche. Chopard ist seit 2014 Partner sowie offizieller Zeitnehmer von Porsche Motorsport und bereits seit 1988 Sponsor der Mille Miglia. Seitdem lanciert Chopard jedes Jahr das passende Uhrenmodell zum Concours durch den Norden Italiens. Scheufele ist die 1000 klassischen Meilen von Brescia nach Rom und zurück bereits 28 Mal gefahren, meist gemeinsam mit einem guten Freund, der Rennfahrerlegende Jacky Ickx.
Scheufele trifft Entscheidungen, wenn die Zeit reif ist. Im Unternehmen, in der Familie – und in der Garage. «Wenn ich etwas Bestimmtes suche, kann ich warten.» Was er mehr als andere will: Authentizität. Die Autos, die er in seine Sammlung aufnimmt, dürfen nicht perfekt restauriert sein. «Mich begeistert der Prozess, das Erarbeiten und sorgfältige Restaurieren eines Objektes, bis es seinen ursprünglichen Zustand wiedererlangt hat», sagt er. Ein Auto abgeben, nur weil es maroder war, als es den Anschein hatte? «Niemals. Denn wenn ich mich für etwas entscheide, dann bringe ich es auch zu Ende.»
Bei seinem Speedster, erworben vor gut drei Jahrzehnten, war das so. Eine Lackausbesserung förderte eine dicke Schicht Spachtelmasse auf dem gesamten Heck zutage; die Karosserie darunter existierte praktisch nicht mehr. Scheufele schluckte einmal kurz und entschied dann: Komplettrestaurierung.
«Sich selbst treu zu sein, ohne Sturheit. Ein Ziel zu verfolgen, ohne die Herkunft zu vergessen.» Für Scheufele sind das die Triebkräfte seines beruflichen Erfolgs, die Leitsätze seiner Passion: «Der Wert eines Fahrzeugs bemisst sich nicht am Preis», sagt er. Sanft streicht er dabei über seinen Speedster. Er lächelt: «Ich habe noch nie eines meiner Fahrzeuge verkauft.»