Zwischen Grossbaustelle und Abrisshäusern, irgendwo im Nirgendwo hinter dem Berliner Hauptbahnhof, sagt Google Maps: «Sie haben Ihr Ziel erreicht!» Heidestrasse 46–52, ein staubiges Labyrinth aus verwinkelten Innenhöfen und unbeschrifteten Türen. Hier also soll eines der international bekanntesten Design-Büros beheimatet sein. Wir umkreisen den Gebäudekomplex. Einmal. Zweimal.
«Heidestrassen gibts mehrere in Berlin, vermutlich biste falsch hier», meint der junge Verkäufer im nahen Elektrogrossmarkt salopp. Dann schaut sein Kollege auf: «Werner Aisslinger? Ich glaub, das ist der, den hier alle immer suchen. Guck mal in dem Haus mit der Billiard-Bar …»
Tatsächlich: Neben dem versprayten Eingang entdecken wir eine zerkratzte Plexiglasscheibe mit der Aufschrift «Studio Aisslinger». Und im Stockwerk darüber begrüsst uns Aisslingers Pressesprecher: «Ich hab eigentlich auf euren Anruf gewartet. Normalerweise findet uns im ersten Anlauf niemand», meint er grinsend. Dann führt er uns hinein in die loftartige Fabriketage, vorbei an einem Mini-Indoor-Garten mit violett bestrahlten Salatköpfen («Hier kann man sich sein Mittagessen pflücken …»), an sonnenschirmgrossen Lampen aus ausrangierten Buchdeckeln, einer Hollywoodschaukel, allerlei Stuhl-Prototypen, Skulpturen, Skizzen und einem an ein Spielhaus erinnernden bunten Würfel, in dem eine junge Frau am Laptop «chillt». Ein Kreativ-Spielplatz für Erwachsene, denkt man. Und ist erstaunt, was sich da nach dem Gang durchs dunkeldüstere Treppenhaus für ein reizüberflutender Design-Kosmos auftut. «Werner mag Überraschungen», erklärt der Pressesprecher. Er holt Kaffee und Kekse. Und wir warten auf den grossen Meister.
Dass Werner Aisslinger ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler ist, merkt man auch heute. Eigentlich hat er kaum Zeit, das Meeting mit der Schweizer SV Group, mit der er eine neue Hotelmarke entwickelt, dauerte etwas länger – und daneben konzipiert er gerade den Erweiterungsbau eines bekannten St. Moritzer Hotels (Aisslinger: «Ich hab Schweizer Wochen»). Aber über seine Arbeit an der im Februar 2019 getauften «Mein Schiff 2» – er hat das «Tag & Nacht Bistro» (Inspiration: ein Gartenfest) und die «Schaubar» (Inspiration: Kuba) gestaltet – berichtet er gern und detailreich. Von der TUI-Cruises-Werft im finnischen Turku: «Wenn einen niemand am Flughafen abholen würde, würde man da nie hinfinden.» Von der durchorganisierten Riesen-Baustelle: «Tag und Nacht Flutlicht, 2400 Leute im Schichtbetrieb, Zulieferer aus aller Welt – ein ganz schöner Bienenstock!» Und von den für einen Designer herausfordernden Bedingungen und Sicherheitsauflagen, etwa den Lampenschirmen, die nicht schwingen dürfen: «Ist ja klar, sonst wirds den Passagieren erst recht schlecht bei Wellengang.» Er selbst sei mehr der Zweck-Schifffahrer («Mit der Autofähre von Irland nach Frankreich»). Aber es gefalle ihm, dass er in diesen Kreuzfahrt-Markt reingerutscht sei: «Aus der Sicht eines Designers gibt es viel zu tun. Was die Amerikaner da teilweise so treiben, ist grauslig, AIDA ist halt eine bunte Spasswelt. Aber was TUI Cruises vorhat – Eleganz, kombiniert mit Experiences –, hebt die Kreuzfahrt auf ein neues Niveau. Da fühl ich mich sehr wohl bei!»
Der «Storyteller» würde gern mehr verraten. Er war gerade bei seinem Auftraggeber in Hamburg: Eine weitere Zusammenarbeit mit TUI Cruises ist geplant, Aisslinger avanciert zum «Mein Schiff»-Hausdesigner, gleich mehrere seiner Mitarbeiter hecken Ideen für die Flotte aus. Doch noch muss er schweigen. Also stellen wir eine letzte, unverfängliche Frage: Wie wohnt der Meister eigentlich selbst? «Ach, das ist so ’n Sammelsurium aus meinen Möbel-Prototypen, die nie in Produktion gingen. Es ist nur gerecht, wenn man als Designer seine eigenen Werke ertragen muss.» Sagts. Und verschwindet im Wirrwarr seines Studios, irgendwo im Nirgendwo, hinter dem Berliner Hauptbahnhof.