GRUEN: Daniel Yule, wir haben Sie in Ihrer Heimat im Val Ferret fotografiert. Die Orte haben Sie selbst ausgesucht. Was bedeuten Ihnen diese Plätze?
Einer ist der Lieblingsplatz meines Vaters, man hat dort einen tollen Blick auf das Ende des Tals und das Dreiländereck. Inmitten dieser wilden Landschaft fühle ich mich sehr wohl und entspannt. Früher verbrachte ich jede freie Minute draussen.
Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Kindheit?
Fröhliche! Für mich war die Natur ein grosser Spielplatz. Wir bauten im Wald Hütten und stauten unten am Bach das Wasser. Im Winter stand ich ständig auf den Ski, die Eltern haben uns am Morgen beim Lift deponiert und abends um halb fünf wieder abgeholt.
Welche Bedeutung hat die Natur heute in Ihrem Leben?
Sie ist mein Arbeitsplatz. Wenn ich nicht im Kraftraum trainiere, bin ich draussen am Laufen oder Skifahren. In der Natur fühle ich mich frei, sie gibt mir Ruhe. Der Blick auf die Berge verändert auch meine Perspektiven im Leben. Zum Beispiel, wenn ein Rennen mal nicht so gut läuft. Wenn ich danach nach Hause komme, relativieren sich meine Gefühle. Ich weiss zwar, dass mir Ski fahren wichtig ist und ich alles daransetze, erfolgreich zu sein – aber fürs Leben ist es nicht entscheidend, ob ich schnell oder langsam fahre.
Wie beschreiben Sie jeweils den Leuten im Ausland La Fouly, das Dorf, wo Sie herkommen?
Als den schönsten Ort der Welt! (Lacht.) Aber es stimmt, das sage ich wirklich.
Gibt es nicht auch Momente, in denen Ihnen das Val Ferret zu einsam ist?
Man landet sicher nicht per Zufall im Val Ferret. Das Tal ist sehr klein und intim. Es geht überall steil hoch, die Berge erheben sich gleich vor deinem Gesicht. Aber ich bin von hier in nur einer halben Stunde in Martigny.
Man liest über Sie, dass Sie ein sehr wissbegieriges Kind waren und im Training vieles hinterfragt haben.
Hat man es als Sportler nicht schwerer, wenn man kritisch ist?
Nein, ich glaube nicht. Ich wollte einfach wissen, wieso man eine Übung machen muss. Nur wenn ich etwas verstehe, kann ich es auch umsetzen.
«In der Natur fühle ich mich frei. Der Blick auf die Berge verändert meine Perspektiven im Leben, gerade wenn ein Rennen mal nicht so gut läuft.»
Sie äussern öffentlich Ihre Meinung, zum Beispiel, wenn es um den Klimawandel geht. Normalerweise schweigen Athleten lieber, als politisch Stellung zu beziehen.
Zuerst: Ich finde nicht, dass der Klimawandel politisch ist. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass es ihn gibt. Man kann darüber diskutieren, ob er menschengemacht ist oder nicht, klar. Aber es ist ein Fakt. Ich stehe einfach für Themen ein, die mir wichtig sind. Jeder, der gern in der Natur ist und beim Spazieren in den Bergen Abfall sieht, stört sich daran. Zum Klimaschutz gehört für mich auch der Umweltschutz. In dreissig Jahren, wenn meine Kinder – falls ich mal welche haben werde – in La Fouly spazieren gehen, sollen sie immer noch so beeindruckt von der Natur sein können, wie ich es heute bin.
Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Ihr Engagement für den Klimaschutz auslöste?
Ja, schon. Das war, als FIS-Präsident Gian Franco Kasper sagte, den Klimawandel gebe es nicht, und kaum einer im Skizirkus auf diese Äusserung reagierte. Da fand ich, es kann doch nicht sein, dass niemand dies hinterfragt. Darum sagte ich öffentlich, dass ich mit ihm nicht einverstanden bin. Wir sind Skirennfahrer und spüren die Auswirkungen des Klimawandels sehr stark. Es wird immer schwieriger, gute Trainingsbedingungen zu finden.
Diese Äusserung machte Gian Franco Kasper in einem Interview im Jahr 2019. Hat sich denn inzwischen im Weltskiverband etwas verändert?
Ein bisschen. Die FIS hat im letzten Jahr einen Sustainability-Report herausgegeben. Man schaut, dass sich etwas bewegt.
Geht es bei der Wahrnehmung des Klimawandels nicht auch um eine Generationenfrage? Kasper ist 77 Jahre alt, Sie werden in ein paar Tagen 28.
Jein. Mein Vater ist auch älter als ich – und er erkennt das Problem. Meine Eltern haben darum auch neuerdings eine Solaranlage auf ihrem Haus.
Als Skirennfahrer müssen Sie viel fliegen und starten an Rennen auf künstlich beschneiten Pisten. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?
Das ist ein Dilemma, ja. In dieser Hinsicht bin ich kein Vorbild. Ich bin in erster Linie Spitzensportler und setze alles daran, schneller zu fahren. Wenn es eine Möglichkeit gibt, meine Leistungen auf umweltbewusstere Weise zu erbringen, dann tue ich das aber sehr gern.
Kritisiert wird oft der immense Aufwand, der betrieben werden muss, damit Skirennen überhaupt stattfinden können. Da wird etwa Schnee mit
dem Helikopter angeflogen. Ist das die Lösung?
Zu diesem Thema kann ich als Athlet schwer etwas sagen. Ich sehe aber Verbesserungsmöglichkeiten in der Planung des Rennkalenders. Die Riesenslalomfahrer fliegen zum Beispiel bloss für ein Rennen nach Amerika. Meiner Meinung würde es viel mehr Sinn ergeben, dass man gleich zwei oder drei Riesenslaloms fahren würde, wenn man schon so weit fliegt. Aber ohne Fliegen geht es nicht: Weltcup bedeutet nun mal, dass die Rennen nicht nur in der Schweiz und in Österreich stattfinden können.
Sie unterstützen die Organisation Protect Our Winters und haben ihr schon Teile Ihres Preisgelds gespendet. Wofür wurde dieses Geld verwendet?
Dieses Geld war mit keinem spezifischen Projekt verbunden. Grundsätzlich habe ich mein Preisgeld gespendet, damit sie ihre Projekte durchführen können und öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.
Wie aktiv sind Sie bei der Organisation dabei?
Ich bin nicht in alltägliche Dinge eingebunden, mache aber als Ambassador Werbung. Ich weise zum Beispiel mit Social-Media-Beiträgen auf Crowdfundings hin. Im letzten Jahr machten wir zusammen eine Aktion, in der ich all meine Flugreisen für das Skifahren beim Start-up Climeworks kompensierte.
Vor einem Jahr trafen Sie Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga zum Gespräch über den Klimawandel. Was soll die Politik gegen die Auswirkungen des Klimawandels tun?
Darf ich da meinen Joker benutzen? (Lacht.)
«Fliegt der Weltcup-Tross nach Amerika, wäre es sinnvoll, gleich zwei oder drei Riesenslaloms zu fahren – und nicht bloss ein Rennen.»
Einverstanden. Aber vielleicht können Sie sagen, was Sie in Ihrem Alltag konkret für mehr Umweltschutz tun?
Ich kaufe mir keine unnötigen Sachen und will nichts verschwenden – dieser Lebensstil liegt mir sehr und macht auch Spass. Privat habe ich mir wohl seit zwei, drei Jahren nichts Neues mehr zum Anziehen gekauft. Ich bin nicht so der Modetyp. Ausserdem esse ich viel weniger Fleisch als früher und wenn, dann kaufe ich es bei lokalen Produzenten.
Könnten Sie sich vorstellen, vegetarisch oder sogar vegan zu leben?
Ja, ich glaube schon. Vorerst zählt für mich die richtige Richtung. Es ist sicher sinnvoll, seinen Fleischkonsum langsam zu reduzieren. Von einem Tag auf den anderen Veganer zu werden, könnte schwierig sein. Wenn ich zu Hause bin, gibt es vielleicht drei- bis viermal in der Woche Fleisch. Ich esse gern viel Gemüse, mein Vater hat einen grossen Garten.
Kennen Sie sich mit Gärtnern auch aus?
Nein, ich bin der Experte im Vorbeigehen und Mitnehmen, was gerade reif ist. Das ist mein Talent (lacht).
«Ich kaufe mir keine unnötigen Sachen und verschwende nichts. Dieser Lebensstil macht mir Spass.»
Sie sind viel unterwegs. Wie können Sie sich dann umweltbewusst verhalten?
Das ist schon sehr schwierig. Im Hotel haben wir wenig Einfluss auf das Essen. Einen gewissen Ausstoss von CO2 kann man nicht verhindern, aber dafür gibt es die Möglichkeit der Kompensation. Das wäre eine Lösung im Skisport.
Wie sind Sie mobil?
Ich habe in dieser Saison einen Plug-in-Hybriden von Audi erhalten. Wir Athleten werden viel mehr gepuscht, umweltfreundliche Autos zu fahren. Das finde ich sehr positiv.
Wie machen Sie es eigentlich privat mit dem Fliegen?
Ich versuche so oft wie möglich, darauf zu verzichten. Es ist ein Abschätzen und auch eine Sache des gesunden Menschenverstands: Ein Shopping-Weekend in Barcelona buche ich sicher nicht, aber wenn ich in Schottland meine Grossmutter besuche, nehme ich den Flieger. Wenn es um meine Familie geht,möchte ich nicht verzichten.
Aufräumaktionen in den Bergen, Hüttenwochenenden mit regionalem, biologischem und vegetarischem Essen, Reparaturservice für die Ausrüstung – aber auch Briefe an den Bundesrat mit Forderungen betreffend Flugverkehr: Das sind alles Aktivitäten der Non-Profit-Organisation Protect Our Winters Schweiz. Gegründet wurde POW 2007 vom amerikanischen Snowboarder Jeremy Jones, den Schweizer Ableger gibt es seit 2017. Inzwischen ist POW eine globale Bewegung mit dem Ziel, die Outdoor-Gemeinschaft für den Klimaschutz zu mobilisieren, damit es auch in Zukunft schneereiche Winter gibt. Neben Daniel Yule unterstützen Athletinnen wie Michelle Gisin oder die Snowboarderin Elena Könz die Organisation.