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Scout

Susanne Schmid verkauft nur faire Produkte

Die ehemalige Changemaker-Geschäftsführerin vertreibt mit ihrem Label Scout faire Produkte aus der ganzen Welt. Neben Abenteuerlust brauchts dafür viel Geduld.

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Susanne Schmid Scout

In einem nepalesischen Filzatelier: Mehrmals im Jahr besucht Susanne Schmid, 42, ihre Produzenten und entwickelt mit ihnen neue Artikel.

Skanda Gautam

Susanne Schmids Welt hat in einem unscheinbaren Kellerraum Platz. In einer Fensternische stehen Espressotassen aus Nepal, in Kisten befinden sich handgewobene Teppiche aus Bangladesch und Naturseifen aus Thailand. Neben dem Pult zu ihren Füssen liegt Seppi – Susannes 14-jähriger Dackel, der aus einem ungarischen Tierheim kommt. «Meine Schaltzentrale», nennt Schmid ihr Büro im Zürcher Seefeld. Seit 2017 entwickelt die gebürtige Baslerin unter dem Label Scout fair hergestellte Produkte und beliefert damit Geschäfte in der ganzen Schweiz. 
Eben ist eine Ladung Geschirrtücher aus Indien eingetroffen. Sechshundert Stück. Statt weich ist der Stoff dick und steif. Statt Weiss haben die Hersteller einen beigen Farbton verwendet. Wieso, darüber kann Schmid nur rätseln. Vereinbart war alles ganz anders. «Nachdem ich das Paket geöffnet hatte, machte ich erst mal Ommmm … Und fragte mich, ob ich wirklich die richtige Branche gewählt habe», sagt sie und lacht.
Zur Verdeutlichung nimmt Schmid den Prototyp hervor. Von all ihren Produkten hat sie ein solches Muster. Der Hersteller hat im Idealfall eben-falls eins. Allerdings schliesst auch dies Fehler nicht aus. «Im Fair-Trade-Bereich läuft vieles anders. Die Leute sind zum Beispiel nicht so gut organisiert, und ihre Stärken sind weder Genauigkeit noch Pünktlichkeit.» 
Susanne Schmid erzählt mit sanfter, angenehmer Stimme. Wütend kann man sie sich schlecht vorstellen. Ihren Lieferanten gegenüber agiert sie geduldig, aber streng. «Das ist manchmal hart für die Produzenten, aber längerfristig profitieren sie davon.» Mit ihren Ansprüchen garantiert sie, dass die Artikel Abnehmer finden. «Die Leute sollen nicht aus Mitleid kaufen, sondern weil ihnen ein Produkt gefällt und sie die Qualität überzeugt.» 
Viele der Handwerksprodukte für Scout findet Schmid in Asien. Zu Nepal verbindet sie eine langjährige Beziehung. 2005 reist sie zum ersten Mal nach Kathmandu, nachdem sie den Zuschlag für ein von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) finanziertes Praktikum erhalten hat. Bei einer Frauenrechtsorganisation soll sie helfen, den Absatz der selbst gewobenen Schals zu steigern. Susanne ist damals 28 Jahre alt und hat eben ihren Job als Textileinkäuferin bei einem grossen Detailhandelsunternehmen gekündigt. «Ich befand mich in einer Sinnkrise und sehnte mich nach einer Arbeit, bei der ich Gutes bewirken kann.» 
In Nepal ist sie goldrichtig. Ihre Leidenschaft fürs Kunsthandwerk kann sie bei der Women’s Foundation ausleben. «Ich fand viel Potenzial vor. Das Atelier brauchte aber Unterstützung im Design, bei den Materialien und in der Farbgestaltung.» Schmid kehrt nach dem Praktikum in ihr altes Leben zurück. Doch die Zusammenarbeit mit der Women’s Foundation führt sie ehrenamtlich weiter.

Diese bunte Wand steht beim Frauenhaus der Women’s Foundation Nepal  in Kathmandu, der Hauptstadt des Landes.

Hoffnungsvoll: Diese bunte Wand steht beim Frauenhaus der Women’s Foundation Nepal in Kathmandu, der Hauptstadt des Landes. 2005 machte Susanne Schmid ein Praktikum bei der Organisation und vertreibt seitdem deren handgewobene Schals.

Karin Heer
Renu, die Präsidentin  von The Women’s Foundation (r.), vor einem Klassenzimmer. Ihre Organisation gründete die Schule und schrieb vor, dass die Kinder im Unterricht keine Gewalt erleben dürfen. Ein Novum in Nepal.

Renu, die Präsidentin von The Women’s Foundation (r.), vor einem Klassenzimmer. Ihre Organisation gründete die Schule und schrieb vor, dass die Kinder im Unterricht keine Gewalt erleben dürfen. Ein Novum in Nepal.

Karin Heer

«Die Leute sollen nicht aus Mitleid kaufen, sondern weil ihnen ein Produkt gefällt und sie die Qualität überzeugt.»

Susanne Schmid verlässt sich auf ihr Gefühl, Trends verfolgt sie nicht

2009 erhält sie die Möglichkeit, in der Schweiz eine Ladenkette für nachhaltigen Lifestyle aufzubauen, Changemaker. Bis sie sich 2017 selbstständig macht, ist Susanne Schmid dort Geschäftsleiterin und auch für den Einkauf verantwortlich. Die Schals der Women’s Foundation werden zum wichtigsten Standbein.  
Bei der Frage, was ihren Stil ausmacht, überlegt Susanne lange. «Persönlich mag ich das Unkonventionelle. Ich habe ein gutes Farbempfinden und weiss ziemlich genau, was bei den Kunden ankommt.» Wenn sie neue Farbkombinationen entwirft, verlässt sie sich auf ihr Gefühl. «Trends verfolge ich nicht.»
Mehrmals jährlich reist Susanne Schmid zu ihren Produzenten, darunter mindestens zweimal nach Nepal. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt. Es ist politisch instabil, die Korruption hoch. In den letzten Jahren wuchs die Hauptstadt Kathmandu unkontrolliert. «Der Verkehr erfordert Geduld, alles ist zeitintensiv. Banale Dinge dauern einen halben Tag.» 
Nebst einem Frauenhaus und Kinderhort betreibt die Wo-men’s Foundation im ganzen Land Anlaufstellen für misshandelte Frauen. Im Zentrum in Kathmandu erhalten sie medizinische Versorgung und ein sicheres Zuhause für sich und ihre Kinder. Das Weben von Schals ist Beschäftigung und Therapie zugleich, aber auch eine wichtig Einnahmequelle für die Organisation.

Im Hof der Women’s Foundation hängen  die Schals nach dem ­Färben zum Trocknen auf.

Im Hof der Women’s Foundation hängen die Schals nach dem Färben zum Trocknen auf.

Karin Heer

Weniger kaufen, dafür sinnvolle und langlebige Produkte 

Neben der Women’s Foundation, wo Schmid jedes Mal wie ein Staatsgast empfangen wird, trifft sie weitere Lieferanten und besucht Werkstätten. Weben, Filzen, Töpfern sowie das Herstellen und Verarbeiten von Papier haben in Nepal Tradition. Die meisten Scout-Produzenten haben ein Fair-Trade-Zertifikat, aber nicht alle. «Beim Besuch spürt man schnell, unter welchen Bedingungen gearbeitet wird.» Wenn es um Preise geht, verhandelt Susanne Schmid nicht. «Die Lieferanten sagen mir, wie viel sie für ein Produkt brauchen. Entweder passt das für mich oder halt nicht.» 
Besondere Fundstücke von ihren Reisen landen im Geschäft Einzelstück in Zürich und Bern, das Schmid mit ihrem Lebenspartner Simon Wirth führt. «Es gibt kaum eine Rei-se, bei der wir nicht irgendwas verschiffen. Wir lieben Unikate und sind beide Spürhunde für Trouvaillen.» 2011 nahm Simon, der bis dahin im Finanzbereich arbeitete, seinen bevorstehenden 40. Geburtstag zum Anlass, sich mit einem eigenen Geschäft selbstständig zu machen. Bei Einzelstück führen sie «alles ausser Kleider» und auch das gesamte Scout-Sortiment.  
Verantwortungsbewusstsein, ob beim Konsum oder ganz generell im Leben, ist für Susanne Schmid wichtig. «Weniger ist mehr: Ich kaufe lieber wenige, dafür sinnvolle und langlebige Produkte.» Mit zwölf Jahren hat sie aufgehört Fleisch zu essen, heute ernährt sie sich fast vegan. In der Stadt trifft man sie oft im Tram an oder zu Fuss – mit dem trippelnden Seppi an der Leine. «Meine Ökobilanz leidet vor allem durch die Geschäftsflüge.» Ende Jahr kompensiert sie jeweils ihren CO2-Ausstoss. «Wirklich schuldig fühle ich mich aber nicht dabei, da meine Reisen einem sinnvollen Zweck dienen und Arbeitsplätze schaffen.» 
Nächstens ist Schmid wieder am Scouten. Bei den Scouts, den Pfadfindern, war sie zwar nie, doch der Name passt: Statt in den Wald führen sie ihre
Erkundungsreisen nach Asien. Zu Werkstätten, in denen Menschen statt Maschinen arbeiten und hochwertige Unikate entstehen. Das Unperfekte ist dabei Teil des Designs. Einem Schal darf, ja muss man ansehen, dass er handgewoben ist. Nur was gar nicht geht, sind Geschirrtücher, die wirken wie gut gemeinte Fair-Trade-Produkte aus dem «Jute statt Plastik»-Zeitalter.

Die pinken Filzkugeln werden mit anderen Farben kombiniert und später zu Untersetzern zusammen­genäht.

Die pinken Filzkugeln werden mit anderen Farben kombiniert und später zu Untersetzern zusammengenäht.

Skanda Gautam
Dank der Women’s Foundation erhalten misshandelte Frauen  ein sicheres Zuhause und Arbeit.

Dank der Women’s Foundation erhalten misshandelte Frauen ein sicheres Zuhause und Arbeit.

Susanne Schmid
Von Barbara Halter am 14. Mai 2019 - 12:02 Uhr