Wenn es im Produktionsraum von Gorilla Gardening in jeder Ecke nach Fenchel riecht, muss nicht nachgefragt werden, was gerade hergestellt wird. Das schaffen nur die Kräuter-Seedballs. Aussehen tun sie ziemlich unspektakulär: eine braune Kugel aus Erde, etwa gleich gross wie eine Baumnuss. Umso mehr verblüffen sie einen, wenn sie dank etwas Wasser und Sonne zum Leben erweckt werden. Dann spriessen Pflanzen wie Spitzwegerich, Hornklee, Sonnenblumen, Mohn oder Himmelsröschen.
«Die Einfachheit der Seedballs hat uns überzeugt», sagt Severin Bartholdi. Zusammen mit seinem Kollegen Raphael Corneo gründete er vor sieben Jahren Gorilla Gardening. Davor arbeiteten beide im Büro und hatten mit Blumen nur hobbymässig zu tun – vorwiegend als Balkongärtner. «Wir wollten einer Freundin ein spezielles Geschenk zum Geburtstag machen und probierten es einfach mal aus.»
Beim Recherchieren merkten sie, dass es erst im Ausland Anbieter von Seedballs gibt. Nach erfolgreichen Tests im Freundeskreis beschlossen sie, ein Geschäft daraus zu machen. Das bedeutete in den ersten eineinhalb Jahren: ein Wohnzimmer voller Erde. Dort wurde gemantscht, gerollt, getrocknet. Schon nach zwei Monaten trafen die Bestellungen so zahlreich ein, dass beide ihre Arbeitspensen reduzierten.
Jeder Seedball wird von Hand gemischt, gerollt und verpackt
Homeoffice käme heute nicht mehr infrage, das Sortiment ist stetig gewachsen und braucht Platz. In einem ruhigen Aussenquartier von Bern haben die Gorilla Gardener eine stillgelegte Metzgerei zu ihrem Atelier umfunktioniert. Warum nicht eine Gärtnerei? «Weil wir nicht die klassische Art Blumen verkaufen. Zudem ist das hier auch eine Manufaktur, eine Ideenwerkstatt und Büro.»
Jeder Seedball wird von Hand gefertigt. Am liebsten am Nachmittag. Dann füllen sie die alte Mehlmischmaschine, welche sie auf Ricardo von einem pensionierten Bäcker gekauft haben, mit Komposterde, Lehmpulver, Saatgut und Wasser. «Früher erledigten wir das noch von Hand. Das war einiges strenger, und zudem konnten wir nicht so grosse Mengen produzieren», sagt Severin Bartholdi. Danach wird gerollt, gerollt, gerollt – je nach Auftrag bis zu 5000 Stück in einer Woche. «Länger als drei Stunden schafft man es aber nicht ohne grössere Pause. Irgendwann schmerzen die Handgelenke», sagt Raphael Corneo. Klar würden sie manchmal auch daran denken, dass sie gewisse Arbeiten delegieren könnten. «Aber dann geben wir genau das aus den Händen, was für uns die Startmotivation war: das Selbermachen.» Neben den Seedballs bedruckt Gorilla Gardening auch die Baumwollsäckchen, in welchen die kleinen Kugeln verpackt sind. «Diese Abwechslung macht es aus. Dann sitzen wir auch gern wieder einmal vor dem Computer – ausser es geht um die Buchhaltung», sagt Severin Bartholdi und lacht.
Die Ideen für neue Produkte entstehen spontan. «Am Anfang vergrösserten wir im Halbjahrestakt unser Sortiment», erzählt Raphael Corneo. Nach den Seedballs kamen die Seedpills. Diese steckt man einfach in die Erde und wartet, bis sich die Zellulosemembran auflöst. Um die Samen als Grussbotschaften zu verschicken, bedrucken die beiden Seedpapers. Befreundete Illustratoren liefern die Sujets. Diese Postkarten kann man ganz normal beschriften. Nach dem Lesen zerreisst man das Papier inklusive Samen in Stücke, gibt es in einen Topf voll Erde und lässt es wachsen. Jedes Produkt ist nachhaltig. So auch die Pflanzensäcke – eine Alternative zu Plastiktöpfen –, welche aus recycelten PET-Flaschen und Jute fabriziert werden. Ein weiterer Vorteil: Die Pflanze kann schneller wachsen, weil die Wurzeln sich in dem netzartigen Gewebe verfangen. So bilden sich neue Feinwurzeln.
Während des Lock-down bestellten die Kunden noch mehr
Heute stellt Gorilla Gardening etwa 32 verschiedene Produkte her, mit Varianten sind es 60. Die Seedballs sind nach wie vor der Bestseller. Der Name des Unternehmens ist eine Anspielung an die Guerilla-Gardening-Bewegung, welche Blumen im urbanen Umfeld wild aussät. «Im letzten Monat kamen unsere Seedballs aber wohl eher auf den Balkonen zum Einsatz. Während des Corona-Lockdown hatten wir besonders viele Bestellungen», sagt Severin Bartholdi. Das leuchtet ein: So ein kleines Wunder kann man schliesslich immer gebrauchen.