In Lodano ist es fast unglaublich ruhig. Im Tessiner Dörfchen, umgeben von Bergen, hört man nur die Vögel, den Wind und – ein Lachen. Laut und ansteckend, ganz Anna Pieri Zuercher. Die Schauspielerin und «Tatort»-Kommissarin lebt mit ihrer Familie in Lausanne, ist aber so oft wie möglich in ihrem kleinen Rustico. Vor allem dann, wenn sie gerade vierzig Tage am Stück in Zürich gedreht hat. In Lodano, wo man nur ab und zu jemandem in den Gassen begegnet, kann sie ihre Rolle ablegen und ganz sie selbst sein. Nur der französische Akzent erinnert noch an ihre TV-Rolle.
GRUEN: Anna Pieri Zuercher, ehrlich gesagt, hatte ich etwas Respekt vor unserem ersten Gespräch …
Warum?
Weil ich Sie nur vom «Tatort» her kenne und Sie dort die strenge und kühle Hauptkommissarin Isabelle Grandjean spielen.
Das höre ich öfters (lacht). Aber es ist ja nur eine Rolle.
Und ein Beweis, dass Sie Ihren Job gut machen.
Danke. Ich liebe meinen Beruf und könnte mir momentan nichts vorstellen, das ich lieber machen würde.
Seit Sie im TV als Kommissarin ermitteln, wurden Sie nochmals ein Stück bekannter und werden sicher öfters erkannt.
Ist das ein Problem für Sie?
Überhaupt nicht. Ich habe die Chance, Filme zu machen, ohne das Publikum hätte das keinen Sinn. Mit Leuten, die mich erkennen, rede ich immer gerne. In der Schweiz sind die meisten sowieso sehr respektvoll.
Aber mit der schlechten Kritik halten sich trotzdem nicht alle zurück. Dem Schweizer «Tatort» fehle es an Spannung und Originalität, ärgert sich ein Teil der Fangemeinde. Lesen Sie die Zuschauerkommentare?
Nein, da käme ich nicht mehr hinterher. Kritik ist normal. Und es ist auch normal, dass es gute und schlechte Folgen gibt. Man muss sich einfach immer wieder bewusst machen, dass der «Tatort» bei vielen Zuschauern ein Teil ihres Alltags ist.
Die «Tatort»-Folgen werden in Zürich gedreht. Wie erholen Sie sich jeweils danach?
Ich komme einfach hierher ins Tessin. Wenn die vierzig Tage Dreh vorbei sind, brauche ich danach zwei Wochen, um Energie zu tanken.
Wie meinen Sie das?
Bei einem Dreh ist der ganze Tagesablauf so durchgetaktet, dass man fast kein eigenes Leben mehr hat. Man arbeitet und schläft, arbeitet und schläft. Alles geht schnell, man sucht ständig nach neuen Lösungen, und das Adrenalin ist auf dem Maximum. Der eigene Rhythmus hat da keinen Platz. Die Stille in Lodano hilft mir, diesen wiederzufinden.
Was bringt Sie sonst noch zur Ruhe?
Die Natur. Wenn ich hier bin, dann gehe ich oft zusammen mit meinem Mann joggen, wandern oder spazieren. Am liebsten bin ich im Wald, wenn es regnet, das erdet mich extrem. Wir haben hier auch einen Garten, den ich pflege. Und im Herbst mache ich aus den selbst gepflückten Trauben Marmelade.
Warum haben Sie sich gerade diesen Ort ausgesucht?
Weil mein Mann und ich im Tessin Wurzeln haben. Meine Grosseltern kamen ursprünglich aus Italien und lebten dann
in Lugano. Wir reisten viel ins Tessin in die Ferien, weil mein Vater aus der Deutschschweiz kam und wir in Biel wohnten. Ich kann mich gut daran erinnern, dass es bei meiner Nonna zu Hause immer nach Brodo, also Bouillon, gerochen hat.
Wie waren Sie als Kind?
Genauso lebhaft wie heute. Und ich hatte schon damals immer zu viele Ideen. Ich besass zum Beispiel einen Kassettenrekorder, den ich überallhin und immer mitnahm, um meine eigene Radiosendung zu produzieren. Ich erzählte den ganzen Tag etwas, machte Interviews und nahm auch heimlich Gespräche auf. Meine Eltern brauchten gute Nerven (lacht).
Was meinten Ihre Eltern dazu, als Sie nach dem abgeschlossenen Studium als Klavierlehrerin mit 22 Jahren Schauspielerin werden wollten?
Sie haben mich unterstützt, das war gar nie eine Frage. Meine Schwester und
ich konnten immer das machen, was wir wollten. Klar gab es Regeln, und wir haben immer auch unser eigenes Geld verdient.
Was war Ihr erster Job?
Mit zwölf Jahren habe ich angefangen zu babysitten, danach jobbte ich in einer Bäckerei und habe in einem Secondhandladen ausgeholfen.
Tragen Sie selber auch Secondhandkleidung?
Ja. Und wenn ich etwas Neues kaufe, achte ich darauf, dass es fair gehandelte Mode ist. Ich behalte meine Kleidung immer für eine lange Zeit, weil ich es mag, wenn sie gelebt hat.
Worauf schauen Sie sonst noch in puncto Umweltschutz?
Wo immer möglich verzichte ich auf Plastik. Wir haben zu Hause nur feste Seifen und benutzen Bienenwachstücher anstatt Frischhaltefolie. Wir kochen regional und saisonal. Klar, ich esse auch ein-, zweimal im Jahr eine Ananas. Aber Erdbeeren im Winter kommen für mich zum Beispiel nicht infrage. Zum Glück isst mein neunjähriger Sohn sehr gerne Gemüse.
Was möchten Sie ihm in Sachen Naturschutz mitgeben?
Dass er die Natur, die ihn umgibt, respektiert. Wir ziehen mit ihm etwa drei- bis viermal im Jahr los, um die Ufer des Sees in Lausanne oder des Flusses in Lodano zu säubern. Das ist für uns eine gute Möglichkeit, ihn in Sachen Umweltschutz zu sensibilisieren. Aber er ist mir zum Teil auch schon voraus. Wenn ich beim Zähneputzen nicht sofort das Wasser abstelle, wird er richtig wütend.
«Ich finde es sinnvoll, wenn die Figuren im ‹Tatort› Secondhandkleider tragen.»
Zurück zum «Tatort»: Dieser wird seit der neuen Staffel nachhaltig produziert. Wie merken Sie das am Set?
Wir essen viel vegetarisch, und es gibt nur selten Fleisch. Die Kostüme sind zum Teil secondhand, was ich persönlich viel besser finde. Ist eine Figur nur mit neuen Kleidern zu sehen, wirkt das im Film schnell unnatürlich. Da es sich beim «Tatort» um eine Serie handelt, tragen wir auch oft über mehrere Folgen die gleichen Kostüme. Meine Isabelle-Grandjean-Schuhe werde ich so lange behalten, bis sie auseinanderfallen.
Wie würden Sie es finden, wenn auch im Film selber mehr Green Storytelling gemacht werden würde?
Wenn es nur ein Konzept ist und nicht zur Geschichte passt, finde ich das schwierig. Wenn man etwas verändern möchte, auch über einen Film, dann muss man immer die Herzen der Zuschauer berühren.
Nur so beginnen sie, über ein Problem nachzudenken und etwas zu verändern.
Und wenn Kommissarin Isabelle Grandjean am obligaten Krimi-Grillstand nur noch Tofu-Wurst essen würde?
Das fände ich lustig (lacht).
Mögen Sie Tofu?
Nein, ich bin eher der Gemüsetyp.