In der Silvesternacht 2015 erlebt Rolf Bertschi das Schlimmste, was einem Hotelmanager passieren kann. Sein Haus, das Luxushotel The Address in Dubai, steht in Flammen. Wie durch ein Wunder überleben alle den Brand, doch trotzdem ist nichts mehr wie zuvor.
Gleich am ersten Abend im Hotel Château de Montcaud in Südfrankreich – nach Erbsenrisotto, Steinbutt und einigen Gläsern Wein – erzählt Rolf Bertschi von dieser Nacht. Wie er einen betagten indischen Gast aus den obersten Stockwerken durch den Rauch nach unten trug. Und wie zu Hause seine Frau Andrea, damals mit dem zweiten Kind schwanger, den Brand vom Balkon aus beobachten musste.
Als Bertschis Erzählung endet, haben die letzten Gäste das Bistro längst verlassen. Der Schlosspark liegt dunkel und still da. Dubai könnte nicht weiter weg sein. Hier in Sabran sorgt höchstens mal der Mistral für Radau. Er stürmt durch die hohen, alten Zedern im Park und zerfleddert die Platanen-Allee. Und wehe, er findet am Schloss einen losen Fensterladen, dann quält er den die ganze Nacht. Ist der Sturm vorbei, kehrt wieder Ruhe ein.
Wenn Andrea und Rolf Bertschi ihre neuen Nachbarn sehen wollen, müssen sie ins Auto steigen. Die Gemeinde Sabran liegt an der Schnittstelle von Languedoc und Provence. Avignon ist rund vierzig Kilometer entfernt. Die Strassen sind eng und kurvig, der Fahrstil der Einheimischen energisch und schnell. Zehn Minuten vom Château entfernt leben Sébastien und Céline Dalonis. Sie beliefern die Schloss-Küche. Céline bittet in das kleine, unverputzte Backsteingebäude. Der Raum ist Küche, Spielzimmer und Hofladen in einem. Draussen wachsen unter einem Folientunnel Spirulina in einem Wasserbecken. Neben den Algen kultivieren sie Safran, beides eher exotische Produkte für die Gegend. «Sébas Grossvater war der Erste, der hier Spargeln anbaute. Als wir ebenfalls mit komischen Kulturen begannen, war niemand erstaunt», erzählt Céline. Ihr Mann schaut zur Begrüssung kurz vorbei und verschwindet dann wieder. Offensichtlich scheint er froh zu sein, wenn seine Frau die Kommunikation übernimmt.
Die Karte des Restaurant de Montcaud ist gespickt mit regionalen Produkten
Die meisten Leute hier gehören einem verschlossenen Menschenschlag an», findet Rolf Bertschi. Im Sommer kommt eine überschaubare Zahl Touristen in die Region. Es gibt familiengeführte Hotels, Chambres d’hôtes, dazu einige Zeltplätze, darunter auch solche der FKK-Community. Einige Schweizer haben alte Steinhäuser gekauft und renoviert. Vieles ist jedoch unentdeckt und hat doch so viel Potenzial – eine Chance für Andrea und Rolf Bertschi. Sie sind weltgewandte Hoteliers, geübt im Vermarkten und wissen, wie man ein anspruchsvolles Publikum zufriedenstellt.
In den beiden Restaurants des Hotels – im vorderen Teil befindet sich das Bistro, in den hinteren Räumen der Fine-Dining-Bereich – sind die Gerichte gespickt mit regionalen Produkten. Neben dem Safran der Familie Dalonis gibt es Olivenöl und natürlich Wein. Es kann gut passieren, dass Winzerfamilie Klein von der Domaine La Réméjeanne gleich am Nebentisch sitzt. Das Bistro des Châteaus wird auch bei der Nachbarschaft geschätzt, lange Zeit mussten sie auf ein gutes Restaurant verzichten. Typisch französisch, findet man auf der Karte weder vegetarische Gerichte noch einen Globi-Teller – Knirpse bestellen ganz selbstverständlich das «Menu du chef». Auf Nachfrage gibt es natürlich ein Kindermenü, und auch sonst wird jeder Wunsch erfüllt. Erst kürzlich hat Küchenchef Matthieu Hervé für einen Gast an sieben Abenden hintereinander ein sechsgängiges Gourmet-Menü ohne Fisch und Fleisch serviert.
«Als Rolf Bertschi im Frühling 2016 aus Dubai anreist und das Anwesen betritt, erwartete ihn das Chaos. «Auf den Tischen im Restaurant standen verdorrte Blumen, in der Waschmaschine schimmelte Tischwäsche», erinnert er sich. Die damaligen Betreiber des Schlosses gingen Konkurs, und das Hotel verfiel in einen dreijährigen Dornröschenschlaf. Die Bertschis entschie-
den schnell. Die Gegend und das Schloss überzeugten sie. Ausserdem stimmte der Zeitpunkt. Der Hotelbrand in Dubai hat vieles verändert, die Familie zieht es wieder Richtung Schweiz. Andrea Bertschis Vater, der Industrielle Jürg Witmer, ersteigert das Anwesen und investiert. 29 Zimmer werden neu konzipiert, ausgestattet und isoliert. Öffnet jemand das Fenster, stellt die Klimaanlage automatisch ab. Spezielle Vorhänge halten die Hitze draussen, wenn es im Sommer gegen vierzig Grad heiss wird.
Jetzt, ein Jahr nach Eröffnung, kämpfen die Bertschis vor allem noch mit dem Park des Schlosses. Viele der imposanten Bäume sind alt. Die mystisch-verzauberte Parkanlage, die der Erbauer des Châteaus gegen Ende des 19. Jahrhunderts anlegen liess, ist arbeitsintensiv. Das Grün wächst Rolf Bertschi wortwörtlich über den Kopf. Ausserdem ringt er manchmal auch mit der Natur der Menschen um ihn herum. Vieles geht im schlicht zu langsam.
Mit Seide und Parfum schreibt Familie Bertschi die Geschichte des Châteaus weiter
Ein Bruder in seinem Geiste ist Daniel Lelièvre, Geschäftsmann aus Paris, Hobby-Höhlenforscher und Besitzer der Grotte de la Salamandre, eine der wenigen nahe liegenden touristischen Attraktionen der Gegend. Das Besucherzentrum aus hellem Holz und grossen Glasfronten ähnelt einer Lodge in Neuseeland – Lelièvres Gattin kommt von dort. Er liess sich in den Siebzigerjahren während einer Expedition erstmals in die Grotte abseilen, hatte aber keinen Schimmer, dass er sich in einem riesigen Dom befand. Ausgestattet mit immensen Stalaktiten und Stalagmiten. Er sah damals nur so weit, wie der Schein seiner Stirnlampe reichte.
Die Geschichte von Familie Bertschi und Château de Montcaud hat eben erst begonnen. Fleissig schreiben sie an neuen Kapiteln. Mit einem Start-up aus den Cevennen soll der Faden zur französischen Seidenproduktion wieder aufgenommen werden – sie hatte den Erbauer des Châteaus einst reich gemacht. Ausserdem werden auf dem Schloss in Zukunft Kurse für Hobby-Parfümeure stattfinden: Als Souvenir nimmt man dann nicht nur Safran, Olivenöl und Wein mit nach Hause, sondern auch sein persönliches Parfum.
Vieles in der Gegend ist unentdeckt und hat doch so viel Potenzial.
Château de Montcaud 25 Zimmer befinden sich im Schloss, zwei plus eine Ferienwohnung im Gebäude des Restaurants. Dazu Ferienhäuschen im Wärterhaus. Pool im Schlosspark. DZ ohne Frühstück ab 255 Euro (Hochsaison). Anreise: z. B. mit dem TGV nach Avignon, weiter mit einem Mietwagen oder Transport, organisiert durch das Hotel.
Produzenten Manjolive stellt Spirulina und Bio-Safran her, auf Domaine La Réméjeanne gibt es biologische Weine und bei Thomassot Olivenöl. Überall Direktverkauf.
Aktivitäten Die Grotte de la Salamandre ist rollstuhlgängig und wird in Gruppen besichtigt. Abenteuerlustige lassen sich fünfzig Meter runter in die Höhle abseilen. In Goudargues bietet Cèze Conoës Kanufahrten auf dem Fluss. Die Gäste werden an den Startplatz gebracht, von dort paddelt man alleine zurück.