In der Obwaldner Firma Bio-Familia hält Niklaus von Flüe seine schützende Hand über die Geschäfte. Er steht im Treppenhaus, als Holzfigur mit eingefallenen Wangen. In der einen Hand hält er einen Rosenkranz, mit der anderen stützt er sich auf einen Stock und überblickt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die täglich vorbeikommen. Auf dem Weg in die Müesli- Produktion. «Wenn der Bruder Klaus nicht in Sachseln gewirkt hätte, gäbe es die Firma nicht», sagt Peter Odermatt. Wir sitzen in einem Besprechungszimmer im neuen Bürogebäude. Vor den grossen Fenstern kommt gerade ein heisser Sommertag in die Gänge. Über dem Sarnersee hängen letzte Wolkenfetzen, eingerahmt von grünen Wiesen, bewaldeten Hügeln und Bergen. Vielleicht ist dieser Ausblick der Grund, weshalb Angestellte zehn, zwanzig, dreissig, gar vierzig Jahre in der Firma bleiben. Vielleicht sind es auch die Biketouren für die Sportverrückten – zu denen sich auch der Chef zählt. Wer hier eingestellt wird, bleibt nicht selten bis zur Pensionierung. Peter Odermatt selbst ist erst der dritte Direktor in der Firmengeschichte.
Bio-Familia sei für ihn immer eine Ikone gewesen, sagt Odermatt, der auf einem Bauernhof im Nachbarkanton Nidwalden aufgewachsen ist. «Ein gutes, bodenständiges Unternehmen.» Jahrelang bewahrte er in seiner Pultschublade ein Zeitungsinterview mit seinem Vorgänger auf. 2008 wird dieser pensioniert, und Odermatt erhält den Job. Um den Zusammenhang zwischen einem Heiligen aus dem 15. Jahrhundert und dem grössten Müesli-Hersteller der Schweiz zu verstehen, muss man zurück in der Geschichte. Ins München der 1930er-Jahre. Dort verlieben sich die Solothurnerin Anna Metzner und ein gewisser Georg Hipp, der später mit seiner Firma für Babynahrung sehr erfolgreich werden wird. Ihre Familie stellt sich gegen die Heirat mit dem Deutschen, und die religiöse Frau hat nur eine Hoffnung: Sie unternimmt eine Wallfahrt nach Flüeli-Ranft bei Sachseln. Wenn ihre Eltern der Heirat zustimmen, verspricht sie dem Bruder Klaus, würde sie ihren ersten Sohn nach ihm benennen. Ihre Bitte wird erhört, der Sohn geboren und getauft als Nikolaus «Claus» Hipp. Die Familie pilgert nicht nur wiederholt nach Obwalden, Sachseln erscheint ihnen auch der richtige Ort, um 1954 eine weitere Firma zu gründen. Die Babynahrung verkauft sich jedoch nicht so gut wie in Deutschland. Der Misserfolg schlägt dem Schweizer Direktor Caspar Arquint so auf den Magen, dass er sich in der Zürcher Bircher-Benner Klinik behandeln lässt und dort auf die zündende Idee stösst: ein industriell hergestelltes Fertigmüesli. Man verpflichtet sich – damals ein Novum – nur biologische Zutaten zu verwenden und darf im Gegenzug den Namen «Bircher» auf die Verpackung drucken.
Heute verlassen täglich 45 Tonnen Frühstückscerealien die Fabrik. Neben der eigenen Marke werden für Kunden, zum Beispiel Grossverteiler, in der Schweiz und weltweit Rezepturen entwickelt und Müesli hergestellt. Das schlichte Familia Nature Crunch ohne Zuckerzusatz kommt der Philosophie des Ur-Birchermüesli sehr nahe. Im Gegensatz zum Firmentitel fehlt im Produktnamen das «Bio», da auch konventionelle Rohstoffe verarbeitet werden. «Würden wir nur auf bio bestehen, könnten wir bloss einen Viertel des Markts bearbeiten», sagt Peter Odermatt. Seit über fünfzehn Jahren entwickelt sich die Firma im Nachhaltigkeitsbereich weiter. Man will zu einem klimapositiven Unternehmen werden, mehr Energie produzieren als verbrauchen. Das 2018 gebaute Administrationsgebäude hat Minergie-A- und -P-Standard, der Strom ist ökozertifiziert und stammt aus den lokalen Trinkwasserkraftwerken. Die Produktion ist energieintensiv, das zeigt sich beim Rundgang durch die Fabrikhallen. Hier wird sechs Tage die Woche 24 Stunden im Schichtbetrieb gearbeitet. Der Ofen, in dem das Granola auf einem Förderband knusprig gebacken wird, ist ein vierzig Meter langes Ungetüm. In den Rezepturen spiegeln sich die Ernährungstrends: Vollwertnahrung, Functional Food, wenig Zucker. «Im Moment sind regionale Rohstoffe und wenig verarbeitete Zutaten gewünscht wie ganze Nüsse», sagt Odermatt. Das mit der Regionalität ist gar nicht so einfach. Hafer, den wichtigsten Rohstoff, gibt es nicht in ausreichenden Men-gen aus der Schweiz. Daran kann nicht mal Bruder Klaus was ändern.