Mitten auf dem Fabrikgelände in Arbon, wo Harassen auf Rampen stehen, Stapelfahrer um die Ecken biegen und sich riesige Stahlrohre hinter den Fenstern des modernen Glasbaus winden, steht ein rostrotes Bauernhaus. Die Fensterläden lindgrün, das Gärtchen mit den zwei Apfelbäumen eingezäunt. Früher, vor mehr als hundert Jahren, stand oberhalb des Eingangs mit geschwungener Schrift: «Gasthaus Rössli». Der selbst gemachte Apfelsaft galt als Spezialität des Hauses, und so beschlossen Hans Georg und Elise Möhl im Jahr 1895, eine Mosterei zu gründen. Mit der Kutsche fuhren die beiden los und belieferten Restaurants. Während Hans Georg die Eichenfässer in den Keller trug, unterhielt Elise die Gäste mit ihren Witzen.
Einer, der diese Geschichte sicher schon ein paarmal gehört hat, ist Christoph Möhl – der Ururenkel von Hans Georg und Elise. Zusammen mit seinen beiden Cousins Lukas und Georges leitet er das Unternehmen seit fünf Jahren. «Ich bin im ehemaligen Gasthaus aufgewachsen, das Fabrikgelände war früher mein Spielplatz», sagt der 37-Jährige. Heute wohnt er lieber in der Stadt, bereist die Welt, testet sich durch exotische Getränkesortimente. Von seinen Reisen bringt Christoph Möhl Hopfen und Flüssighefe mit. Die Souvenirs kommen in sein Labor, wo Holzfässer aus den USA, Schottland und den karibischen Inseln lagern. Stundenlang verbringt der gelernte Weintechnologe beim Tüfteln mit neuen Aromen.
Seit die junge Generation das Unternehmen übernommen hat, gesellt sich zu den bewährten Getränken wie dem «Saft vom Fass» der «Cider Clan». Die Linie besteht aus drei Sorten Apfelwein – Möhl liegt damit voll im Trend. So erstaunt es auch nicht, dass das Apfellogo in letzter Zeit vermehrt auf Street Food Markets oder Events wie dem Zürcher Rundfunk zu sehen ist. «Mit dem neuen Sortiment sprechen wir ein urbanes Publikum an», sagt Christoph Möhl. Von den Etiketten schauen Sepp, Küsi und Wisi – sie leihen den Ciders nicht nur ihre Namen und Porträts, alle drei sind Lieferanten oder Mitarbeiter der Mosterei.
Christoph Möhls Verbundenheit mit den Bauern ist tief verwurzelt. «Unser Unternehmen hat den Landwirten und dem Apfel gegenüber eine Verantwortung», erklärt er. So setzte die Familie schon immer bewusst auf Obst von Hochstammbäumen, welche auch ein wichtiger Lebensraum für Vögel und Insekten sind. Von 1950 bis 1975 wurden vor allem im Thurgau Millionen dieser Bäume gefällt – auf Anweisung des Staates. Der Grund war das erneuerte Alkoholgesetz von 1932. Ab diesem Jahr fiel der Anbau von Obst und Beeren in die Kompetenz des Bundes. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten allerdings die veränderten Exportbedingungen das Ganze zu einem Verlustgeschäft. Der Bund wollte die Obstbaumwälder loswerden.
Noch heute leiden die Bauern, welche diesen Kahlschlag miterlebten. Im Schweizer Mosterei- und Brennereimuseum MoMö, das auf dem Fabrikgelände steht und zu Möhl gehört, wird diese Ära aufgearbeitet. Mittlerweile ist der Bestand von Hochstammbäumen wieder am Wachsen. «Man merkt den Qualitätsunterschied des Obsts. Dafür bezahlen wir gern mehr», sagt Christoph Möhl. Anfang Herbst ist Hochbetrieb in Arbon. Den ganzen Tag fahren Lastwagen vor und lassen ihre Äpfel in Silos plumpsen. Sind sie gefüllt, verschwindet der Inhalt in die unterirdische Fabrikwelt. Dort zischt, dampft und rüttelt es. Abfälle gibt es beim Pressen quasi keine: Die Reste werden zu Tierfutter oder Biogas verarbeitet.
Zum Schluss kommt der Saft in die Flasche – in den meisten Fällen eine aus Glas. «Ich bin überzeugt, dass Mehrweggebinde ein Revival erleben wird», sagt Christoph Möhl. «Man kann es über fünfzigmal wiederverwenden. Zudem ist der Geschmack besser, weil die Kohlensäure nicht entweichen kann.» Was es brauche, sei lediglich ein gutes System bei den Grossverteilern.
Bei Möhl sind alle Getränke vegan, das heisst, die Klärung des Safts findet durch pflanzliche Eiweisse statt. Zwei der insgesamt sechzehn Produkte gibt es in Bio-Qualität. «Ich unterstütze biologische Landwirtschaft, bin aber Labels gegenüber auch etwas skeptisch», sagt Christoph Möhl. Lieber besucht er die Bauern persönlich. Sieht, dass in den Hochstammbäumen die Insekten schwirren, die Tiere draussen weiden können und dem Boden achtgegeben wird. Wenn die Äpfel prall von den Ästen hängen, erinnert er sich manchmal daran, wie er bei der Ernte sein erstes Geld verdiente. «Drei Franken fünfzig gab es in der Stunde», sagt er und lacht.
Die Säfte und das MoMö-Museum: www.moehl.ch
Infos zu Hochstammbäumen in der Schweiz: www.hochstammobst.ch