Bietet Evelyne Zürcher ihrem Besuch etwas zu trinken an, entschuldigt sie sich zuerst einmal: «Sorry, hier liegt überall Staub.» Von woher dieser stammt, sieht man sogleich. Auf den Wandregalen im Zürcher Atelier stapeln sich Teller und Schalen, reihen sich Vasen an Vasen. Manche sind noch erdig roh, andere schon glänzend farbig. Jedes einzelne Objekt ist von Hand geformt, glasiert und gebrannt.
An der Drehscheibe nimmt alles seinen Lauf
Gleich gegenüber, im hellen Licht der hohen Fensterfront, steht quasi der Anfang von allem: die Drehscheibe. Überzogen mit einer grauen Schicht Staub, behangen mit eingetrockneten Tonklümpchen. Hier beginnt der Töpferprozess. «Diese Maschine konnte ich Occasion auf tutti.ch erstehen», sagt Evelyne Zürcher. «Sie ist aus den Achtzigerjahren, funktioniert aber noch immer einwandfrei.»
Zum Töpfern ist die 35-Jährige durch eine Freundin gekommen. Mitten in ihrer Biologie-Doktorarbeit, 2015, hat sie damit angefangen. «Ich brauchte einen Ausgleich. Etwas, bei dem ich mich kreativ ausleben konnte», erzählt sie. Das sei ein Wunsch gewesen, der schon vor dem Studium im Raum gestanden sei.
In einem Kurs der Migros-Klubschule hat sie dann die Töpfer-Grundlagen gelernt. Zum Beispiel, dass man einen Tonblock zuerst auf der Drehscheibe einmitten muss und dass das gar nicht so einfach ist. «Ich fand es vom ersten Moment an so cool, dass ich gleich mehrere nachfolgende Kurse besucht habe.» Kurz darauf mietete sie mit einer Freundin ein Atelier in Zürich Altstetten. Normalerweise ist sie einen Tag pro Woche hier. Seit sie Mutter geworden ist, kann es auch mal weniger sein.
Hauptberuflich arbeitet Evelyne Zürcher bei der Firma Rethink Resource, welche Beratungen im Umweltbereich anbietet und eine zirkuläre Zukunft für industrielle Produzenten in ganz Europa anstrebt. So findet das Team zusammen mit Unternehmen Lösungen und Strategien, um Abfall, welcher bei Produktionsprozessen entsteht, weiterverwerten zu können.
Die Objekte verlangen Zeit und Ruhe
Geht sie ins Keramikatelier, hat Evelyne Zürcher jeweils noch keinen fixen Plan. Was sie sicher braucht, ist Zeit. «Ich muss zuerst ankommen und mich mit den Objekten auseinandersetzen», erzählt sie. Und auch, dass das Töpfern keine Hektik verträgt. Es verlange Ruhe, sonst gehe es meistens schief.
So zum Beispiel, als sie kürzlich in eine fixfertig geformte Schale lief und diese nicht mehr zu retten war. «Man muss ziemlich frusttolerant sein», sagt sie. Denn bei jedem Schritt kann etwas danebengehen, und vieles ist unvorhersehbar. So ist es immer eine kleine Überraschung, wenn sie den Brennofen öffnet. Hat die Vase Risse? Ist die Glasur zerlaufen? Stimmen die Farben? «Gerade dieses Unverhoffte macht den Reiz aus», sagt Evelyne Zürcher.
Von Farben geflashed
Anstatt die Stücke traditionell in Farbe zu tauchen, glasiert sie diese mit dem Pinsel. «Man hat dabei ganz viele Möglichkeiten, Muster auszuprobieren.» Inspiriert wird sie häufig von Plakaten mit grafischen Mustern. Aber auch im Alltag findet sie ungewöhnliche Farbkombinationen. Wie kürzlich den rosa-beigen Wandanstrich in einem alten Treppenhaus.
Ihre Objekte verkauft Evelyne Zürcher privat und im Shop Schön und recht in Zürich. «Aufträge nehme ich fast nie entgegen, weil ich nicht garantieren kann, ob ich auch innert nützlicher Frist liefern kann.» Zudem fertigt sie von einem Stück selten mehrere Exemplare. Lieber probiert sie Neues aus – stets fasziniert, was aus einem einfachen Stück Ton am Schluss entstehen kann.