Bei dieser Familie vergeht kein Tag ohne Diskussionen über Hockey. Wenn es doch mal geschieht, dann haben sowohl Anna Wiegand-Eskola als auch Marc Wiegand am Abend zuvor ein Spiel geleitet und beide einen schlechten Tag erwischt. «Dann kommt es vor, dass sogar wir mal die Nase voll haben», sagt sie. «Wobei uns die Eishockey-Pause schnell gespenstig vorkommt.» Das Ehepaar ist im Kanton Aargau zu Hause. An einer Wand hängt ein Bild von einem Goalie, im Eingangsbereich stehen Schlittschuhe, und auf Wiegands Handyhülle klebt ein Sticker der NHL. Man ahnt es: Neben Tochter Venla, 9 Monate, ist Eishockey der Dreh- und Angelpunkt in ihrem Leben. Marc Wiegand, 40, ist seit vier Jahren einer von neun Fulltime-Schiedsrichtern bei Swiss Ice Hockey. Er steht vor allem in der National League im Einsatz, während der Saison an drei bis vier Abenden pro Woche. Anna Wiegand-Eskola, 34, die hauptberuflich für die Credit Suisse arbeitet, ist eine der wenigen Frauen, die in der MySports League, der höchsten Amateurliga, pfeifen. Im kommenden April wird sie an der Frauen-WM in Finnland Spiele leiten.
Die beiden wachsen 2000 Kilometer voneinander entfernt auf. Marc im zürcherischen Kloten, Anna im finnischen Dorf Orivesi. Sie hat drei Brüder, die Eishockey spielen, und darf – sobald sie die Tasche mit der Ausrüstung selber tragen kann – mit ihnen trainieren. Marc Wiegand ist Goalie im Juniorenteam des EHC Kloten. Doch als 16-Jähriger hat er noch anderes im Kopf als Eishockey,
er will die Opfer für eine Profikarriere nicht bringen und hat 1994 seine ersten Einsätze als Referee. Eskola studiert Sportmanagement, zieht für ein Praktikum in die Schweiz und kommt durch ihre Mitbewohnerin zum Schiedsrichtern: «Das hat sofort gepasst. Ich war schon als Verteidigerin besser auf den Kufen als am Puck.» Durch das Götti-System von Swiss Ice Hockey – Schiedsrichter aus einer höheren Liga kriegen Schützlinge aus der unteren zugewiesen – lernen sich die beiden kennen. Und verlieben sich später ineinander.
«Auf dem Eis muss ich innert Sekunden entscheiden»
Marc Wiegand
Heute unterstützen sie sich gegenseitig. Wenn ihr Mann im Einsatz steht, schaut sich die gebürtige Finnin sein Spiel im TV an und sendet ihm ein Video von aussergewöhnlichen Spielsituationen. So kann Marc nach dem Match gleich zwei, drei Szenen in der Garderobe mit seinem Team besprechen. Während die Mannschaften schon in der Pause Zugang zu den Replays von Szenen haben, stehen diese den Schiedsrichtern nicht immer zur Verfügung. Wiegand: «Ich muss auf dem Eis innert Sekunden entscheiden. Die unmittelbaren Rückmeldungen helfen mir bei der Verarbeitung des Spiels.»
Wiegand im Gegenzug schaut sich die Einsätze seiner Frau mit ihr auf dem Laptop an: «Ab einem gewissen Niveau sind es Nuancen, die einen Schiedsrichter besser machen als den anderen. Jeder ist in Form und kann Schlittschuhlaufen. Auf die Details kommt es an.» Einig sind sich die beiden nicht immer. «Dadurch haben wir spannende Diskussionen.» Beim Thema Distanz halten gehen die Meinungen aber nicht auseinander. Wiegand, der nach einem emotionalen Spiel auch schon mal länger in der Garderobe sitzen blieb, um die Geschehnisse zu besprechen, hat mit der Zeit gelernt, mit den Beschwerden von Trainern und Spielern umzugehen: «Emotionen gehören zum Match.» Wiegand-Eskola fiel das zuerst schwer. «Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass die Kritik eines Spielers oder Trainers nicht an mich persönlich gerichtet ist, sondern an meine Funktion.» Überhaupt werden von ihr in der Männerdomäne Eishockey stets 200 Prozent verlangt. «Ich bin klein und zierlich und muss mich mit meinem Auftreten manchmal doppelt durchsetzen, damit ich ernst genommen werde.» Frauenförderung ist beim Verband ein grosses Thema. Künftig soll die Frauenliga nur noch von Schiedsrichterinnen gepfiffen werden. Dafür fehlt es derzeit aber an weiblichen Referees.
Und welche Ziele hat sich das Paar gesetzt? «Wie immer unverletzt die Saison überstehen!» Und längerfristig wünschen sich die beiden, einmal gemeinsam ein Spiel leiten zu können.