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Ehre und Qualen

Die Gladbach-Schweizer im Porträt

Gleich fünf Schweizer Nationalspieler stehen beim Bundesligisten Borussia Mönchengladbach unter Vertrag. Die Farben vereinen sie. Doch den einen winkt eine glänzende Zukunft, andere laufen gegen eine Wand.

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Denis Zakaria, Nico Elvedi, Josip Drmic, Yann Sommer, Michael Lang alle Borussia Moenchengladbach

Denis Zakaria, Nico Elvedi, Josip Drmic (hinten, v. l.) sowie Yann Sommer und Michael Lang: Die Schweizer Nationalspieler bei Borussia Mönchengladbach sind an verschiedenen Punkten ihrer Karriere.

Robert Eikelpoth

Total 85 000 Mitglieder und über 1000 Fanklubs – Borussia Mönchengladbach ist einer der populärsten Fussballklubs in Deutschland. Seit der Klub in den 70er-Jahren fünf Meistertitel mit einer überaus jungen Mannschaft gewann, wird das Team auch «Die Fohlen» oder «Fohlenelf» genannt. Schweizer Spieler haben dort seit Jahren Tradition. Jörg Stiel (2001–2004), David Degen (2006–2007), Granit Xhaka (2012–2016) und Djibril Sow (2015–2017) haben für Schwarz-Weiss-Grün schon gespielt, Yann Sommer (seit 2014), Nico Elvedi und Josip Drmic (seit 2015), Denis Zakaria (seit 2017) und Michael Lang (seit 2018) tun es noch heute. 

”Ich mache mir keine Gedanken über England. Aber wenn ein grosser Klub anfragt, schaue ich mir das an“

yann sommer

ETWAS KOMMT NOCH

«Eins plus mit Sternchen.» Das ist nur eines der vielen guten Zeugnisse, die Yann Sommer seit 2014 in den deutschen Medien bekommen hat. Bis Mitte März hat er in der aktuellen Bundesliga-Saison elf Mal zu null gespielt. Und selbst wenn er mit Gladbach gegen die Bayern 1:5 untergeht, wird er wegen seiner spektakulären Flugeinlagen gelobt. Nach seinem fantastischen WM-Sommer 2018 bangen die Fans um ihn, als Liverpool, Arsenal und AS Rom als Interessenten genannt werden. Aber er bleibt. Jetzt ist er 30. Im besten Alter für einen Torhüter. Zwischen zwei Trainings lässt er sich in den Katakomben des Borussia-Park in einen Stuhl fallen. «Es ist schwierig zu sagen, ob ich auf dem Höhepunkt meines Schaffens bin», sagt Sommer. «Ich kann nicht sagen, dass ich mich so fühle. Ich bin ein krasser Perfektionist, nie zufrieden. Das steht mir manchmal auch im Weg.»

Yann Sommer for Borussia Moenchengladbach

Yann Sommer beim 3:0-Auswärtssieg bei den Bayern

2018 DFL

Die grossen Fussstapfen seines Vorgängers Marc-André Ter Stegen, des deutschen Nationalgoalies, füllt er mittlerweile aus. Sommer gehört wohl zu den 20 besten Goalies auf der Welt. Zwischen dem Status von Borussia Mönchengladbach und seinem eigenen gibt es Parallelen. Man gehört zur Spitze, im Hinterkopf ist aber die ganz grosse Bühne. «Als ich 2014 hierherkam, hiess es, der grösste Traum wäre es, international wieder dabei zu sein. Dann spielten wir zwei Saisons in der Champions League. Und die Ansprüche stiegen sehr hoch.» Er findet, man soll die Kirche im Dorf lassen, wenn es mal zwei Niederlagen am Stück gibt. «Gladbach ist ein ausgezeichneter Klub. Aber es ist auch ein Klub, bei dem Jahr für Jahr Spieler weiterziehen. Es gibt immer neue Gesichter, wir formen Jahr für Jahr ein neues Team.» Er versteht die Fans, die ihn nach den Trainings auf die guten alten Zeiten ansprechen. Auf die fünf Meistertitel in den Siebzigern, die Stars wie Günter Netzer. «Die Leute wünschen sich wieder so eine Zeit.» Dass Gladbach nicht die finanziellen Möglichkeiten von Bayern und Dortmund hat, sei nicht frustrierend. «Es fehlt nicht viel. An guten Tagen sind wir auf Augenhöhe oder auch mal besser. Klar, würde ich gern mal einen Titel gewinnen. Christian Gross hat uns früher gesagt: Das Silbergeschirr ist das, was zählt.» Bis 2021 läuft sein Vertrag. Was er tun wird, wenn ein Weltklasseklub ihn mit aller Macht will? «Ich verschwende keine Gedanken an das, was noch nicht ist», sagt er. Sein Blick sagt: Etwas kommt noch. 

BARCELONA? BORUSSIA!

Es ist schwierig, Denis Zakaria die Laune zu verderben. Das liegt einerseits an seinem Naturell. «In diese Leichtigkeit wurde ich hineingeboren», sagt der 22-jährige Genfer. «Meine Mutter, meine Familie – wir haben das.» Andererseits ging die Karriere des 1 Meter 91 grossen defensiven Mittelfeldspielers seit Jahren nur in eine Richtung: nach oben. Das ist so, als er 2015 von Servette zu YB stösst, wo ihn Adi Hütter schnell zu einer wichtigen Figur macht. Zwei Jahre später kommt er in die Bundesliga und spielt, als ob er nie etwas anderes gemacht hätte. 30 Partien, die meisten von Beginn weg. Er wird von allen Seiten mit Lob überhäuft. Seit dem vergangenen Sommer aber verspürt er erstmals in seiner Karriere Widerstand. Statt auf der Sechser-Position muss er sich auf der Acht zurechtfinden. Das macht ihm Mühe. Er entwickelt zuerst nicht dieselbe Wucht, ist oft einen Schritt zu langsam. Seine Einsatzzeit schwindet markant. «Es war schwer für mich, damit umzugehen», sagt er. «Nach so einer ersten Saison. Dann kam ich von der WM mit breiter Brust. Ich konnte es kaum akzeptieren. Jetzt arbeite ich hart. Es geht immer besser.»

Denis Zakaria of Borussia Moenchengladbach

Denis Zakaria: «Dass ich schon früh mit Patrick Vieira verglichen wurde, machte mir keinen Druck. Es hat mich bestärkt, der Bestmögliche zu werden.»

2019 Borussia Moenchengladbach

Zakaria ist keiner, der deswegen gleich umfällt. Früh wurde er mit einem schweren Rucksack beladen. Ein zweiter Patrick Vieira sei er, hiess es. Andere würden an solchen Erwartungen zerbrechen. «Mir hat das keinen Druck gemacht, sondern mich bestärkt. Ich will der Bestmögliche werden.» Als Kind hat er keine Ahnung, wer oder was Gladbach ist. Er träumt vom FC Barcelona. «Jetzt ist das für mich zum Traum geworden. Dieser Traum ist im Moment gerade gross genug für mich.» Wenn er wählen könnte, die Nummer 15 bei Chelsea zu sein oder die 8 in Gladbach, ist seine Entscheidung klar. «Ich würde nirgendwohin, um auf die Bank zu sitzen. Auch nicht zu Barcelona.» Gladbachs Sportdirektor Max Eberl ist sich jedoch bewusst, wie viel Potenzial Zakaria hat. «Ihm traue ich sehr viel zu. Wohin seine Reise geht, können wir jetzt aber noch nicht sagen.»

BLENDENDE AUSSICHTEN

Wenn Nico Elvedi zurückblickt, wie er als «junger Spieler» zu Borussia Mönchengladbach kam, hat das etwas unfreiwillig Komisches. Denn der Zürcher ist erst zarte 22 Jahre alt. Aber eben: Er ist schon vier Jahre hier. Als er mit 18 Jahren vom FCZ nach Nordrhein-Westfalen reist, ist es nicht der Fussball, der ihm zu schaffen macht. «Nein, das war nicht so schwierig. Schon eher, dass ich damals allein war, ohne meine Eltern, meinen Zwillingsbruder, meine Kollegen. Ich musste allein die Wäsche machen, putzen. Ich wurde selbstständig. Das hat mir gutgetan.» Nico, der gemäss seinem Vater Adrian «von klein auf im Kopf schon viel weiter war als seine Alterskollegen und meist einen Schritt schneller», hat die Experten überzeugt. Zuerst als Rechtsverteidiger, dann in der Innenverteidigung. Über hundert Bundesliga-Spiele stehen bereits in seiner Statistik.

Nico Elvedi of Borussia Monchengladbach

Nico Elvedi feiert in der Hinrunde mit seinen Teamkollegen den 3:0-Auswärtssieg bei Bayern München.

Getty Images

Elvedi, den sein früherer Trainer André Schubert wegen seiner furchtlosen und coolen Spielweise einst «Eisvogel» nannte, wirft so schnell nichts aus der Bahn. Selbst, wenn er für seine raren defensiven Aussetzer in den Medien kritisiert wird. «Ich bin im Kopf sehr stabil», sagt er. «Auch wenn es mir nicht läuft oder wir verlieren.»

Sein Wechsel in die Innenverteidigung könnte ihm nun auch für die Zukunft im Nationalteam gute Karten geben. Der Dreikampf um die Positionen ist zwischen ihm, Manuel Akanji und Fabian Schär offener denn je.

”Plötzlich bist du weg vom Fenster. Ich will spielen, mich zerreissen“

josip drmic

LERNEN, GLÜCKLICH ZU SEIN

Gibt es für einen Fussballer einen Tiefpunkt? Josip Drmic kann bei dem Thema mitreden. «Es gab Spezialisten, die mir nach meinem zweiten Knorpelschaden am Knie sagten: ‹Das wars wohl. Du musst dir vielleicht etwas anderes suchen als Fussball.› Wenn alle nur noch auf den Boden schauen, dann bist du hilflos.»

Dabei sieht es für ihn noch vor ein paar Jahren nach einer verheissungsvollen Karriere in der Bundesliga aus. Nachdem er in der Saison 2013/14 für Nürnberg 17 Tore erzielt und zu Leverkusen wechselt, ist er bei einem potenten Klub angekommen. Es sollte der Anfang schwieriger Jahre sein. Denn die Konkurrenz in Leverkusen ist zu gross. Er wechselt zu Mönchengladbach, kommt nicht in Fahrt, wird ausgeliehen an den HSV. Dort zieht er sich den ersten Knorpelschaden zu. Zurück zu Gladbach. Sechs Monate Pause, Reha. «Du kämpfst dich zurück, spielst dich zurück. Dann passierte dasselbe nochmal.»

Josip Drmic of Borussia Moenchengladbach

Josip Drmic kämpft im Testspiel gegen die Münchner im Januar um jede Spielminute.

Getty Images

Der zweite Knorpelschaden. Operation im Mai 2017, Comeback im November. Es ist ein zäher Kampf, den Körper wieder in Topverfassung zu bringen. Es ist auch ein Kampf um Spielminuten. Drmic erzielt von März bis Mai 2018 vier Meisterschaftstore, schafft es an die WM, schiesst gegen Südkorea ein Tor. Kehrt zurück zu Mönchengladbach, trifft in der Vorbereitung. «Und dann spielte ich trotzdem nicht. Plötzlich war ich wieder weg vom Fenster.» Allassane Plea, der Franzose, kommt von Nizza. Mit 23 Millionen Euro ist er der teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte. Und sichert sich mit seinen Toren einen Stammplatz, neben Thorgan Hazard und Lars Stindl. Drmic ist überzählig. Die Wochen ziehen vorbei. «Das Geschäft ist gnadenlos», sagt er. Man spürt, dass er sich in den vergangenen Jahren wie Ware gefühlt hat. «Es ist sofort einer da, der dich ersetzen kann.» Er wirkt desillusioniert. «Vielleicht bin ich auch einfach reifer und älter geworden durch die Erfahrungen. Ich musste lernen, das Glücklich-Sein nicht vom Sport abhängig zu machen. Ich musste mich davon frei machen.» Trotz allem sei er Gladbach auch dankbar. Für die Zeit, die sie ihm zum Aufbau gaben, für die Freiheiten. Es sei ein Verein mit Herz. Die Zukunft? «Für mich ist sie ein Fragezeichen. Es ist schwierig zu sagen, ob für mich hier noch einmal eine Tür aufgeht. Vielleicht explodiere ich, vielleicht geht es in eine andere Richtung. Wer weiss das schon?» Sein Wunsch sei es, einfach zu spielen. «Ich würde mich zerreissen.»

”Es war immer klar, dass dies kein Kindergeburtstag ist“

Michael Lang

AUS DER KOMFORTZONE

«Es hat sich alles gelohnt.» Das geht Michael Lang immer wieder durch den Kopf. Jedes zweite Wochenende spielt er vor 50 000 Zuschauern im Borussia-Park. Jedes zweite Wochenende vor der genialen Nordkurve. «Das ist nochmal eine andere Grössenordnung als beim FC Basel», sagt Lang. «Auch wenn ich in andere Stadien einlaufe, bleibt mir manchmal kurz der Mund offen stehen. Und mit uns reisen bis zu 10 000 Fans. Das muss man sich einmal vorstellen.» Er ist froh um diese Station. Dass er raus ist aus der Komfortzone, die er in Basel hatte. «Ich wollte diese Erfahrung. Natürlich beschäftigt es mich, wenn ich zweimal nicht spiele», sagt er. «Aber es war mir immer klar, dass dies hier kein Kindergeburtstag ist. Manchmal ist einfach ein anderer Spielertyp gefragt.» Die Bundesliga bestätigt alles, was er erwartet hat. «Es ist alles viel schneller, dynamischer. Vor allem vom Kopf her. Die Entscheidungsfindung muss sofort kommen. Im richtigen Moment loslaufen, den Pass spielen.» Natürlich hat es geholfen, dass er im Klub Freunde aus der Nati angetroffen hat. «Nur schon um in der Garderobe auf Schweizerdeutsch einen Spruch zu machen. Josip beispielsweise kenne ich schon, seit wir 16 waren. Wir haben einen langen Weg hinter uns. Mit Hochs und Tiefs.» Sie wissen, dass den Fussball-Himmel und die Fussball-Hölle nur wenig trennt.

Michael Lang of Moenchengladbach

Michael Lang im Bundesliga-Spiel gegen Düsseldorf im November: «Alles geht viel schneller hier. Der Kopf muss immer bereit sein.»

Getty Images

Sie sprechen miteinander. Versuchen sich aufzubauen, wenn es nicht läuft. «Aber es gibt viel Schlimmeres, als nicht auf dem Platz zu stehen, auch wenn der Fussball mein Leben dominiert.» Neulich habe er mit seinem Vater telefoniert. «Er hat gesagt: ‹Ich hoffe, dass du spielst. Und wenn du nicht spielst, geht die Welt nicht unter. Es ist letztlich nur Fussball.›»

Das habe er sich zu Herzen genommen. Er weiss: Er ist glücklich. Es geht ihm gut.

Von Christian Bürge am 29. März 2019 - 06:00 Uhr