Mr. Smith, es hat sich rein zufällig so ergeben, dass wir dieses Interview just in der Woche des «Independence Day» führen, des amerikanischen Unabhängigkeitstags. Die Unabhängigkeitserklärung enthält ganz am Anfang den Satz: «Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich erschaffen wurden.» Was kommt Ihnen bei dem Satz in den Sinn?
Alle Menschen sind tatsächlich gleich. Aber Menschen wurden entrechtet. Durch Gesetze, die diese Gleichheit aufheben. Menschen haben den Gleichheitsgrundsatz ignoriert und den Rassismus erfunden. Rassistische Vorstellungen wurden legalisiert, um mit Menschen Geld zu verdienen. Man brauchte jemanden, der auf dem Feld arbeitet. So wurde mit der Sklaverei bestimmten Menschen einfach deren Freiheit genommen.
Sie haben als junger Mensch noch Rassentrennung hautnah erlebt?
Ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem es überall Rassentrennung gab. Ich wurde im tiefsten Texas geboren, wo ich nicht viele Weisse gesehen habe. Aber wir sind 1951 nach Kalifornien gezogen. Da wurde mir klar, dass schwarze Amerikaner mit den Worten in der Unabhängigkeitserklärung nicht gemeint waren. Ich bin in Kalifornien in die Schule gegangen, in der die Mehrheit der Kinder weiss war. Und ich erinnere mich, was ich in der fünften Klasse erlebt habe, als die Pausenglocke läutete und wir zum Unterricht zurückgerufen wurden. Wir mussten alle so schnell wie möglich laufen, weil unser Spielbereich abseits lag. Und da gab es diesen weissen Jungen, der den Ton angab und herumbrüllte: «Wer als Letzter im Klassenraum ankommt, ist das Nigger-Baby.» Ich wusste damals nicht, was das bedeutete. Natürlich habe ich alle abgehängt, weil ich schnell war. Aber ich dachte über den Satz nach. Niemand möchte ein «Nigger-Baby» sein. Ich fragte mich, warum er das gesagt hat. Ein weisser Junge, Mitte der 50er-Jahre.
Es ist einer der aufsehenerregendsten Momente der Sportgeschichte, und er findet als ikonisches Bild Eingang ins öffentliche Bewusstsein: An den Olympischen Spielen 1968 in Mexico City erheben die amerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos an der Siegerehrung des 200-Meter-Laufs ihre mit schwarzen Lederhandschuhen bekleideten Fäuste.
Carlos hatte die Idee, Smith gehören die Handschuhe. Eine einfache Geste sollte es sein, die jeder versteht, erklärt Smith später. Die schwarze Faust ist das Symbol der Bürgerrechtsbewegung Black Power. Smith und Carlos verfügen über das, was unter Sportlern seit je selten zu finden ist: politisches Bewusstsein und darüber hinaus den Mut, ihre Karriere für ein Ideal aufs Spiel zu setzen.
Sie waren in Ihrer besten Zeit Weltrekordhalter über 200 Meter und damit der schnellste Mann auf dem Planeten. Das amerikanische Leichtathletik-Establishment öffnete damals die Türen für schwarze Talente, vor allem dafür, dass sie Amerika im ideologischen Wettbewerb zwischen den USA und der Sowjetunion gut aussehen liessen. Fühlten Sie sich dadurch ausgebeutet?
Ich habe einfach nur getan, was ich tun musste, um weiterzukommen. Ob in der Highschool oder im Studium. Sport war schon als Kind für mich die einzige Sphäre, in der ich ein Gefühl von Freiheit erlebte. Ich hatte elf Brüder und Schwestern. Wir haben oft unsere eigenen Wettbewerbe entwickelt. Im College hatte ich einiges davon bewahrt, so dass ich mich frei fühlte. Körperlich frei. Als ich merkte, dass mir Sport ein Sprungbrett für den Aufstieg in der Gesellschaft bietet, nutzte ich die Gelegenheit. Das bedeutete damals nicht Vergütung oder finanziellen Aufstieg. Es schuf aber Möglichkeiten zum Studium. Dann, als die Olympischen Spiele heranrückten, erkannte ich eine andere Plattform, im Rahmen einer gesellschaftlichen Bewegung Leuten zu vermitteln, dass dieser Tommie Smith nicht nur 200 Meter in 19,83 Sekunden laufen kann, sondern auch in der Lage ist, seine Freiheitsrechte auszuüben und sein politisches Bewusstsein zu demonstrieren.
Das haben Sie getan, indem Sie zusammen mit John Carlos den Black-Panther-Gruss auf dem Siegerpodest bei den Olympischen Spielen in Mexico City als Ihre Form des Protests zeigten. Wie kam es dazu?
Ich hätte mir garantiert auch dann etwas einfallen lassen, wenn ich damals als einziger Amerikaner nach dem 200-Meter-Rennen auf dem Treppchen gestanden hätte. Diesen schwarzen Handschuh, den hätte ich irgendwie eingesetzt. Besonders nachdem der ursprünglich geplante Boykott der Spiele durch die schwarzen amerikanischen Olympiateilnehmer abgesagt worden war. Das «Olympic Project for Human Rights» war an unserer Universität, der San José State in Kalifornien, begründet worden. Und wir hatten vor den Spielen Forderungen gestellt. Aber dann beschloss eine Mehrheit, dass es besser wäre, wenn jeder für sich entscheidet, ob er teilnimmt oder nicht.
Man schreibt den 24. Juni 1995: Das Johannesburger Ellis-Park-Stadion ist mit 64 000 Zuschauern randvoll, 63 000 von ihnen sind weiss. Südafrikas Rugby-Team — mit einer Ausnahme ebenfalls weiss — trifft im WM-Final auf die All Blacks aus Neuseeland. Fachleute räumen den Springböcken kaum eine Chance ein.
In der Umkleidekabine zieht sich der damalige Captain François Pienaar gerade die Schuhe an, als die Tür aufgeht und der seit einem Jahr regierende Präsident Nelson Mandela eintritt. Pienaar erzählt später: «Ich traute meinen Augen nicht — vor allem, als ich sah, welches Kleidungsstück Mandela trug: Unser Trikot!»
Das grüne Shirt galt bei schwarzen Südafrikanern jahrzehntelang als Tabu. Denn Rugby ist der Inbegriff des Sports der Buren — und in seiner Brutalität Sinnbild der weissen Vorherrschaft. Als sich Mandela umdreht, sieht Pienaar «seine» Nummer, die 6, auf Mandelas Trikot: «Ich hätte beinahe losgeweint. Ich war unglaublich stolz.» Auf dem Rasen kann Pienaar die Nationalhymne nicht mitsingen, weil er sonst in Tränen ausbrechen würde. Als die weissen Zuschauer Mandela, den «Terroristen» von einst, dem sie noch immer skeptisch gegenüberstehen, im Springbock-Trikot sehen, brechen sie in Jubel aus. Zuerst zaghaft, dann immer lauter rufen sie: «Nelson, Nelson». Captain Pienaar sagt später: «Es war ein unglaublicher Moment; es war die Geburtsstunde der neuen Nation.» Randnotiz: Südafrika gewinnt den Final gegen Neuseeland 15:12 nach Verlängerung.
Trotzdem schafften Sie es, die Protestaktion zusammen mit John Carlos, der damals hinter Ihnen, dem Goldgewinner, als Dritter ins Ziel kam, so zu koordinieren, dass sie den Charakter einer Choreografie annahm.
Ich wusste nach den Halbfinalläufen, dass wir etwas tun mussten. Ich hatte von meiner damaligen ersten Frau ein Paar Handschuhe geschickt bekommen und hatte sie dabei, als wir uns vor der Medaillenzeremonie unter den Tribünen trafen: Peter Norman aus Australien, der Zweiter geworden war, John Carlos und ich. Carlos und ich sind zusammen zur Universität gegangen. Ich kann mich nicht genau erinnern, aber John machte wohl den Vorschlag, dass jeder von uns beiden einen Handschuh trägt. Ich wollte meine Faust in die Luft recken und beten und auf Socken einlaufen, mit einem Schuh in der Hand, um die alltägliche Armut schwarzer Menschen zu zeigen. John hatte ähnliche Gedanken zum Thema Rassismus. Wir hatten keine Zeit, verbale Erklärungen abzugeben. Also haben wir uns über unsere Körper artikuliert.
Und so entstand das ikonische Foto von Ihnen drei auf dem Podest. Das wurde jedoch erst zu einem Sinnbild, als das weisse Amerika angewidert reagierte und sich deshalb das nationale olympische Komitee der USA daran machte, euch zu bestrafen. Heute ist das Foto Symbol für zwei mutige schwarze Amerikaner, die genau deshalb in Ehren gehalten werden, weil sie damals protestiert haben. Zuerst Geächtete, dann Ikonen — wie erlebt man so etwas?
John Carlos und ich haben damals kein Wort gesagt. Aber wir haben eine universelle Botschaft an alle Menschen übermittelt, dass Veränderung etwas für das ganze Leben ist. Mein Kampf war ein Kampf für Freiheit. Kein Versuch, einen Aufstand anzuzetteln, sondern vorwärts zu marschieren.
Im Jahr 2000 jubelt ganz Australien über den Olympiasieg der 400-m-Läuferin und Aborigine Cathy Freeman. «In diesem Moment wollten wir uns mit den Aborigines aussöhnen», schreibt damals ein australischer Kolumnist.
«Stolz unseres Landes», «Catherine the Great» und «Our Cathy» titeln australische Zeitungen. «Die City explodierte», berichten Morgenblätter über die Nacht, in der Zehntausende ausserhalb des Stadions das «Rennen des Jahrhunderts» auf Bildschirmen verfolgen, in Freudengesänge ausbrechen und auf der Strasse Champagner entkorken.
Weshalb die ungeheure Anteilnahme und Identifikation eines 19-Millionen-Volkes mit einer 27-jährigen Frau? Weshalb ist es für Australien wichtig, dass Cathy Freeman Gold gewinnt? Kolumnist Peter FitzSimons nennt in «The Sydney Morning Herald» ein paar Gründe. «Es war wichtig, weil wir eine Nation mit einer zutiefst getrübten Vergangenheit bezüglich Aborigines sind. In diesem Moment versuchten wir uns auszusöhnen und die düstere Vergangenheit in eine strahlende Zukunft zu verwandeln.» Viele sehen im Triumph der jungen Frau ein fast spirituelles Ereignis: Der Geist von «Aboriginal Australia» sei mit Cathy gelaufen, als sie siegte. Für das stärkste politische Zeichen sort Freeman schon bei der Eröffnungsfeier: Dass eine Aborigine das olympische Feuer entzündet,
gilt als Sensation.
Stimmt es eigentlich, dass Sie mit John Carlos später irgendwann Meinungsverschiedenheiten hatten?
John und ich sind zwei sehr willensstarke Männer. Und einige der Dinge, die er gesagt hat, bedeuteten im Grunde das gleiche, was ich gesagt hätte. Auch wenn er sauer war, dass wir uns in bestimmten Dingen nicht einig sind. Er spricht mehr als ich. Also haben viele Leute eher ihm zugehört als mir. Aber das ist cool. Ich liebe den Typen. Mit ihm zu reden, ist ungeheuer interessant. Das ist John Carlos. Es gibt keinen wie ihn. Wir sind einfach zwei ältere Jungs, die ihre Unabhängigkeit voneinander bewahren wollen.
Wer ist denn dieser Tage schneller?
Das weiss ich nicht, ausser dass John Carlos ein schnelleres Auto hat als ich.
Apropos Alter: Seit 1968 haben Sie immerhin einige Fortschritte erlebt. Welche davon sind Ihnen besonders wichtig?
Ich bin nun 76 Jahre alt, fühle mich gesegnet, hier zu sein und eine eigene Organisation zu haben, die Tommie Smith Youth Initiative. Ich helfe heute Kindern, zu begreifen, wie wichtig es ist, geistig hellwach zu sein. Egal was ihr tut, sorgt dafür, dass ihr nachdenkt, dass ihr eurer Mutter und eurem Vater viele Fragen stellt. Wenn sie die Antwort nicht wissen, fragt eure Lehrer. Wenn die Lehrer keine Zeit haben, fragt jemand anderen. Man braucht in diesem System Unterstützung, wenn man sich entwickeln will. Viele Profisportler helfen mittlerweile jungen Menschen, sich auf eine positive Weise weiterzuentwickeln.
1974 ist ein geschichtsträchtiges Jahr für das zentralafrikanische Land Zaire (heute Demokratische Republik Kongo). Im vielleicht epischsten Boxkampf der Geschichte («Rumble in the Jungle») holt sich Muhammad Ali gegen George Foreman in Kinshasa die Schwergewichtskrone zurück. Und die zairische Fussball-Nationalmannschaft qualifiziert sich als erste schwarzafrikanische Equipe für eine WM-Endrunde. Vier Jahre zuvor hat die Fifa dem afrikanischen Kontinentalverband einen fixen Platz im WM-Feld zugestanden. Mit anderen Worten: Der Weltverband brauchte seit der ersten WM 40 Jahre, um Afrika einen Startplatz zu gewähren — und damit offiziell anzuerkennen, dass auch dort kompetitiver Fussball gespielt wird. Und dies, obwohl im Jahr 1968 bereits 37 nationale Verbände aus Afrika Fifa-Mitglieder waren — heute sind es 56.
Das zairische WM-Debüt wird zur bitterharten Lektion. Verlief der Auftakt zur WM mit einem 0:2 gegen Schottland noch halbwegs erträglich, verkommt das Turnier für die Neulinge danach zur Höchststrafe: Am 18. Juni 1974 verliert Zaire gegen Jugoslawien 0:9, was damals die höchste Niederlage an einer WM bedeutet. Nach dem 0:3 im letzten Gruppenspiel gegen Brasilien muss die Mannschaft mit 14 Gegentreffern heimfliegen. Trotzdem ist die schwarzafrikanische Premiere ein Ereignis mit Symbolcharakter. 1990 qualifiziert sich erstmals eine afrikanische Mannschaft (Kamerun) für die WM-Viertelfinals, zwanzig Jahre danach wird die Fussball-WM erstmals in Afrika (Südafrika) ausgetragen. Heute gehören afrikanische Spieler in allen europäischen Ligen zu den grössten Attraktionen.
Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was aus Ihrem Leben geworden wäre, wenn Sie damals nicht protestiert hätten, sondern einfach mit der Goldmedaille um den Hals stolz nach Hause gekommen wären?
Mir wurde viel weggenommen, als uns das IOC und dann das amerikanische NOK von jeder weiteren Teilnahme ausschlossen. Ja, mein Leben wäre anders verlaufen. Ich kann nicht sagen, wie. Aber ich weiss, dass ich nicht ohne Aussicht auf einen Job in die USA zurückgekehrt wäre. Dass ich keine Freunde verloren hätte. Dass meine Ehe nicht wegen all dem auseinandergefallen wäre. Ich habe schon vor den Olympischen Spielen Morddrohungen erhalten. Und noch mehr danach.
Damals hat man als Sportler kein Geld verdient. Es galt ein strenges Amateurstatut. Mittlerweile verdienen Athleten immense Summen. Aber wenn sie sich querstellen, riskieren sie noch immer einiges. Jemand wie Colin Kaepernick hat eine Menge an Verdienstmöglichkeiten eingebüsst. Kann man Ihr Verhalten damals mit dem von Kaepernick heute überhaupt vergleichen?
Colin Kaepernick ist ein grossartiger Typ, der mit seinem Kniefall Rassismus, Polizeibrutalität und die Morde an Schwarzen in den Strassen Amerikas thematisiert hat. Er hat bewusst ein Opfer gebracht, als er begann, sich für das einzusetzen, woran er glaubt. Junge Menschen haben Vorbilder. Colin Kaepernick ist sicherlich ein solches Vorbild. Jetzt bekennt sogar der Commissioner der NFL, man habe einen Fehler gemacht.
Der Sohn eines Sklaven muss lange warten, bis er um die WM boxen darf. Weisse Champions weigern sich nämlich, gegen einen Schwarzen zu kämpfen. Als der Texaner 1908 gegen Tommy Burns endlich zu einem WM-Fight antreten kann, verspottet er seinen Gegner und zögerte die Entscheidung hinaus.
Nach der 14. Runde schreitet die Polizei ein, um zu verhindern, dass ein Schwarzer einen Weissen niederschlägt. Doch Johnson erhält den Titel zugesprochen. 1910 wird ein Kampf gegen den sechs Jahre zuvor ungeschlagen zurückgetretenen Jim Jeffries inszeniert, der sagt: «Ich kehre zurück, um zu zeigen, dass ein Weisser besser ist als ein Neger.» Doch Johnson siegt überlegen, was zu schweren Rassenunruhen in den USA führt. Später verlässt Johnson seine Heimat, weil er wegen seiner Beziehungen zu weissen Frauen angeklagt ist. 1920 stellt er sich den Behörden und verbüsst die rund einjährige Haftstrafe. Jack Johnson verunglückt 1946 mit seinem Auto tödlich. Er ist davongerast, nachdem ihm ein Kellner in einem Lokal gesagt hatte, er solle draussen essen. «Das Restaurant ist nur für Weisse.»
Der inzwischen emeritierte Soziologieprofessor Harry Edwards gehörte damals zu Ihrem und John Carlos’ Kreis und hat zwischendurch auch Colin Kaepernick zur Seite gestanden. Hat sich aufgrund dieser Verbindung Kaepernick eigentlich einmal mit Ihnen über Ihre Erfahrungen unterhalten?
Harry ist ein grossartiger Mensch. Wir waren zusammen auf der Universität. Er war drei Jahre weiter als ich. Er hat das Menschenrechtsprojekt «Olympic Project for Human Rights» als Antreiber gedanklich entwickelt. Aber wir brauchten ihn nicht, um den Kontakt zu Kaepernick herzustellen. Das hat auch so funktioniert. Auch wenn die Unterhaltungen jeweils relativ kurz waren. Einmal persönlich und mehrfach per SMS und E-Mail.
Welchen Eindruck hatten Sie von den Gesprächen mit ihm?
Ich glaube, Colin war sich bewusst, dass er von John und mir einiges lernen kann. Dass sein Kampf und unserer damals einander ähneln. Das ist das Gute an den protestierenden Profisportlern von heute. Anstatt sich zurückzulehnen, nur Geld zu verdienen und sich ausbeuten zu lassen, haben sie begonnen, sich zu Wort zu melden. Wir sollten sie auf jeden Fall unterstützen, dabei aber vor Augen haben, weshalb wir das tun. Es geht nicht nur darum, dass sie schwarz sind oder halbschwarz, sondern darum, was sie sagen. Wir wollen uns für den Fortschritt engagieren, nicht für eine Aktivität, bei der man nur einen Schritt nach rechts oder nach links oder sogar nach hinten macht.
In den USA werden grosse Verdienste von Sportlern in überdimensionalen Bauten in Erinnerung gehalten. So trägt die grösste Tennis-Arena der Welt in New York den Namen von Arthur Ashe. Davor steht eine Statue von ihm. Der Prunkbau hat wenig mit dem Namensgeber zu tun. Arthur Ashe, so steht es auf der Gedenktafel in Flushing Meadows, war «ein Mann von einzigartiger Anmut», ein «Champion mit aussergewöhnlichem Talent». Ein Spieler mit einem Vermächtnis, das weit über den Tennissport hinausreicht.
Der in einfachen Verhältnissen in Richmond, im wertkonservativen Süden der USA, geborene Ashe, bekämpft mit seiner Popularität Diskriminierung und Armut auf der ganzen Welt. «Das Spiel gab ihm eine Plattform, über die Themen zu reden, die ihm am Herzen lagen», sagt seine Witwe Jeanne Moutoussamy Ashe nach seinem Tod 1993. Ashe gewinnt in seiner Karriere drei Grand-Slam-Turniere — 1968 das US Open, 1970 das Australian Open und fünf Jahre später, als Höhepunkt nach einem denkwürdigen Final, gegen Jimmy Conners Wimbledon. 1968 holt er mit den USA den Davis-Cup — notabene als erster schwarzer Spieler, der es in die Mannschaft schafft.
Das Schicksal verweigert ihm aber das Happy End. 1988 erhält Ashe bei einer Herzoperation eine HIV-verseuchte Blutkonserve. Fünf Jahre später stirbt er an Aids. Sein Name wird im Kampf um die Rechte der Schwarzen in Erinnerung bleiben. Für seine Unterstützung humanitärer Einsätze wird Ashe 1992 von der Zeitschrift «Sports Illustrated» zum Sportler des Jahres gewählt. Am 20. Juni 1993 erhält er postum die «Presidential Medal of Freedom».
Dann gibt es jene afroamerikanischen Sport-Superstars, etwa Basketballprofi LeBron James, der mit seinen finanziellen Mitteln benachteiligten Menschen hilft, der über seine Stiftung eine Schule für 250 Kinder in seiner Heimatstadt Akron gegründet hat und bereit ist, sich in der Öffentlichkeit auch kritisch zu äussern.
Ja, es gibt viele wie LeBron. Er steht tatsächlich hinter all dem, was er sagt. Er ist ein grossartiger Basketballspieler. Es gibt auch Stephen Curry, der viel tut. Und es gibt jemanden wie Kareem Abdul Jabbar und Ex-Footballprofi Jim Brown. Sie arbeiten getrennt voneinander, aber bewegen gemeinsam eine Menge.
In Europa wundert man sich über rechte Sportfans in den USA, die versuchen, den Einfluss afroamerikanischer Athleten herabzumindern. Jüngstes Schlagwort aus der Ecke: «Haltet eure Klappe und dribbelt!» Was denken Sie über diese Leute?
Das kenne ich. Mir wurde auch gesagt, dass ich die Klappe halten soll und meine Rennen laufen. Das ist erniedrigend. Athleten artikulieren tendenziell selten ihre Unzufriedenheit mit den Verhältnissen, weil sie von einem bisschen Geld abhängig sind, von einem Stipendium, einem neuen Auto oder einer neuen Freundin. Wir waren an der Universität als Leichtathleten etwas Ähnliches wie die Sklavenarbeiter auf dem Feld. Wir sollten die Ernte einfahren. Seitdem haben sich viele Türen für Athleten geöffnet. Ihnen heute solche Sprüche hinterherzurufen, funktioniert nicht mehr so wie vor 50 Jahren.
”Mir wurde viel genommen. Klar, wäre mein Leben anders verlaufen, hätte ich einfach die Medaille umgehängt und wäre gegangen“
Tommie Smith
Jackie Robinson verschob 1947 die Grenzen im US-Sport. Als erster Afroamerikaner erhielt er einen Vertrag in der Major League Baseball. Die USA sind Mitte der 1940er-Jahre ein Land der Widersprüche: Die Schwarzen erhalten Ehrungen wegen ihrer Kriegsverdienste, müssen im Bus aber hinten sitzen und auch achtzig Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei schwere Demütigungen ertragen. Dazu zählen die Negro Leagues für dunkelhäutige Baseballspieler. Denn Schwarze sind von der MLB aufgrund eines Gentelmen’s Agreement unter den Klubbesitzern seit den 1880er-Jahren ausgeschlossen. Die rassistische Praxis hält an, bis Branch Rickey, der legendäre Manager der Brooklyn Dodgers, den hochtalentierten Robinson entdeckt.
Es ist ein Transfer von durchschlagendem Erfolg. Am 15. April 1947 debütiert Robinson als erster Schwarzer in der MLB. Gleich in seiner ersten Saison gewinnt er den Titel des «Rookie of the Year», zwei Jahre später wird er zum wertvollsten Spieler der Liga gewählt. 1955 gewinnt er mit den Dodgers gegen die New York Yankees die World Series. 1962 wird Robinson als erster Afroamerikaner in die «Hall of Fame» gewählt. 1997 schliesslich setzt die Major League Baseball ein aussergewöhnliches Zeichen: Kein Spieler darf je wieder Robinsons Rückennummer 42 tragen. Noch heute gilt der Mann aus dem Bundesstaat Georgia als Symbolfigur im Kampf gegen Rassismus und als einer der wichtigsten Wegbereiter für dunkelhäutige Sportler.
Werden Sie heute auf der Strasse eigentlich noch erkannt?
Ich lege keinen Wert darauf, auf ein Podest gestellt zu werden und von jedem erkannt zu werden. Aber es werden noch ein paar Dinge passieren. Halten Sie die Augen offen. Derzeit laufen einige Aktivitäten, die Tommie Smith wieder etwas bekannter machen werden. Es kommt irgendwann ein Dokumentarfilm heraus. Es gab eine Ausstellung unter dem Titel «With Drawn Arms» im High Museum in Atlanta, die danach nach San José in Kalifornien gewandert ist. Das Coronavirus hat die Verbreitung ein wenig erschwert.
Sie haben im Jahr 2007 unter dem Titel «Silent Gesture» Ihre Autobiografie veröffentlicht. Müssten Sie inzwischen nicht zumindest ein Kapitel über die aktuellen politischen Entwicklungen anfügen?
Ich habe überlegt, ein weiteres Buch zu schreiben, aber mich dann für das Medium Film entschieden. Das Projekt hat ebenfalls den Titel «With Drawn Arms».
Der Amerikaner Jesse Owens wird zur grossen Figur der Olympischen Spiele 1936 in Berlin – und macht so Adolf Hitler einen Strich durch die Rechnung. Statt einer Propagandashow für sein Drittes Reich muss der Diktator auf der Tribüne mit ansehen, wie ein Schwarzer seinen Ariern die Show stiehlt: Owens gewinnt über 100 Meter, 200 Meter und im Weitsprung. Für die 4x100-Meter-Staffel will er seinen Platz zwei ebenfalls schnellen Sprintkollegen überlassen.
Seine Kollegen haben als Einzige im US-Team jüdische Wurzeln und sollten im Nazireich nicht starten. Also muss Owens auch als Startläufer der Staffel ran – und gewinnt die vierte Goldmedaille. Der dramaturgische Höhepunkt ist der Triumph im Weitsprung. Owens verursacht zwei Nuller und steht vor dem Out. Da hilft ausgerechnet der blonde Deutsche Lutz Long, indem er Jesses Anlauflänge korrigiert. Owens gewinnt, Long wird Zweiter – die zwei umarmen sich und werden Freunde fürs Leben. Owens’ Kommentar ein paar Jahre später: «Hitler muss wahnsinnig geworden sein, als er sah, wie wir uns umarmten.»