Jungschwinget

Buebezüüg

Sie sind kleine Kopien der grossen Schwinger. Eifern in Gang und Gesten den Bösen nach. Beim jungschwinget in Sachseln gehen aber auch die Emotionen hoch. Am Sarnersee sind die Jüngsten nah am Wasser gebaut.

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Buben Schwinget In Sachsen Obwalden 2019 Kinderschwingen Bubenschwingen

Der Blick zum Kampfrichter sagt dem Bub, dass er den Gang gewonnen hat. Der andere hat mit bodenloser Enttäuschung zu kämpfen .

Helmut Wachter

Vor den Buben kommt ein Held. Und zwar einer von hier. Aus den Boxen im Festzelt tönt der «Schacher Seppli», 2007 zum grössten Schweizer Hit gekürt. Das Volkslied, das Ruedi Rymann berühmt machte. «Dr Vogel uf em Bäum, er singt chum lueg dis Ländli a, die Schwiiz isch doch en Träum.» Der Blick geht von der Schulhauswiese in Sachseln hinunter auf den Sarnersee. Die Gegend mit den sanften Obwaldner Hügelzügen ist wie gemalt. Kitschpostkarten-Material. Kein Wunder, wollte Rymann nicht allzu weit weg von hier. Geboren in Sarnen, am einen Ende des Sarnersees, zum «Peterus im Himmelsgwändli» in Giswil, am anderen Ende. Der Jodler war auch Schwinger und später Präsident des Brünigschwinget. Er hätte an dem Jungschwinget in seiner Heimat seine Freude gehabt. Auch da hats ein paar junge Vaganten. 

Es ist kurz nach halb neun Uhr morgens an diesem Samstag. Drei Buben stecken verschwörerisch die Köpfe zusammen, als wollten sie einem Kollegen mit dem Salzstreuer das Rivella-Fläschli veredeln. Doch im Flüsterton ist zu vernehmen: «Du machsch eifach dini Schwüng! Und ich zeig eu denn am Mittag no eppis.» 

Sie sind nervös, chribblig. Klauen sich die Mütze vom Kopf. Dann kommen der Einteilungs-Präsident und seine zwei Gehilfen. Er ruft über den Schulhausplatz: «D Obwaldner uf däre Siite, d Nidwaldner uf däre Siite.» Er macht mit den Händen entsprechende Gesten. Nicht ganz, wie Jesus das Meer teilte. Trotzdem imposant. «Und d Gäscht i de Mitti.» Die acht- und neunjährigen Buben sind die Jüngsten, die heute mitschwingen dürfen. Sie springen auf ihre Seiten, geben ihre Notenblätter ab, dann wird eingeteilt. 

Zum Vergleich mit dem, was sie einst sein könnten, «böse» Schwinger mit über hundert Kilo Kampfgewicht, sind sie jetzt noch Viertel-Portionen. Keine 30 Kilo bringen die Kleinsten auf die Waage. Büebli mit weich gezeichneten Gesichtszügen, feinen Händen und Steckenbeinen. Sprenzel halt. Aber auch gute Esser sind da, Mini-Kopien vom Stucki Chrigu, so scheints. Was sie unterscheidet sind die rosa Wangen. Vieles ist fast wie bei den Grossen. Zum Brunnen vor dem Gang, Wasser ins Gesicht spritzen und auf dem Brunnenrand aufstützen, als hätten sie ein Kreuz wie ein Stier. Die Posen sitzen, wie junge Fussballer Ronaldo vor dem Freistoss imitieren. Nur gehts hier nicht um Eitelkeit. In den Ring, Handschlag, Griff-Fassen. Im Hintergrund Jodelmusik, die das ganze Fest wie in einer anderen Zeit und einem anderen Raum schweben lässt. Vier Minuten dauern die Gänge hier maximal. Oft sind sie nach einer Minute oder zwei entschieden. Hier ein Kurz, da ein Übersprung. Noch keine anspruchsvollen Sachen wie ein Wyberhaken, dafür einfache, aber effektive Schwünge. Dann helfen sie sich auf, geben sich die Hand, dem Verlierer wird das Sägemehl vom Rücken geklopft, zum Kampfrichter am Tisch, auf das Notenblatt schielen.

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Nach einer Niederlage wird der untröstliche Imfeld Ruedi aus Alpnach vom Jungschwinger-Leiter Kiser Ruedi getröstet.

Helmut Wachter

«Ich habe lieber jene, die weinen. Da merke ich, dass sie Ehrgeiz haben»

Kiser Ruedi, Jungschwinger-Leiter

Nah am Wasser gebaut. Das Drama entfaltet sich nach Niederlagen für die meisten beim Abgang. Nachdem sie tapfer die Fassung bewahrt haben, brechen die Dämme. Nicht bei einem oder zwei Ausnahmen. Die Tränen fliessen bei den Jüngsten fast den ganzen Tag. Mal, weil es wehtut, ein Handgelenk ein paar Sekunden zu lange eingeklemmt war oder es einen Schlag auf die Rippen gab. Meist aber drückt ganz einfach die Enttäuschung durch. Imfeld Ruedi aus Alpnach etwa versteht die Welt nicht mehr, weint hemmungslos, bückt sich unter dem Seil durch. Da hatte er dominiert. Und letztlich lag er doch auf dem Rücken. Kiser Ruedi legt den Arm um ihn, tröstet, redet ihm gut zu. Der Jungschwinger-Leiter der Schwingersektion Alpnach hat volles Verständnis. «Ich habe lieber jene, die weinen. Da merke ich, dass sie Ehrgeiz haben. Ruedi hatte grosse Erwartungen, dachte, dass er den Gegner nehmen kann. Dann verliert er. Diese Tränen dürfen ruhig sein.»

Es ist gut, jemanden da zu haben. Mal ist es ein grosser Bruder, Mal die Mutter oder der Vater, mal der Trainer, der aufrichtet. Oft reicht schon eine Hand auf der Schulter. «Ich muss ihnen vermitteln, dass eine Niederlage nicht das Ende der Welt bedeutet. Dass sie jetzt vielleicht einen ringeren Gegner zugeteilt bekommen», sagt Kiser. Vor dem Gang sagt er den Kleinsten nicht zu viel. Dass sie Vollgas geben sollen vielleicht. Im Gegensatz zu den 14- und 15-Jährigen, die technisch schon alles verstehen und einen Schlachtplan mit auf den Weg bekommen. 

Aber nach welchem Muster werden die Sieger erkoren? «Vieles ist bei den Kleinen noch Zufall», sagt Kiser. «Sie fallen so oder anders. Aber Hut ab vor denen, die es immer wieder probieren.»

Natürlich hilft die Postur im frühen Alter. Wenn sie acht oder neun Jahre alt sind und ihre Gegner überragen, fallen den meisten die Siege leichter. «Aber wenn einer nur schwer und lamaschig ist, nützt es ihm später nichts. Sie müssen technisch gut sein.» Kiser zeigt auf einen Turnerschwinger. Epp Severin aus Attinghausen. «Der kleine Urner. Ein Fiiner, aber er hat technisch ein paar sehr gute Mittel. Jetzt hat er gerade gegen einen Seriensieger gewonnen. Ein raffiniertes Bürschtli!» Es sei besser, wenn sie als junge Schwinger körperlich noch nicht so stark sind. Dann lernen sie aus der Not technisch schneller dazu. «Wenn das andere dann dazukommt, sie mit 17, 18 einen Kasten bekommen, umso besser. Mit 15, 16 lernen sie das Technische nicht mehr.» Zwei bis drei Schwünge haben die Kleinsten gut im Griff, vier bis fünf die etwas Grösseren.

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Auch schon im Repertoire. Ein Bub setzt zum Münger-Murx an (links), um den Gegner auf den Rücken zu drehen.

Helmut Wachter

«Drii han ich gwunne, und mis Vorbild isch de Götti»

Huwyler Noe, Attinghausen

Erbarmungslos ist nicht nur der eine oder andere Gegner, sondern an diesem Samstag auch die Sonne. Auf dem Schulhausplatz suchen die einen Kühlung im Sprühnebel der Windmaschine, die anderen drängen in den Schatten. Die Schwinger aus Obwalden, Nidwalden, Luzern, Zug, Schwyz und Uri. Und Poletti Diego aus Cavigliano. «Oise Amici-Schwinger us em Tessin», sagt der Speaker. 208 Jungschwinger zwischen 8 und 15 Jahren sind hier, die sich in den fünf Ringen messen. Immer, wenn ein Eidgenössisches Jahr ansteht, nimmt das Interesse zu. Für einige Klubs ein Segen. Bissig Ueli aus Kerns kennt solche Probleme nicht. Der Jungschwinger-Leiter ist mit 23 Buben die paar Kilometer nach Sachseln gefahren. Sie sitzen beim Bauernhof gegenüber, im Schatten eines Baumes. «Wir haben keine Nachwuchsprobleme. Im Gegenteil. Momentan sind es sogar eher ein wenig viel.» Er ruft den Ältesten zu sich. «Mach mit ihnen das Einturnen im Kreis», sagt er. Dann drehen sie die Arme. Wenn sie heute fertig sind, fahren sie nach Hause, essen, fallen ins Bett. Und morgen früh steht das Buebeschwinget in Meiringen an. 

Ein paar Buben stehen vor dem Gabentempel, schauen die Treicheln an, welche es heute für die besten drei jeder Kategorie gibt, die Zweige und die Tässchen mit dem Müesli drin. «Z Engelberg bin ich es mal Driizehnte worde», sagt einer. «Wäg eim Platz han i kein Zwiig übercho. Huere fräch, gäll!» Die Mädchen sind heute nur als Zuschauer bei den Brüdern dabei. Meitlischwinget gibt es im Frauenschwing-Verband. Der traditionelle Schwingsport tut sich da mit Berührungspunkten schwer. Darum ist das hier in Sachseln auch reines Buebezüüg. 

Zwischen dem vierten und dem fünften Gang an diesem Nachmittag schneidet plötzlich ein Schrei in den gleichmässigen Geräuschteppich. Huwyler Noe vom Schwingklub Attinghausen ist sauer. Die Wut bricht aus ihm heraus. Der Gang war schon gewonnen, dann muss er doch noch als Verlierer vom Platz. Sein Vater beruhigt ihn. Huwyler Kilian, Nationalturner-Schwinger, kann es nachfühlen. «Er verliert halt nit gäre», sagt er. Dann wird Noe doch wieder positiv. «Drii han ich gwunne», zieht er Zwischenbilanz. Sein Vorbild ist nicht der Vater, sondern sein Götti. Der Imhof Andi, Spitzenschwinger, Achter beim Eidgenössischen in Estavayer. Was Noe am Besten kann? «Kurz und Hüfter!» Hat er damit heute schon gewonnen? Noe schaut fragend den Vater an. Der nickt.

im schlussgang sind die Regeln etwas anders. Maximal acht Minuten dauert er. Minimal ungefähr so lange, wie Steinauer Silvan sich für Bieri Levin bei den Acht- und Neunjährigen Zeit nimmt, ungefähr zwei Sekunden. Kaum länger dauert es bei den Zehn- und Elfjährigen. Epp Severin, der kleine Raffinierte, unterliegt Steiner Daniel. Dann fliessen bei Severin die Tränen, Daniel wird von seinen Kollegen auf die Schultern genommen. Derselbe Film wie bei den Grossen läuft. Aber nur fast. Kaum ist er wieder abgeladen, wird er gefragt: «Chunsch oi i See go baade?» Noch sind sie weit weg davon, Böse zu sein. Und noch wissen sie auch, wie man an heissen Tagen Prioritäten setzt.

Buben Schwinget In Sachsen Obwalden 2019 Kinderschwingen Bubenschwingen

Die Siegerpose hat Steinauer Silvan gut abgeschaut.

Helmut Wachter
Von Christian Bürge am 19. Juli 2019 - 05:00 Uhr, aktualisiert 19. Juli 2019 - 09:49 Uhr