Ilaria Kaeslin, wie haben Sie Ihren ersten Sieg beim Mehrkampf am ETF gefeiert?
Kaeslin: Ziemlich ausgiebig. Das ETF ist ein riesiger Event, fast ein bisschen wie Olympia im Kleinformat für uns Turnerinnen. Deshalb bin ich auch sehr stolz auf den Sieg.
Sie waren schon an internationalen Grossanlässen, an WM und EM dabei. Was bedeutet der ETF-Erfolg im Vergleich dazu?
K: Man kann das nicht eins zu eins vergleichen. Bei EM und WM kommen die Besten aus allen Ländern zusammen, deshalb ist es sportlich wichtiger. Beim ETF geht es mehr um Tradition. Da hat der Sieg dafür historische Bedeutung.
Auch wenn Giulia fehlte, weil sie noch nicht 100-prozentig bereit ist?
K: Es war schade, dass sie nicht dabei war, klar. Wäre Giulia als beste Turnerin der Schweiz dabei gewesen, hätte der Sieg nur über sie geführt. Sie ist ein mega Vorbild.
Pablo Brägger, Sie haben in Aarau nach unglücklichem Start noch den zweiten Rang erreicht. Zufrieden damit?
Brägger: Sicher. So ein ETF ist auch für uns Nationalmannschafts-Athleten ein ganz spezieller Event. Schon allein deshalb, weil er nur alle sechs Jahre stattfindet. Es ist fast ein wenig wie eine Schweizer Meisterschaft. National interessiert sich kaum je so viel Publikum für einen Wettkampf.
Giulia Steingruber, welchen Wert hat rückblickend Ihr ETF-Sieg von 2013 nebst Edelmetall bei Olympia und an der EM?
Steingruber: Einen sehr grossen. Es ist der grösste Anlass für die Nationalsportart Turnen in der Schweiz, man darf den Titel sechs Jahre lang tragen. Eine mega Ehre!
Ein Start in Aarau war ausgeschlossen?
S: Zu zwei Geräten wäre ich bereit gewesen, aber nicht für alle. Und an einem ETF nicht alle Geräte zu absolvieren, hat keinen Sinn. Auch wenn mir das Zuschauen etwas wehgetan hat.
Das ETF steht vor allem im Zeichen des Breitensports. Womit verbinden Sie Ihre Jugenderinnerungen an den Anlass?
S: Bei mir war das erste Mal 2007 in Frauenfeld. Da weiss ich aber nicht mehr sehr viel, ich war Primarschülerin. 2013 ist mir präsenter, erstens weil ich den Mehrkampf gewonnen habe und zweitens weil es in Biel war, meiner zweiten Heimat.
K: Ich war ebenfalls 2007 erstmals dabei. Und geblieben ist mir vor allem, dass es ziemlich stressig war, am Morgen aus dem Tessin in die Ostschweiz, an den Wettkampf und danach wieder zurück in den Süden.
Eigentlich schade. Viele der Teilnehmenden freuen sich besonders auf das Drum und Dran, das Zusammensein mit den Vereinskollegen, das Fest neben dem Wettkampf. Haben Sie das auch einmal erlebt?
B: Bisher eigentlich nicht. Mein erstes Mal war 2001 in Liestal. Da war für mich kleinen Pfüderi natürlich nichts mit Festen. Und bei den folgenden ETF stand schon der Leistungssport im Vordergrund. Aber jetzt in Aarau sind wir mehrere Tage vor Ort und können auch das Fest ums Sportliche herum etwas geniessen. Wir haben nach dem ETF Ferien, da liegt es drin, mit alten Kollegen einmal eins zu ziehen.
Nie sind so viele Turnfans beisammen wie an einem Eidgenössischen. Können Sie sich da überhaupt in der Masse bewegen, ohne dauern angehalten zu werden?
K: Bei mir gehts recht gut. Aber mit Giulia und Pablo kommt man wirklich kaum voran.
B: Das ist aber auch schön, irgendwie ist die Hemmschwelle hier niedriger, dass die Leute einen ansprechen und Selfies wollen.
S: Manchmal wird es schon etwas viel, ich stehe nach wie vor nicht gern im Mittelpunkt. Letzte Woche habe ich einmal Kappe und Sonnebrille getragen, damit ich etwas Privatsphäre hatte.
Am ETF wird ja nicht nur an den Geräten geturnt. Auf welche der anderen Aktivitäten hätten Sie auch mal Lust?
G: Mir gefällt das Sektionsturnen. Mit so vielen Leuten, die sich synchron bewegen, eine coole Show hinzubekommen, beeindruckt mich.
K: Mich zieht ebenfalls das Sektionsturnen an. Tanzen und Musik finde ich toll.
B: Mich würden die Leichtathletik-Wettkämpfe oder das Steinstossen reizen. Ob ich den Stein überhaupt in die Luft bekomme?
Das Eidgenössische Turnfest (ETF), der grösste polysportive Anlass der Schweiz, findet alle sechs Jahre statt. In Aarau waren dieses Jahr 69 000 Sportlerinnen und Sportler am Start. Nebst 107 anderen Disziplinen stand das Einzel-Kunstturnen im Zentrum. Dessen Mehrkampf-Wettbewerb gewannen die Tessinerin Ilaria Kaes-lin und der Aargauer Oliver Hegi.
Das nächste Turnfest ist 2025 in Lausanne. Können Sie sich vorstellen, in welcher Funktion Sie dann allenfalls dabei sind?
K: Ich glaube, ich werde noch als aktive Turnerin starten, wenn ich gesund bleibe.
S: Sicher als begeisterte Zuschauerin. Und vielleicht auch als Nachwuchs-Trainerin oder Sektions-Turnerin.
B: Ich sehe mich am ehesten als Trainer bei den kleinen Turnern.
Die nähere Zukunft heisst WM in Stuttgart im Oktober. Mit Ihnen im Einsatz, Giulia?
S: Ja! Ich absolviere die letzten Formtests an der Schweizer Meisterschaft und an einem allfälligen Länderwettkampf. In Stuttgart will ich zu hundert Prozent bereit sein.
Und Sie, Ilaria? Ihre Ambitionen?
K: Mein Ziel ist ganz klar, meinen Beitrag ans Teamresultat zu leisten, damit wir uns für den Teamwettkampf bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio qualifizieren. Mein persönliches Resultat ist nebensächlich.
B: Bei uns Männern gilt es ebenfalls, unter die besten zwölf Teams zu kommen und so die Qualifikation für Olympia zu schaffen. Das hat Einfluss auf die Einzelambitionen. Man muss etwas taktisch turnen, das Risiko im Sinn des Teams kalkulieren. Ist ein Kollege vor dir gestürzt, musst du vielleicht eine einfachere «Sicherheits-Übung» zeigen.
S: Es wird auch für die Trainer keine einfache Sache. Man darf keine reduzierten Übungen zeigen, aber man muss das Risiko tatsächlich abwägen, eine gute Balance finden.
Und dann Olympia 2020!
K: Ja, mein grösstes Karriereziel!
B: Für mich auch das Highlight. Umso mehr, als ich ja vor Rio 2016 stark turnte und am Wettkampf dann Lehrgeld zahlen musste. Jetzt kann ichs nur besser machen. Top-Ten im Mehrkampf wäre super.
S: Ich habe bei Olympia auch noch eine Rechnung offen, am Boden. Beim Sprung wirds schwierig. Da gibts mittlerweile so viele Turnerinnen mit zwei Topsprüngen im Programm. Aber das schönste wäre wirklich ein Erfolg mit dem Team!