Kevin Fiala, Sie haben einen Monat in der Ostschweiz verbracht. Könnten Sie sich daran gewöhnen?
Einen ganzen Sommer könnte ich nicht in Zuzwil sein. Im Dorf selbst ist mir dann doch zu wenig los. Aber ich liebe es für eine gewisse Zeit. Wir sind vom Aescher aus auf den Säntis gewandert. Wunderschön! Auf dem Zürichsee haben wir zum Wakeboarden ein Boot gemietet. Und natürlich waren wir am Bodensee zum Baden. Dazu habe ich in letzter Zeit wieder zu golfen begonnen und zwei, drei Runden in Erlen gespielt.
Sie haben eine seltsame Saison hinter sich. Mit Vor-Playoffs im Hochsommer. Davor gab es eine lange Pause — nachdem im März die Saison unterbrochen wurde. Wie lief das ab?
Die Basketballer stoppten die Saison. Da wussten wir, das kommt wohl auch bei uns in der NHL. Einen Tag später war es bei uns soweit. Wir kamen ins Stadion, und sie sagten: Ihr könnt umkehren! In diesem Moment hätte ich nicht gedacht, dass wir monatelang unterbrechen. Ich rechnete mit ein paar Wochen. Das war vielleicht etwas naiv. (lacht)
Hat Ihnen die Organisation keinen Langzeitplan in die Hand gedrückt?
So genau nicht. Meine Freundin Jessica und ich blieben zwei, drei Wochen in Minneapolis. Andere waren längst weg. Dann flogen wir nach Schweden, damit ich mich auf die Playoffs vorbereiten konnte. Ich war immer überzeugt, dass die Saison fertig gespielt wird, und bereitete mich perfekt vor.
Sie machten eine Vorbereitung, ohne zu wissen, wann es wieder losgeht?
Ja. Ich nahm Tag für Tag, trainierte sehr hart mit meinem Personal- und Skatingcoach Andreas Larsson. Letztlich war ich 13 Wochen in Göteborg. Aber wegen der völligen Ungewissheit empfand ich es als schwierig.
Stellten Sie sich nie die Sinnfrage?
Doch, natürlich. Die Frage war weniger «warum mache ich das?» sondern «für wann mache ich das?»
Schweden sah von einem Lockdown ab. Spürten Sie keine Angst, sich mit dem Virus anzustecken?
Nicht unbedingt. Wir machten unseren pri-vaten Lockdown, gingen keine Risiken ein, nicht in Restaurants zum Essen. Wir trafen uns zwar mit anderen schwedischen NHL-Spielern, wie William Lagesson von Edmonton, Anton Blidh von den Bruins und John Klingberg von den Dallas Stars, aber sie hatten auch kaum Kontakt zu anderen Menschen.
Wann flogen Sie zurück in die USA?
Am 26. Juni. Wir mussten gleich zwei Wochen in die Quarantäne. Das Essen bestellten wir täglich. Mit dem Hund kurz raus war das höchste der Gefühle. Entsprechend oft sassen wir vor dem Fernseher. Wir schauten uns alle fünf Staffeln von «Prison Break» an, zum Teil bis tief in die Nacht.
War die NHL streng mit Trainingsregeln im Corona-Modus?
Sehr streng. Jeden Tag gingen wir mit der Maske in die Garderobe. Jeder musste sich testen lassen, dann die Temperatur nehmen, auf einer App mussten wir täglich eingeben, ob wir Symptome verspürten. Erst dann durften wir in die Arena. Dort wurde die Temperatur noch einmal genommen. Jeder bekam eine eigene angeschriebene Trinkflasche. Nach dem Training war das Essen in einer Tasche bereit. Das mussten wir nach Hause nehmen. Theoretisch waren wir zwar frei zu tun, was wir wollten, aber sie sagten uns, was passieren kann. Du bekommst Covid, musst in Quarantäne, verlierst deine Form, deinen Platz, dann bist du vielleicht weg vom Fenster. Ein sanfter Druck war also da. (lacht)
”Ich trainierte 13 Wochen lang hart, ohne zu wissen, wann es losgeht“
Danach kam die Qualifizierungsrunde zu den Playoffs in Edmonton. Sie waren in der sogenannten Blase. Was war besonders?
Es gab für zwölf Teams zwei Hotels. Die besseren sechs Teams waren im Hotel, das direkt mit der Arena verbunden war. Wir im anderen. Wir mussten draussen Richtung Stadion gehen. In einem Korridor zwischen Gittern, damit wir abgeschirmt waren. Vor der Arena gab es einen Basketballplatz und Bänke, wo wir uns setzen konnten. Wir sassen bei 30 Grad mit den Masken da. Es war seltsam und zu Beginn etwas unangenehm. Aber so konnten wir uns wenigstens draussen aufhalten. Ich bin gern an der frischen Luft.
Sechs Teams in einem Hotel? Da müssen Sie den Gegnern pausenlos begegnet sein.
Ständig. Wir spielten ja gegen Vancouver. Und fuhren oft im selben Lift hoch und runter. Vor und nach dem Spiel. Das ist gewöhnungsbedürftig. Andererseits sah ich die Nashville-Spieler Roman Josi und Yannick Weber. Das Wiedersehen war schön. Die Erfahrung als Ganzes einfach ungewohnt. Wir waren ja nur zwei Wochen ohne persönlichen Kontakt zu Freundinnen, Frauen oder Familie. Jene Teams, welche bis zum Schluss in den Playoffs standen, waren über zwei Monate unter sich.
Lagerkoller überfiel Sie nicht?
Nein, ich hätte es länger ausgehalten. Wir spielten Tischtennis, schauten die Spiele. Viele von uns sassen auf den Tribünen und sahen sich die Partien live an. Es war lustig. Und abends hatten wir zwei Stunden das ganze Restaurant reserviert. Nach uns kam das nächste Team.
Waren die Spiele ohne Zuschauer nicht emotionslos?
Klar fehlten die Zuschauerreaktionen, die Schreie, wenn ein Puck danebengeht. Wir haben uns einfach gegenseitig noch mehr motiviert. Die Spiele waren schlicht zu wichtig.
Können Sie sich vorstellen, dass die nächste Saison erneut ohne Zuschauer beginnt?
Es gibt noch keine klaren Signale von der NHL. Aber ich hoffe für alle Beteiligten, dass wir nicht ohne Zuschauer beginnen müssen. Es würde etwas fehlen.
”Wir haben als Team klar Stellung bezogen: Wir tolerieren keinen Rassismus“
Ihr Team schied zwar gegen Vancouver aus, aber persönlich spielten Sie eine grandiose Saison, mit 54 Punkten in nur 64 Spielen. Schon unter Coach Bruce Boudreau ging es aufwärts. Als er entlassen wurde, ging Ihnen der Knopf unter Dean Evason noch mehr auf. Was war der Grund?
Es machte plötzlich klick. In den ersten acht Spielen gelang mir gesamthaft nur ein Assist. Danach aber begann es anzuhängen. Ich genoss das Vertrauen der Trainer. Richtig aufwärts ging es unter Dean Evason. Er war vor fünf Jahren mein Trainer bei den Milwaukee Admirals. Ich weiss, wie er tickt, und umgekehrt. Er lässt mich so spielen, wie es zu mir passt. Darum ging es aufwärts.
Ist er der Mentor der Jugend? Sind ihm Namen egal?
Ihm ist es völlig egal, wie alt du bist, wer du bist. Wenn du besser bist, dann spielst du. Das ist in Amerika eher selten. Oft müssen sich die jungen Spieler gedulden, bis sie mehr Einsätze bekommen. Evason will einfach Leistung sehen. Und zwar täglich.
Halfen Ihnen Routiniers wie Zach Parise oder Mikko Koivu, oder fuhren sie die Ellbogen aus?
Als ich 2019 von Nashville nach Minneapolis kam, hatte das Team einige Spiele in Serie verloren und war in einem Tief. Die Situation war für alle schwierig. Auch für mich, als Einstieg. In der vergangenen Saison war alles viel positiver. Zach, Mikko und die anderen Spieler halfen mir sehr, mich einzuleben. Dafür bin ich sehr dankbar.
Wie verändert der persönliche Erfolg Ihr Auftreten in der Kabine?
Ich war einen Tick selbstbewusster. Im positiven Sinn. Ich versuchte, das Gefühl weiterzugeben. Wichtig war für mich auch, meine
Persönlichkeit einzubringen. Als ich nach Minneapolis getradet wurde, sagte ich mir: Sei du selbst. Versuche nicht, jemanden zu kopieren. Dann spiele ich immer am besten. Es brauchte etwas Zeit, alle kennenzulernen, mich wohl zu fühlen. Spätestens an Weihnachten fühlte ich mich blendend. Da wusste ich, wie alle ticken.
Minnesota Wild hat es über Jahre verschlafen, die nächste Generation aufzubauen. Einige Spieler sind über dem Zenit. Jetzt kommt mit dem russischen Nationalspieler Kirill Kaprizow von ZSKA Moskau immerhin ein schneller, 23-jähriger Flügel dazu. Müssen sich die alten Haudegen nach dem neuen Power-Duo Fiala/Kaprizow richten?
Es ist nicht mein Business, über die Strategie der Organisation zu urteilen. Eishockey ist ein Mannschaftssport, für Alleingänge ist kein Platz. Es braucht jeden Spieler. Denn die Saison ist lang. Was Kaprizow betrifft: Wir können jede Gefahr brauchen. Ich hoffe, er ist so gut, wie alle sagen.
Im Sommer 2021 läuft Ihr Vertrag aus. Sie sind dann Restricted Free Agent. Das heisst, andere Teams können ein Angebot für Sie abgeben und Ihr Preis könnte etwas in die Höhe getrieben werden.
Mein Fokus liegt wirklich nicht beim Geld. Bevor ich 2019 den Zweijahresvertrag unterschrieb, war das anders. Ich überlegte mir viel zu viel dazu. Verglich mich mit anderen Spielern, was sie bekommen. Jetzt blende ich das aus. Ich fokussiere mich auf das Spiel, und alles wird gut.
”Ob wir eine Rechnung mit der WM offen haben? ja, das ganze Team“
Wiederholen Sie diese Leistung, winkt Ihnen ein Vertrag im Bereich von sechs oder sieben Millionen Dollar pro Saison. Damit würden Sie ähnlich viel verdienen wie Timo Meier oder Nico Hischier. Lässt Sie das wirklich kalt?
Völlig. Ich denke überhaupt nicht daran. Das überlasse ich meinem Agenten Craig Oster. Ich konzentriere mich auf meinen Job. Denn nur mit konstant guten Leistungen bekommt man auch einen guten Vertrag. Mal sehen. Bis dahin vergeht ja noch eine ganze Saison.
Der Sport wurde diese Saison nicht nur vom Corona-Virus geprägt, sondern auch von «Black Lives Matter». Haben Sie die Proteste unterstützt?
Ja. Wir haben als Team mehrfach klar Stellung bezogen. Wir tolerieren keinen Rassismus. Mein Mitspieler Matt Dumba hielt vor dem ersten Spiel in Edmonton eine starke Rede dazu.
George Floyds Tod in Minneapolis war der Ausgangspunkt. Bekamen Sie oder Ihre Teamkollegen die Proteste auf den Strassen mit?
Ich war ja zu der Zeit in Schweden. Aber Teamkollegen berichteten mir, was passierte. Es war wirklich gefährlich. Die Wut entlud sich überall, wo sich Menschen versammelten. Jessica und ich kamen sechs Wochen nach diesen Protesten zurück. Wir sahen aber immer noch die vielen Zeichen, Blumen und Graffiti zu Ehren George Floyds.
Nehmen wir an, in ein paar Monaten kehrt die Welt in einen gewöhnlicheren Modus zurück: Ist Kevin Fiala dann bereit, ein grosser Star zu werden?
Warum nicht?
In Nashville lief es Ihnen eineinhalb Saisons sehr gut, dann kam der sportliche Einbruch. Kann Ihnen das auch bei den Minnesota Wild passieren? Oder sind Sie reif und stabil genug als Spieler und Mensch?
Ich behalte den Fokus heute. Setze Prioritäten. Ich habe immer Vollgas gegeben. Wenn es schlecht läuft, mache ich Extraschichten. Wenn es gut läuft und ich zwei Tore schiesse, aber auch. Früher hatte ich dieses Auf und Ab. Wenn es mir lief, machte ich viel weniger, lehnte mich etwas zurück. Ich dachte: Es läuft ja. Dann spielte ich noch mal gut. Also sah ich keinen Grund, etwas zu ändern. Aber schleichend verschlechterte sich meine Leistung. Wenn du in dieser Spirale bist, dauert es, bis du wieder hinauskommst. Also änderte ich meine Einstellung. Als es Anfang Jahr lief, gab ich einfach weiter Gas im Training. Jetzt will ich 82 Spiele lang so anhängen.
Sind Sie heute ein reifer Spieler?
Ja. Ich bin physisch bereit. Aber der Schlüssel ist der Kopf. Ich muss damit umgehen können, wenn ich ein schlechtes Spiel abliefere, Fehler mache. Wer das nicht kann, fällt ins Loch. Aber ich habe gelernt.
Was ist Ihr nächstes Ziel? 30 Tore?
Das Team ist zentral. Ich will, dass wir uns nächste Saison möglichst früh für die Playoffs qualifizieren. Und natürlich hoffe ich auch, dass ich massgeblichen Anteil daran habe.
Könnte Minneapolis ein Ort sein, wo Sie länger bleiben wollen?
Das kann ich mir vorstellen, ja. Es gefällt mir sehr! Vor allem im Sommer ist es sehr schön mit den vielen Seen, den Golfplätzen, der Wärme. Dazu erlebt man vier Jahreszeiten. Auch darum fühle ich mich wohl.
Träumen Sie manchmal noch von Ihrem Schuss, mit dem Sie der Schweiz 2018 die Goldmedaille hätten sichern können?
Jetzt, wo Sie es sagen, werde ich heute Abend darüber nachdenken. Danke vielmals! (grinst) Aber 2018 dachte ich einige Zeit darüber nach. Ich wollte lange mit niemandem darüber reden. Nicht einmal mit der Familie.
Haben Sie noch eine Rechnung offen mit der WM?
Nicht nur ich, wir als Team. Denn wir haben riesige Schritte gemacht. Letztes Jahr in Bratislava fehlte ja auch wenig zur Überraschung gegen die Kanadier. Als sie in den Viertelfinals erst in der letzten Sekunde ausglichen.
Wäre die Schweiz dieses Jahr bei der ins Wasser gefallenen Heim-WM reif für den Titel gewesen?
Wer weiss? Es gibt immer viele Fragezeichen. Zum Beispiel, wer alles dabei ist. Aber auch in Bestbesetzung hat man keine Garantie auf eine Medaille. Vielleicht hätten wir mit dem Publikum im Rücken und etwas Glück ein Happy End erleben können.
Gehen Sie gern zum Nationalteam oder aus Pflichtgefühl?
Ich gehe «uhuere gärn». Das hat mit Pflicht nichts zu tun. In Dänemark ging ein Ruck durchs Team. Es war einfach cool.
Wem ist das zu verdanken?
Jedem, der dabei war. Nicht nur auf dem Eis. Aber natürlich spielt Patrick Fischer eine zentrale Rolle. Ich habe ihm gesagt, ich komme immer, bis du mich nicht mehr willst.
Was macht er so gut?
Er war auch ein Spieler. Das hilft. Und er ist ein sehr guter Kommunikator. Er weiss, was jeder braucht. Hat das Gespür, die Richtigen aufs Eis zu schicken. Neben dem Eis ist er chillig, auf dem Eis hart. Er hält die Balance. Mit ihm noch einmal einen Grosserfolg zu schaffen, wäre genial.