im rückblick aufs Leben ist man immer gescheiter. Warum sind Sie jetzt ein Star?
Vielleicht weil die Jahre davor nicht immer einfach waren. Ich hatte schwierige Phasen, in denen nicht viel zusammenlief. Daraus habe ich gelernt. Kleine Anpassungen gemacht, die eine grosse Differenz ausmachen. Meine Einstellung war immer, dass harte Arbeit belohnt wird. Du musst dich durch schlechte Momente kämpfen.
Belohnt wurden Sie durch eine Leistungsexplosion. Von 36 Punkten in der Saison 17/18 auf 66 Punkte – plus 15 im Playoff – in der vergangenen Saison. Wie viel hat mit Ihren physischen Fortschritten zu tun? Sie sind ein Top-Athlet geworden, 100 Kilo agile Muskelmasse.
Natürlich ist die körperliche Entwicklung wichtig. Aber fast mehr wert ist die Erfahrung. In gewissen Situationen handle ich automatisch anders.
Die vielbesagte Spielintelligenz.
Mein Wissen über das Spiel ist grösser. Ich kenne unser System besser. Habe ein besseres Timing, wann ich schiesse. Ich wusste in der zweiten vollen Saison auch, wie sich das körperlich anfühlt, wie intensiv es sein kann, wie es manchmal schmerzt. Du bist weniger überrascht, blendest solche Sachen aus. Ich ging ohne Zweifel in die Saison. Mit Freude am Spielen. Ich habe mich aufs Wesentliche konzentriert. Nur auf die Dinge, die ich be-einflussen kann. So wie früher in Herisau auf der Eisbahn. Oder auf dem Parkplatz beim Unihockey. Das Gefühl, ob vor 20 000 Zuschauern oder zu zweit, war dasselbe. Es ging nur um Freude.
«Ich war ohne Zweifel, spürte nur Freude. wie früher in Herisau auf der Eisbahn»
Sie haben zwischen Dezember und Januar 17 Spiele lang kein Tor geschossen. Und dies nach einem fantastischen Saisonstart. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Du denkst: Jetzt geht nichts mehr! Keiner geht mehr rein! Ich verkrampfte mich. Die Dinger gehen an den Pfosten, überall hin. Nur nicht rein. Dann machst du Sachen wie das Isolierband wechseln oder etwas anderes zu Mittag essen. Ist natürlich ein Quatsch. Aber das gab es.
Spürten Sie Wut? Verzweiflung?
Nein. Der Weg ist: Versuch dem Team irgendwie zu helfen. Ich wusste, dass es irgendwann wieder kommt. So lernst du zu beissen.
Welche Blicke ernten Sie in schlechten Zeiten vom Trainer?
Peter De Boer kam zu mir und sagte: Alles ist gut. Du spielst gut. Mach’ dir keine Sorgen! Nerv’ dich nicht zu sehr! Die Tore kommen schon wieder. Wenn du zu sehr darüber nachdenkst, geht es sowieso nicht. Es war cool, dass er das Gespräch suchte. Das macht ja kaum einer in der NHL. Das Feedback des Coaches ist mir darum viel wichtiger als jede Statistik.
Sie wurden 2015 als Nummer 9 gedraftet, Nico Hischier 2017 als Nummer 1. Haben Sie das Gefühl, nicht ganz so im Fokus gewesen zu sein, habe Ihnen vieles leichter gemacht?
Nein. Der Vergleich ist auch schwierig. Er ist ein anderer Typ, ein anderer Spieler. Natürlich entsteht um einen Nummer-1-Draft-pick eine gewisse Erwartungshaltung. Oder wenn du – wie ich jetzt – einen hochdotierten Vertrag unterschreibst. Das muss man so gut wie möglich ausblenden oder es als Motivation sehen.
Hatten Sie in San Jose jemals das Gefühl, dass Ihr Können angezweifelt wird?
Ich bekam schon mit, dass gewisse Spieler - in meinem Draft schneller zum Erfolg kamen. In meinem Jahrgang wurden Connor McDavid und Jack Eichel als Nummern 1 und 2 gezogen. Ein Jahrhundertspieler und ein Top-Mann. Dazu Sebastian Aho erst viel weiter hinten (Nummer 35, d. Red.). Die Leistungskurven verlaufen halt nicht bei jedem gleich. Nicht jeder ist sofort bereit für eine Topsaison wie McDavid, Aho oder Marner bei Toronto. Es gab darum auch jene, die nicht an mich glaubten. Aber ich wusste, dass die Sharks wissen, was ich kann. Ich wusste, ich kann viel mehr leisten. Ich habe mich nie hinterfragt.
Wann sind Sie zufrieden?
Nicht so schnell. Wenn ich die vergangene Saison anschaue, habe ich 30 Tore geschossen. Aber ich habe auch 17 Spiele lang nicht getroffen. Das heisst, da ist noch viel mehr möglich.
Sie gelten als Spieler, der etwas riskiert. Vorletzte Saison wurden Sie gar für die vielen Schussversuche kritisiert. Haben Sie das einfach ignoriert?
Natürlich musste ich einschätzen, wie gut die Chancen sind. Wenn alle reingehen, re-klamiert niemand. Klar, man kann nicht im-mer schiessen. Meine Schussauswahl muss immer noch ein wenig besser werden. Aber ich schies-se gern. Das ist eine meiner Stärken. Ich probiere es auch, wenn es einmal nicht - so läuft. Dann wird vielleicht gemotzt. Im nächsten Spiel geht sie rein, und alle sind -ruhig. So stark musst du sein. Das musst du aushalten.
In der Schweiz waren Roman Josi, Nino Niederreiter und Nico Hischier die vergangenen Jahre im Fokus. Sie wurden – vor dieser Traumsaison – etwas ignoriert. Half es, dass Sie unter dem Radar durchgingen?
Ich war in den Schweizer Medien nie gross präsent. Weil ich mit 16 schon nach Kanada ging. Das war für mich völlig okay.
Hat man Sie etwas unterschätzt?
Keine Ahnung. Aber ich habe es gern, wenn mich Leute unterschätzen. Wenn sie sagen, er schafft das nicht. Das war schon immer eine riesige Motivation für mich. Niemand hat mir zugetraut, dass ich dahin komme, wo ich jetzt bin. Die Leute, die nicht an mich glaubten, -waren ein grosser Antrieb.
Gab es Juniorentrainer, die sagten, das reicht nicht für eine Eishockey-Karriere?
Ich war nicht der Talentierteste. Andere waren viel talentierter. Aber ich hatte immer die Motivation und den Fokus. Die Arbeitseinstellung hat mich hierher gebracht. Mir wurde - nie etwas geschenkt.
Die Sharks haben den Captain Joe Pavelski verloren. Was heisst das für Sie, Ihre Eiszeit, Ihre Bedeutung im Team?
Er war ein wichtiger Spieler für uns. Es ist hart, wenn so einer geht. Die Fans sind enttäuscht. Für mich ist es aber auch eine Chance. Mehr Eiszeit, mehr Zeit im Powerplay. Ich versuche mich aufzudrängen.
Erfolg zu planen geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Gute Spieler, Trainer, Taktik, Arbeitseinstellung und so weiter – das hilft. Aber beim Stanley-Cup-Sieger St.-Louis-Blues, gegen den die Sharks ausschieden, spielte noch eine ganz andere Geschichte hinein. Besser gesagt: Ein Lied. «Gloria».
Ach, ja, eine lustige Story!
Die Episode «Gloria». Anfang Januar liegen die St. Louis Blues an letzter Stelle der Rangliste, nicht nur in der eigenen Division, sondern in der ganzen Liga. Mit nur - 34 Punkten sind sie der Prügelknabe der NHL. Am 6. Januar, dem Vorabend des Spiels gegen die Philadelphia Flyers, be-suchen die Blues-Spieler Robby Fabbri, -Robert Bortuzzo, Alexander Steen, Joel -Edmundson und Jaden Schwartz in Philadelphia die Privat-Bar Jacks NYB, um sich ein Football-Spiel anzuschauen. Das Bier fliesst. In einer Pause spielt der DJ den Song «Gloria» von Laura Branigan, ein 1982er Cover des Umberto-Tozzi-Originals aus den späten Siebzigern. Und weil die Barbesucher darauf anspringen, singen und tanzen, wiederholt er den Song den ganzen Abend lang. Die Blues-Spieler machen begeistert mit. Am nächsten Tag gewinnen die Blues gegen die Flyers 3:0 und machen «Gloria» zu ihrem neuen Sieges-Song in der Gar-derobe. Sie gewinnen 15 der nächsten 19 Spiele, schalten in den Playoffs der Reihe nach die Winnipeg Jets, die Dallas Stars, die San Jose Sharks und im Final die Boston Bruins aus. Zum Stanley-Cup-Sieg schallt «Gloria» an allen Orten. Im Stadion, in jeder Bar, beim Siegesumzug.
«Manchmal denkst du: Jetzt geht nichts mehr! Keiner geht mehr rein! Dann verkrampfst du»
Eine sehr coole Story für die Blues, das muss man sagen! Schade für uns, dass sie uns rausgehauen haben. Aber da sieht man wieder mal, dass es hilft, wenn man sich locker macht. Wenn es nicht läuft einfach mal tief durchatmet, mit den Jungs vielleicht schön essen geht und ein paar Bierchen trinkt. Das kann ein Team zusammenbringen. Für sie ist es aufgegangen. Vielleicht probieren es ja nächste Saison mehrere Teams: Einfach etwas härter in den Ausgang! (grinst) Nein, ernsthaft, das zeigt einfach, wie nahe Erfolg und Misserfolg liegen, wie ausgeglichen die Liga ist.
Tampa Bay Lightning spielte in der Regular Season abermals grossartig, lag nach - 82 Spielen 21 Punkte vor dem zweitbesten Team, Calgary. Umsonst. Tampa schied in Runde 1 mit 0:4 gegen die Columbus Blue Jackets aus. Was lernen Sie daraus?
Jeder, der in die Playoffs kommt, kann die Liga gewinnen. Es ist hart, es wird um jeden Millimeter gekämpft. Nichts wird dir geschenkt.
Eine Lehre gibt es nicht? Zwischendurch Tempo rausnehmen? Kräfte schonen?
Nein. Man muss die Playoffs einfach als eigenes Kapitel ansehen. Alles, was vorher war, zählt dann nicht mehr. Du kannst so gut sein, wie du willst. Bist du nicht bereit, hilft das nichts. Ein gutes Beispiel waren die Washington Capitals, bei denen Owetschkin in die Schüsse lag, als sei ihm der Zahnarzt egal. Er war bereit, einen Preis zu zahlen für den Sieg. Wenn die Topspieler in die Schüsse liegen, machen das auch die anderen. Bei den Blues gingen vier Linien mit einem Grund aufs Eis. Jeder versuchte dem Team zu helfen, jeder akzeptierte seine Rolle. Wenn einer in der vierten Linie das Gefühl hat, er sei ein kleiner König und sollte eigentlich in der ersten Linie spielen, dann funktioniert das nicht. Jeder muss sein Ego auf die Seite stellen.
Und doch arbeitet jeder an seiner eigenen Karriere. Waren Sie sich immer sicher, dass Sie es so weit schaffen?
Ja. Ich wollte es immer. Das habe ich den Coaches vermittelt. Ich versuchte immer, ein einfacher Spieler für die Coaches zu sein. Einer, der zuhört, lernfähig ist und versucht, alles wie ein Schwamm aufzusaugen. Die meisten Trainer haben mein Potenzial gesehen. Und jene, die nicht an mich geglaubt haben, versuchten mir immerhin zu helfen.
«Ich war nie das grosse Talent. Mir wurde nie etwas geschenkt»
Sie haben einen Vertrag unterschrieben, der Ihnen in 4 Jahren 24 Millionen Dollar garantiert. Experten sagten, Sie hätten im besten Fall auch 8 Millionen pro Jahr kassieren können. Was war die Überlegung hinter dem Deal?
Das war gut durchdacht. Wir sind sehr glücklich mit dem Vertrag, weil er mich in eine gute Position bringt, wenn er ausläuft.
Sie haben sich eine Lohnsumme von 10 Millionen Dollar fürs letzte Vertragsjahr hineinschreiben lassen. Wollen die Sharks oder ein anderer Klub Sie danach weiter verpflichten, müssen sie 10 Millionen pro Jahr offerieren. In vier Jahren kassieren Sie also richtig ab.
Er bringt mich in eine gute Position. Wir haben lange darüber diskutiert. Jetzt haben wir einen perfekten Mix ausgehandelt. Aber ich muss mich ja auch immer bestätigen.
Macht es für Sie noch einen grossen Unterschied, ob Sie sechs oder acht Millionen Dollar pro Jahr verdienen?
Wenn man die Steuern einbezieht, dann schon. In Kalifornien liefern wir etwas mehr als 50 Prozent unseres Einkommens ab. Es bleibt also weniger übrig, als man denkt. Aber für mich stand das Geld sowieso nie im Vordergrund. Für mich ist es wichtig, dass ich glücklich bin, Eishockey spielen kann. Ich lebe den Traum in der NHL. Natürlich ist die Sicherheit, die einem das Geld gibt, schön. Aber ich bin keiner, der sich durch Geld motiviert. Ich spiele, um Erfolg zu haben.
Es gibt ein Instagram-Bild Ihres Teamkollegen Evander Kane, der mit Geldbündeln auf dem Rücken Liegestütze macht. Was halten Sie davon?
Jeder soll machen, was er will, so sein, wie er will. Aber natürlich würde ich nie so posieren wie er. Er gibt mit seinem Billionaire Style an. Manchmal auch mit einem Augenzwinkern. Er hat seinen eigenen Kopf. Aber auch ihn haben wir gern. Er gibt uns ab und zu etwas zu lachen.
Verzeihen die Fans eine dekadente Zurschaustellung des Reichtums?
In der Schweiz geht so etwas natürlich gar nicht. In Amerika dulden sie es. Auch in anderen Sportarten ist das gang und gäbe, bei den Basketballern beispielsweise. Ich würde es nicht tun. Meine Eltern haben mich andere Werten gelehrt. Sie würden mich bereits kritisieren, wenn ich das mit 50 Franken machen würde. Da hätten sie gar keine Freude.
«ich verdiene 24 Millionen. Aber ich habe den Bezug zum Wert der Dinge nicht verloren»
Mit kaum zwanzig schon Millionen verdienen – was macht das mit einem?
Ich habe den Bezug zum Wert der Dinge nicht verloren. Mein Vater war Elektriker, meine Mutter musste arbeiten gehen, damit Sie sich unsere Hobbys – und gerade das Eishockey – leisten konnten. Ich bin mir dessen sehr bewusst. Für mich hat Geld immer noch denselben Wert wie zur Zeit meiner Lehre.
Wie viel haben Sie in der KV-Lehre verdient?
700 Franken im letzten Lehrjahr? Ganz genau weiss ich es nicht mehr. Aber ich schätze es, dass ich jetzt die Familie zum schönen Essen einladen kann oder die Eltern und Kollegen zu einem Trip einlade. Ich nehme das Geld ehrlich gesagt gar noch nicht so wahr. Ich bin froh, wenn ich mit meinem Kollegen in St. Gallen in irgendeine Bar sitzen kann, um ein paar Bier zu trinken. Ich bin keiner, der Champa-gner trinkt. Ich bin kein Protzer, der nur noch High Class isst oder übernachtet. Das würde meine Familie nicht schätzen. Und meine Freunde auch nicht. Ich fühle mich überhaupt nicht anders.
Wofür geben Sie etwas mehr aus?
Kleider, oder mal eine schöne Uhr. Dinge, die ich als Teenager gern gehabt hätte.
Ihr Auto?
In San Jose fuhr ich bis jetzt einen Audi A3.
Bescheiden.
Ja, da gibt es jetzt ein kleines Update. Einen 911er Porsche oder so was. Aber das ist auch die einzige grosse Anschaffung.
Ein schönes Haus kaufen Sie sich nicht?
Nein! Für mich allein? Ich suche jetzt eine Wohnung. Am liebsten irgendwo nahe der Fussgängerzone. Ich habe es gerne etwas -lebendig.
Wenn Sie das nächste Mal in die Schweiz kommen, wäre es vielleicht für die WM 2020 in Zürich und Lausanne. Träumen Sie davon?
Ganz ehrlich: Als NHL-Spieler denkst du an den Stanley Cup. Es wäre ein Riesen-Highlight, den in die Ostschweiz zu bringen. Wenn wir aber auf dem Weg dahin ausscheiden, komme ich gern und spiele für die Schweiz. Das macht den Schmerz dann etwas kleiner. Aber meine Träume liegen momentan drüben. Und nur dort.