Martin Fuchs, der Blick auf die Weltrangliste lässt die Schweizer Herzen höher schlagen. 1. Steve Guerdat, 2. Martin Fuchs. Was macht unser Land zum Nonplusultra des Springreitens?
Die momentane Konstellation ist tatsächlich aussergewöhnlich – und der Beweis für die grosse Reitsportkultur in der Schweiz. Die Basis zu unserer aktuellen Stärke wurde wohl in der Generation unserer Eltern gelegt. Mein Vater Thomas und mein Onkel Markus gewannen diverse EM-, WM- und Olympia-Medaillen mit dem Team. Auch Steves Vater Philippe gehörte zu den stärksten Equipenreitern. Wir Jungen haben die Tradition nun quasi fortgesetzt und reiten auch in den Einzelkonkurrenzen um die Medaillen.
Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und Guerdat? Geht man nach dem Wettkampf auch mal zusammen ein Bier trinken?
(lacht) Ich trinke nur Wasser. Steve und ich sind seit Jahren gute Freunde. Es ist sensationell für mich, dass ich von seiner Erfahrung profitieren und mich quasi in seinem Windschatten der Weltspitze nähern konnte. Er ist eine echte Leaderfigur. Sein Olympiasieg in London hat allen Schweizern viele -Türen geöffnet. Auch im Alltag unterstützen wir uns gegenseitig. Unsere Höfe liegen nur acht Kilometer auseinander. Wir sehen uns oft – auch weil Steve mit meinem Vater trainiert.
Das Verhältnis von Pferd und Reiter ist von Mythen umrankt. Erklären Sie uns bitte Ihre Beziehung zu Clooney.
Bevor ich Clooney das erste Mal begegnet bin, habe ich ihn auf Videos gesehen. Schon da spürte ich, welches Potenzial er besitzt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Beim Probereiten verstärkte sich dieses Gefühl. Er war damals sieben Jahre alt. Aber es war deutlich, welches Talent er hat.
Das heisst, die Harmonie zwischen Ihnen und dem Pferd war von Anfang an perfekt?
Nein – im Gegenteil. Clooney war für mich zunächst schwieriger zu reiten als andere Pferde. Er hat seinen eigenen Willen. Das Zusammenspiel entwickelte sich erst mit der Zeit. Aber heute stimmt die Harmonie zwischen uns definitiv.
Wie spüren Sie, ob Clooney gut drauf ist?
Das merkt man meistens, wenn man in den Stall kommt. Jedes Pferd kann launisch sein. Manchmal ist Clooney faul und etwas träge. Aber wenn ich aufsitze, kann sich das schnell ändern. Dann ist er ein anderes Ross.
Sie sagten einmal, dass Sie sich immer auf Clooney verlassen können. Was bedeutet das?
Dass er keinen Fehler macht, wenn ich ihn gut reite. Wenn das bei einem Pferd nicht der Fall ist, kann man selbst nach einem guten Ritt mit acht Fehlerpunkten dastehen. Das Vertrauen zwischen Pferd und Reiter ist entscheidend. Wenn ich den richtigen Absprung-Punkt erwische, das ideale Tempo anschlage und die richtige Anlehnung biete – mit optimal dosiertem Kontakt mit Zügel und Beinen –, funktioniert Clooney normalerweise perfekt.
”Anfänglich war er schwierig zu reiten. Aber heute stimmt die Harmonie definitiv“
Könnte auch ein schlechter Reiter auf Clooney erfolgreich sein?
Nein. Selbst das beste Pferd gewinnt mit einem schlechten Reiter nie. Doch man kann sagen: Auf Clooney könnte jeder der Top-20-Reiter um den Sieg springen. Clooney ist einzigartig.
Wie oft trainieren Sie zusammen? Und was genau?
Im Alltag ist es vor allem wichtig, das Pferd zu bewegen und zu beschäftigen. Das geht von Ausritten übers Longieren bis zu Dressur-Einheiten und Gymnastik-Übungen. Gesprungen wird ausserhalb des Wettkampfs in der Regel nur einmal pro Woche – und das nie höher als 1,2 Meter. Ein Pferd, das während der Saison ein bis zweimal pro Monat - im Einsatz steht, braucht kein intensives Training.
Im Reitsport auf Spitzenniveau kommt regelmässig der Vorwurf der Tierquälerei auf. Wie weit geht man, um die Tiere zur bestmöglichen Leistung zu bringen?
Lassen Sie es mich so formulieren: Wenn es jedem Menschen auf der Welt so gut gehen würde wie unseren Pferden, wäre das ein grosser Fortschritt. Unsere Tiere haben viel Auslauf, sie erhalten das richtige Futter, sie werden tierärztlich kontrolliert. Auf unserem Hof sind die Pferde viel draussen und mit Artgenossen in Kontakt. Sie werden mehr gehegt, gepflegt und verwöhnt als die meisten Menschen. Nur mit einer optimalen Partnerschaft und einem Vertrauensverhältnis zum Tier lassen sich grosse Erfolge feiern.
Und was trainieren Sie selber?
Ich reite, dehne und spaziere.
Das klingt nach einem entspannten Leben. Wo bleibt das Krafttraining?
Ich habe das eine Zeit lang gemacht, aber -gemerkt, dass es mir nicht entscheidend hilft. Die Muskulatur in Rumpf und Rücken wird beim Reiten automatisch gestärkt.
Und wie sieht Ihre Leistungsdiät aus? Ich kann viel essen und nehme nicht zu – zum Glück. Und wie gesagt: Ich trinke nur Wasser.
Welche Betreuungsaufgaben delegieren Sie an andere Personen?
Neben Clooney habe ich zehn weitere Pferde im Stall. Da ist es wichtig, Aufgaben zu delegieren. Mit Clooney habe ich schon so viel erlebt, und es besteht eine derart enge Bindung, dass die tägliche Arbeit nicht mehr von entscheidender Bedeutung ist. Wir kennen uns! Clooney freut sich auch, wenn er von einer etwas leichteren Berei-terin ausgeritten wird. An Turnieren ist sein Pfleger Sean Vard die wichtigste Bezugs-person. Sean duscht, striegelt und kämmt ihn. Grundsätzlich kann man sagen: Springreiten auf diesem Niveau ist viel Teamwork. Jeder muss dem anderen vertrauen können.
Reiten ist ein globaler Sport. Wie sehr wirken sich die Reisestrapazen auf die Leistungsfähigkeit der Pferde aus?
Lange Flugreisen – wie beispielsweise im nächsten Sommer an die Olympischen Spiele in Tokio – sind für die Pferde normalerweise kein Problem. Der Transport ist so schonend wie möglich organisiert. Beispielsweise wird bei Start und Landung stets die ganze Piste ausgenutzt, damit Beschleunigung und Abbremsen nicht zu abrupt erfolgen. Und in der Luft werden die Turbulenzen umflogen. Grundsätzlich kann man sagen:
Fünf Stunden im Pferdetransporter auf der Strasse können für ein Pferd mühsamer sein als zehn Stunden im Flugzeug.
”Die beste Box gehört Clooney. Pferde lieben es, wenn Sie das treiben auf dem Hof beobachten können“
Sie verdienen das Geld auch als Pferdehändler. Ab welchem Preis würden Sie Clooney verkaufen?
Clooney ist unverkäuflich. Das ist mit seinem Besitzer Luigi Baleri so abgemacht.
Das gilt auch, wenn ein saudischer Prinz zehn Millionen Franken auf den Tisch legt?
Ja – definitiv. Bevor Luigi Clooney übernommen hat, stand das Pferd einmal zum Verkauf. Das war nach den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro und gar keine schöne Situation. Ich war in dieser Zeit sehr emotional, weil ich nicht wusste, ob es mit Clooney weitergeht. Aber nun ist die Angelegenheit ein für alle Mal geregelt. Auch mein zweites Spitzenpferd – «Chaplin» – ist übrigens unverkäuflich.
Aber als Pferdehändler geraten Sie so doch in einen Interessenkonflikt.
Ja, die Situation birgt tatsächlich Konflikt-potenzial. Denn neben den Sponsorengeldern, den Preisgeldern und den Ausbildungsentschädigungen sind die Pferdeverkäufe unsere wichtigste Einnahmequelle. Mein Vater sagte immer: ‹Wir sind Pferdehändler. Wir können nicht bei allen starken Pferden sagen: die sind unverkäuflich.› So kam es, dass wir eines unserer besten Pferde, «Cynar», 2015 an Jessica Springsteen (Tochter von Bruce, Anm. d. Red.) verkauften. Doch bei Clooney gibts keinen Verhandlungsspielraum.
Geht es beim Pferdehandel sonst nur um den Preis? Oder gibt es auch potenzielle Kunden, denen Sie kein Pferd verkaufen würden?
Ja – sobald ich merke, dass die Pferde nicht gut betreut würden. Aber wir bewegen uns im Spitzensport. Da kauft man Pferde, um Titel zu gewinnen. Eine gute Betreuung ist eine entscheidende Voraussetzung, um erfolgreich zu sein.
Mit 23 verliessen Sie den elterlichen Stall in Bietenholz und gründeten Ihr eigenes Unternehmen im thurgauischen Wängi. Welches waren die grössten Herausforderungen?
Der organisatorische Aufwand war enorm. Das wurde mir erstmals bewusst, als ich täglich bis zu 25 Whatsapp-Konversationen mit unserem Team hatte. Mit dem Wettkampfsport war das nicht immer leicht zu vereinbaren. Mittlerweile ist die ganze Familie wieder zusammen, mein Vater und ich führen das Unternehmen gemeinsam. Meine Mutter hilft ebenfalls tatkräftig mit. Die Unterstützung meiner Eltern ist Gold wert.
Gab es einen Moment, als Sie wie Ihr älterer Bruder Adrian oder die Söhne von Markus Fuchs, einen anderen Weg einschlagen wollten als denjenigen des Springreiters?
Eigentlich nicht. Ich habe das Reiten und die Pferde schon in der Kindheit geliebt. Es war immer mein Traum, Profireiter zu werden. Im Gegensatz zu Adrian machte ich die ersten Schritte dazu nicht auf dem elterlichen Hof in Bietenholz. Mein erstes Pony stand in einem Stall in Volketswil. Dies ermöglichte mir einen spielerischen Zugang zum Sport. Der Leistungsgedanke stand nicht schon früh im Vordergrund. Adrian dagegen fühlte sich wohl etwas zu sehr unter Druck. Als Marketingexperte ist er heute für mich aber eine wichtige Ansprechperson in PR- und Kommunikations-Angelegenheiten. Beispielsweise gestaltete er meine Website.
Ihre Partnerin ist die amerikanische Springreiterin Paris Sellon. Verläuft im Hause Fuchs der Wassergraben quer durchs Wohnzimmer?
(lacht) Nein. Auf dem Papier sind wir zwar Konkurrenten, aber faktisch unterstützen wir uns gegenseitig. Im Juni belegten wir am CSI in Villach die Plätze 2 und 3. Beinahe hätte es zum Doppelsieg gereicht. Aber leider hatte der Deutsche David Will etwas dagegen.
Als echter Gentleman würden Sie Ihre Freundin gewinnen lassen.
(lacht) Sagen wir so: Ich würde ihr den Sieg gönnen, doch dafür muss sie mich zuerst schlagen.
Und wann läuten im Hause Fuchs die Hochzeitsglocken?
Einen Termin gibt es nicht. Aber wir haben es wirklich gut miteinander. Wir teilen die gleiche Leidenschaft, den gleichen Beruf und sind durch den Sport oft zusammen auf Reisen. Und der Name Fuchs würde gut zu Paris passen.