Bei Ihrer Fahrt zu Olympia-Bronze 2018 mussten Sie Ellbogen ausfahren. Denken Sie oft daran?
Fanny Smith (lacht): Sie meinen mein Körperkontakt mit Sandra Näslund? Ja, das stimmt. Es war ein hartes Rennen, und es war schön, dass ich Bronze abholen konnte. Es sind Emotionen und Erinnerungen, die mir ein Leben lang bleiben. Ich habe Sandra nach den Spielen eine SMS geschrieben. «Sorry, dass es du warst, die auf meiner rechten Seite war.» Aber das ist der Sport.
Sie sind erst 27 Jahre alt, aber schon eine Ewigkeit dabei. Mit 17 Jahren starteten Sie bei Olympia in Vancouver. Mit 20 waren Sie schon Weltmeisterin. Erinnern Sie sich an den Teenager Fanny?
In Vancouver war ich wirklich noch ein Kind. Ich hatte diese Verrücktheit der Jugend. Manchmal war das auch schwierig. Ich habe nicht viel überlegt. Wenn ich hinfiel, tat mir nichts weh.
Würden Sie der 17-Jährigen heute einen Rat geben wollen?
Eigentlich habe ich vieles richtig gemacht. Ich sage: Wage immer etwas! Bei Entscheidungen muss man aus der Komfortzone heraus. Meist ist das Bauchgefühl richtig, wenn es anzeigt, dass Veränderung nötig ist. Acht Monate vor Olympia 2018 entschied ich mich, anders zu trainieren, einen anderen Trainer zu haben. Das war gewagt. Ich würde jeder 17-Jährigen raten: Man muss arbeiten. Nichts fällt vom Himmel.
Mit 17 hat man doch anderes im Kopf als strikte Arbeitspläne.
Ich war immer sehr rigoros, wusste immer, was ich will. Und ich musste immer hart arbeiten, um zu haben, was ich will. Ich war sehr schnell unabhängig, habe schnell Verantwortung übernommen.
Haben Sie ein Beispiel?
Bei meiner ersten Reise nach Australien und Neuseeland war ich 16. Ich war damals mit meinem Trainer unterwegs. Wir wussten, es gab Skicross-Wettkämpfe in Neuseeland. Aber er konnte nicht kommen. Meine Eltern sagten: Geh’ nach Neuseeland, das ist gleich nebenan. Ich war ganz allein. Aber voller Selbstvertrauen. Und ich hatte den Kopf auf meinen Schultern.
Hatten Sie keine Angst?
Nein. Aber es war nicht ganz einfach. Ich war auf der anderen Seite der Welt und sprach kaum Englisch.
Kein Englisch? Ihr Vater ist doch Amerikaner und die Mutter Engländerin.
Sie haben Wurzeln in diesen Ländern, aber wuchsen französischsprachig auf. Meine Eltern sprachen in Villars immer Französisch. Ich lernte erst später Englisch.
Sie waren also allein in Neuseeland und …
… ich verpasste den Anschlussflug auf die Südinsel. Dann gab es ein riesiges Chaos mit Gepäck, das ich von 30-Kilo-Säcken auf 15-Kilo-Säcke aufteilen musste. Schliesslich kam ich an. Und wissen Sie was? Die Wettkämpfe waren abgesagt. Aber solche Erfahrungen helfen, dass man sehr schnell Verantwortung übernehmen kann.
«Ich sage immer: Wage etwas! Bei Entscheidungen muss man aus der Komfortzone heraus»
Was hat sich seit damals verändert?
Mein Körper hat sich stark verändert. Ich habe jetzt den Körper einer Frau, bin viel besser austrainiert. Früher konnte ich dafür alles machen, alles essen. Mit 21 Jahren aber begann ich den Unterschied zu merken. Ich habe ja nie Dehnübungen gemacht oder solche Sachen. Nie Erholungsphasen eingebaut. Wenn du jung bist, kannst du auch jeden Quatsch essen, du bleibst fit. Danach geht das nicht mehr. Ich spüre jetzt meinen Körper besser.
Was hat Sie so erfolgreich gemacht?
Ich war immer eine Katze auf Ski. Ich lande immer auf den Füssen, bin immer stabil, in der Luft und bei der Landung. Sehr beweglich. In den letzten drei Jahren musste ich aber an der Technik arbeiten. Und an meiner Reaktionszeit. Beides war verbesserungswürdig.
Was ist das Wichtigste in einem Skicross-Rennen?
Immer das Ziel im Auge zu behalten, sich nicht ablenken zu lassen. Das ist das Schwierige. Du darfst nie denken: Es ist schon gelaufen. Selbst wenn du vorn bist, kann immer etwas passieren. Im Starttor bist du nicht allein. Da stehen vier. Und vier verschiedene Trainer dahinter, die auf vier verschiedene Sprachen «Los! Los!» schreien. Du musst einfach im Tunnel bleiben.
Gibt es Athletinnen, die sehr nerven?
(Sie lacht laut heraus) Ja, dass jemand nervt, kennen alle. Es gibt eine Österreicherin, die einen riesigen Lärm macht, die Ski vor dem Start 15 Mal in den Schnee stampft. Eine andere schreit wie verrückt. Andere atmen schwer. Es gibt halt sehr viel Energie am Start. Aber das muss an dir vorbeigehen.
Seit Sommer 2017 arbeiten Sie wieder mit Swiss-Ski-Trainern zusammen, haben aber eigene Kondi-Trainer. Wie lässt sich Ihre Karriere finanzieren?
Es ist nicht einfach, alles zu finanzieren. Aber dank den Erfolgen wurde es etwas leichter. Ich hatte während acht Jahren ein Privatteam. Da musste ich alles selbst bezahlen. Nur mit meiner Familie hätte ich nie Profi werden können. Hätten wir keinen Mäzen gehabt, wäre das nicht gegangen.
Sie haben für den Sport schon im Teenager-Alter auf viel verzichtet. Fühlten Sie sich nie um diese Jahre betrogen?
Ich habe mit 16 entschieden, meinen Weg zu gehen. Meine Eltern liessen zu, dass ich die Schule aufgebe und hundert Prozent auf den Sport setze. Ich fühlte mich darum verpflichtet, zu beweisen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Party? Gab es schon. Einfach zur richtigen Zeit.
Haben Sie in Ihrer Karriere nie gedacht, wie es wäre, bei den Alpinen zu fahren?
Als ich klein war, konnte ich mir nie vorstellen, im Weltcup oder bei Olympischen Spielen mitzumachen. Erst als ich zum Skicross wechselte, habe ich gemerkt, dass dieser Sport zu mir passt. Da begann ich, Träume zu haben. Wir haben früher zu Hause nie Skirennen geschaut. Obwohl mein Vater Skilehrer ist und wir in Villars gewohnt haben. Das war nicht in uns drin. Wenn ich etwas am Fernsehen schauen kann, dann Tennis. Ski Alpin? Wenn es die Zeit erlaubt, schaue ich schon zu und drücke meinen Freunden die Daumen.
Bei den Alpinen sind die Parallel-Slaloms eine Anlehnung ans Skicross.
Um die Rennen zu dynamisieren, hat die FIS die Parallel-Riesenslaloms wieder in den Wettkampf zurückgeholt. Die gab es ja bereits in den Fünfzigerjahren. Diese Disziplin hat sich jetzt von uns inspirieren lassen. Beispielsweise mit Starttoren. Es gibt auch bereits kleine Sprünge. Vielleicht bauen sie ja noch grössere Sprünge ein, wie wir sie haben. Dann könnten wir bald Wettkämpfe gegeneinander fahren, weil sie so ähnlich sind. (lacht)
Kann man Skicross noch spektakulärer und damit populärer machen?
Das war über die Jahre ein stetiger Prozess. Höhere und weitere Sprünge zum Beispiel. Das liebe ich. Je höher und weiter, desto besser. Aber es gibt Athleten, die Angst haben. Mein längster Sprung war vielleicht 80 Meter. Das ist auch wichtig, um den Sport zu verkaufen. Ich bin dafür, dass es spektakulärer wird. Auch wenn ich mit 27 mehr Verantwortung mir gegenüber habe.
Olympia-Bronze, vier WM-Medaillen, 39 Podiumsplätze – warum fahren Sie noch?
Mein Körper fühlt sich super an. Ich spüre kein Ablaufdatum. Ich liebe den Sport, will noch weit kommen. Ich bin motiviert. Ob bei Olympia oder Weltmeisterschaften. Ich habe noch Luft nach oben.