Dass die Uhren auf La Palma etwas langsamer ticken, merkt man als Besucher ziemlich schnell: Frühmorgens treffen wir am Hafen von Espíndola einen Hobbyfischer, der seine Angel zwar auswirft, aber hofft, dass in der ersten Stunde kein Fisch anbeisst – weil er dafür schlicht noch zu schläfrig sei. Und auch die Bauarbeiter, die sich kurz vor dem Mittag ein Bad im Meer gönnen, sich auf dem Rücken treiben lassen und ihre Bäuche der Sonne entgegenstrecken, sind Sinnbild für das entschleunigte Leben auf dieser 706-Quadratkilometer-Insel.
Die Palmeros sind stolz auf ihre Isla Bonita, wie La Palma auch genannt wird. Die drittkleinste der Kanarischen Insel zieht keine so grossen Touristenströme an wie ihre Nachbarn Gran Canaria und Teneriffa (siehe Karte auf Seite 53). Das ist perfekt für alle, die Ruhe und Ursprünglichkeit suchen, und hat die Insel – mit dem ganzjährig milden Klima – zu einem Mekka für Wanderer und Outdoor-Fans gemacht.
Wir starten also mit dem Naheliegenden, schnüren unsere Trekkingschuhe und begeben uns in die Hände von Profis: Wer beim Wandern begleitet werden will, kann über lokale Anbieter wie ASI oder Natour deutschsprachige Guides buchen. In unserem Fall ist das Wim Coen. Sein Name will auf den ersten Blick nicht so recht mit seiner äusseren Erscheinung zusammenpassen: Der 53-jährige Coen, braun gebrannt und dunkelhaarig, sieht ein bisschen aus wie ein Spanier, stammt ursprünglich aber aus Antwerpen und kam vor über zwanzig Jahren auf die Insel. Zuvor arbeitete er als Segellehrer auf Fuerteventura und hörte immer wieder Erzählungen über die «grüne Schönheit» La Palma. Davon wollte er sich selber ein Bild machen. Er verliebte sich. In die Naturbelassenheit der Insel – und in seine spätere Ehefrau Lilian. Schnell war klar: Wim Coen wird ein Palmero.
Die Behörden haben – im Wissen, dass sich La Palma wegen des rauen Meers nicht zur reinen Badeferiendestination entwickelt – in den letzten Jahrzehnten viel investiert, um die Insel in Sachen Trekking auf Vordermann zu bringen. Als Coen hierherkam, gab es kaum markierte Wanderwege. Heute verfügt die Insel über ein rund 1000 Kilometer grosses Wegnetz. Dazu gehört die gut ausgebaute Route zum Aussichtspunkt Mirador Espigón Atravesado im Norden, den Coen mit schnellen Schritten ansteuert. Das Licht dringt nur schwer durch den dichten Lorbeerwald von Los Tilos, der den Weg wie ein Schutzschild umgibt.
Hier oben, im Norden der Insel, der geprägt ist von Schluchten und Wäldern, können sich unsere Augen an der smaragdgrünen Vegetation kaum sattsehen. Umso drastischer erscheint – einen Tag später – der Unterschied zum Süden. Dieser ist in schwarzes Vulkangestein gehüllt und Heimat der Cumbre Vieja, einer 2000 Meter hohen und 14 Kilometer langen Vulkankette. Am eindrücklichsten kann man diese Landschaft auf der Ruta de los Volcanes erleben. Diese führt auf 18 Kilometern vom Refugio El Pilar bis nach Los Canarios. Ein Zückerchen obendrauf: Viele Trekkings enden mit einem erfrischenden Bad im Meer. Highlight: der Strand Playa de Echentive oder die Naturschwimmbäder im Norden – etwa der Charco Azul. Die tiefe, mit Meerwasser ge-füllte Mulde glitzert türkis in der Sonne. Eine Mauer schützt das Becken vor der Brandung des Atlantiks. Einmal abtauchen. Und schon geraten die müden Wanderwaden in Vergessenheit.
La Palma hat sich in den letzten Jahren aber auch zum Hotspot für Mountainbiker entwickelt. Über 1000 Kilometer Trails liegen den Sporthungrigen zu Füssen. Einer, der jede Ecke kennt, ist Andy Schüler, der gerade – breit grinsend – von einer Tour zurückgekehrt ist. Der 32-Jährige ist gebürtiger Deutscher, lebt aber schon seit sei-
nem fünften Lebensjahr auf La Palma und führt das Mountainride La Palma, das Werkstatt, Veloverleih und Tourenorganisation in einem ist. Er schwärmt von der Vielfältigkeit der Trails: Bei der «Königsetappe», dem Roque-Trail, der vom höchsten Gipfel der Insel (Roques de los Muchachos, 2426 Meter über Meer) runter an den Strand von Tazacorte führt, passiere man mehrere Klimazonen innert weniger Stunden. «Da kann es vorkommen, dass man bei Schneefall losfährt und Stunden später am Strand bei 25 Grad ins Meer springt.» Von Tagestouren bis zum Rundum-sorglos-Paket kann man alles buchen – inklusive Übernachtungen. Schüler hat nämlich oberhalb seines Ladens ein kleines Hotel eingerichtet.
Wer Rundum-sorglos-Pakete mag, sich aber etwas räumliche Distanz zur sportlichen Aktivität verschaffen will, ist in einem All-inclusive-Hotel wie dem «H10 Taburiente Playa» gut aufgehoben. Die zentrale Lage an der Ostküste ermöglicht Tagesausflüge auf der ganzen Insel. Für die letzte Nacht auf La Palma kann man sich dann immer noch etwas Spezielles gönnen: Seit diesem März ist es möglich, im Leuchtturm Punta Imperatore zu übernachten. Ein Novum auf den Kanaren! Das Unternehmen Floatel, das in Deutschland schon Übernachtungen in Leuchttürmen anbietet, konnte den 152 Jahre alten Turm vom Staat mieten und in dreijähriger Umbauarbeit in ein schmuckes Hotel verwandeln. Spektakulär: der Infinity-Pool und die 34 Meter hohe Aussichtsplattform. Jede der drei Suiten ist mit einer Küche ausgestattet. Wer sich das Frühstück dennoch nicht selber zubereiten will, meldet sich bei Hausdame Pili, die auf Wunsch lokale Köstlichkeiten wie «Queso de cabra», einen milden Schafskäse, hervorzaubert.
Einfachheit und eine lokale Küche stehen auch bei den inseltypischen «Kioscos» im Zentrum. Die unaufgeregten Lokale liegen meist in der Nähe eines Strandes und bieten fangfrischen Fisch. Ein Paradebeispiel ist «Tamaragua II» nahe des Örtchens Las Indias. Hier sitzen Handwerker, Büroangestellte und Touristen (die sich daran zu erkennen geben, dass sie die Karte studieren) auf einfachen Hockern an Holzfässern zusammen. Wirtin Luz Elena Martinez tischt auf, was den Fischern am frühen Morgen ins Netz ging. Wenn es die Saison erlaubt, ein Muss: Lapas. Sie gelten als Delikatesse und werden als Austern der Kanaren bezeichnet, obwohl es eigentlich keine Muscheln, sondern Schnecken sind.
Authentische Küche findet man auch auf den vielen Wochenmärkten. Unser Tipp: der Bauernmarkt von Mazo. Hier gibt es Tapas aller Art und herzhafte Bocadillos – belegte Brötchen, welche die Palmeros vor allem zum Frühstück essen. Hier treffen wir aber auch auf entfernte Bekannte: Lilian Coen, die Frau von Wander-Guide Wim, führt am Wochenende einen Stand mit frischen Säften aus gepresstem Zuckerrohr. Sie serviert uns ihren Verkaufsschlager: einen Mojito. Diesen bereitet sie anstatt mit dem üblichen weissen kubanischen Rum mit der inseleigenen Marke Aldea zu. Denn als Bedingung für die Marktverkäufer gilt: Alles, was zum Kauf angeboten wird, muss aus La Palma stammen.
Lilian Coen mixt ihren Mojito mit Aldea-Rum, der ebenfalls auf der Insel hergestellt wird
Ein optisches Highlight ist das Restaurant El Sitio, das inmitten von Bananenplantagen in der Nähe von Tazacorte liegt. Der Speisesaal – das Wort passt hier durchaus – wurde mit Antiquitä-ten aus den letzten Jahrhunderten bestückt. So geniesst man die etwas ausgefalleneren Tapas-Kreationen (sehr lecker: kanarische Bananencreme mit Kokosnuss und Koriander) unter tief hängenden Kronleuchtern und in Gesellschaft alter Damen, die mit strengem Blick von der Wand aus grossen, goldgerahmten Gemälden starren.
Für die abendliche Unterhaltung begeben wir uns auf La Palma nicht etwa in eine Bar, sondern – wen überrascht es noch – in die Berge! Die Insel gilt dank ihrer reinen Atmosphäre ohne störende Lichteinwirkung weltweit als hervorragender Ort für Sternenbeobachtungen. Das Observatorio del Roque de los Muchachos ist das wichtigste der nördlichen Hemisphäre. Für eine gute Sicht auf den Sternenhimmel eignen sich aber viele Orte auf der Insel: Jede Gemeinde hat einen Punkt erkoren, von dem sich der Nachthimmel besonders gut mit blossem Auge anschauen lässt. Wer das Schauspiel lieber unter Anleitung geniessen will, kann geführte Touren buchen. Bei Ad Astra La Palma etwa, wo Astronomin Elena Nordio mit ihrem Teleskop Sterne, Planeten und die Milchstrasse noch besser sichtbar macht. Es ist wohl auch eine der wenigen Führungen, in denen man die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer kaum wahrnimmt. Und spätestens in so einer lauen Nacht, mit der Milchstrasse im Blick und nichts als der Dunkelheit um sich herum, ticken auch unsere Uhren ein klein wenig langsamer.
5 for the road
Anreise Nonstop-Flug mit Edelweiss ab Zürich. www.flyedelweiss.com
Hotel H10 Taburiente Playa La Palma. Grosse Poolanlage, leckeres Buffet. www.h10hotels.com
Restaurant Hacienda de Abajo Ausgefallene Tapas. www.hotelhaciendadeabajo.com
Apéro Mojito am Markt von Mazo. www.villademazo.com/mercadillo-de-villa-de-mazo
Sightseeing Sternenbeobachtungen mit einer Astronomin. www.adastralapalma.com
Infos: www.tui.ch, Tel. 0848 848 444