Er ist «der Neue». Seit März 2020 leitet Philipp von Czapiewski, erst 36 Jahre alt, TUI Suisse und folgt damit auf Martin Wittwer, den «alten Hasen». Keine einfache Aufgabe, erst recht nicht in die-ser verrückten Zeit, in der die Reisebranche ihre vermutlich grösste Krise durchlebt. Doch von Czapiewski («Man sagt Tscha-pi-e-wski», flüstert eine Mitarbeiterin) strahlt Ruhe aus, wirkt sicher und überlegt. Schweizerdeutsch? Versteht er. Ausser diesen fiesen Dialekt aus, wie hiess es noch mal … Wallis? Der TUI-Suisse-Chef nickt und lacht. Mit ein bisschen Übung wird er auch das hinkriegen. Denn dass er schnell lernt, hat Philipp von Czapiewski mehrfach bewiesen: MBA in London, Controller bei TUIfly, Leiter Produkt Management Aviation, Verantwortung für die Strategie von TUI Deutschland – eine Karriere im Schnellzugtempo. Nun also die Schweiz …
Herr von Czapiewski, Sie hatten einen Kaltstart: Anfang März haben Sie Ihre neue Funktion in Zürich übernommen – dann kam Corona.
Das war tatsächlich ein ziemlich schnelles «Onboarding»! Mein erster Tag begann mit einer Krisensitzung. Aber irgendwie war das auch gut: Es schweisst zusammen, wenn man mit seinem neuen Team gleich so eine schwierige Situation meistern muss. Ich hab die Leute sehr schnell sehr gut kennengelernt.
Ihre Frau und Ihre zweijährige Tochter leben noch in Hannover, Sie sind die letzten Monate zwischen Deutschland und der Schweiz gependelt? Ging das?
Da ich in Zürich ein Appartement habe und gemeldet bin, durfte ich jederzeit ein- und ausreisen. Es gab allerdings keine Flugverbindungen mehr, ich war also mit der Bahn unterwegs. So ein leerer Zug ist etwas befremdlich, dank gutem WLAN konnte ich aber ungestört arbeiten in meinem rollenden Büro.
Welche Herausforderungen musste TUI Suisse in der Corona-Zeit meistern?
Wir haben zum Glück sehr frühzeitig unseren Krisenstab aktiviert, um der Lage strukturiert Herr zu werden. In einem ersten Schritt ging es darum, alle unsere Gäste sicher nach Hause zu bringen. Da haben wir als Konzern den Vorteil, dass wir in allen Destinationen unsere Ansprechpartner haben, die uns dabei unterstützen. In einem zweiten Schritt betreuten wir vor allem jene Kundinnen und Kunden, die kurz vor der Abreise in die Ferien standen und diese nicht antreten konnten. Wir ha-ben die Stornierungsfristen in regelmässigen Abständen verlängert. Da wollten wir maximale Flexibilität bieten, Umbuchungen ermöglichen. Wir machten sogar die Reiseprogramme für Winter und Sommer 2021 vorzeitig buchbar, damit die Kunden vernünftige Alternativen haben. Und wir haben neue Angebote entwickelt – zum Beispiel jenes, dass alle, die bis 31. Juli buchen, noch zwei Wochen vor Reiseantritt kostenlos stornieren oder umbuchen können. Das gilt für Abreisen bis und mit Sommer 2021.
Und bestehende Buchungen?
Auch diese können den ganzen Sommer über auf andere Saisons umgebucht werden. Kostenlos.
Was ändert sich bei Ihren Angeboten sonst noch?
Grundsätzlich haben die Themen Sicherheit, Vertrauen und Flexibilität an Bedeutung gewonnen. Ganz wichtig sind Hygienestandards und Schutzkonzepte. Solche haben wir für den Sommer 2020 schon erarbeitet und werden sie noch weiterentwickeln. Wir haben den Vorteil, dass wir diese Konzepte in unseren Konzernhotels optimal umsetzen und kontrollieren können sowie auch unseren Partnerhotels zur Verfügung stellen. Zudem haben wir auch Mitarbeitende vor Ort, die sich für maximale Sicherheit einsetzen. Und: Wir können auf ein Krisenzentrum zählen, das rund um die Uhr verfügbar ist, die aktuellen Entwicklungen stets überwacht. Das alles macht uns zum verlässlichen Anbieter, mit dem man sorglos verreisen kann – ein wichtiger Faktor in diesen unsicheren Zeiten.
Verreisen trotz Corona viele im Sommer ins Ausland – oder gab es Stornierungen?
Die Zahlen ändern täglich. Noch läuft der Betrieb zögerlich an, das Volumen ist geringer als im Vorjahr. Zum Glück hat der überwiegende Teil der Kundinnen und Kunden umgebucht oder ein flexibles Guthaben angenommen. Nur wenige wünschten Rückerstattungen. Das Interesse an Informationen wächst nun stetig, wir spüren, dass die Leute wieder Fernweh haben.
Und wohin möchten die Leute reisen?
Ganz am Anfang gingen vor allem Buchungen für die Schweiz, Österreich und Deutschland ein. Mit der Öffnung von Spanien, Griechenland oder auch Kroatien ab dem 1. Juli rücken weitere Europa- und vor allem Mittelmeerdestinationen in den Fokus. Übersee und die Fernstrecke werden vermutlich erst längerfristig wieder ein Thema.
Wie entscheidet TUI, wohin man reisen kann und wohin nicht?
Wir schauen uns die Einreisebedingungen und die Infrastruktur an, sprechen mit Hotelpartnern und Airlines, aber auch mit Regierungen. Dabei geht es vor allem darum, was möglich und zumutbar ist. Mund-Nasen-Bedeckung sowie Abstandsregeln sind zumutbar, lange Quarantänen vor Ort nicht.
Gibt es wegen all der Unsicherheiten wieder mehr Menschen, die ins Reisebüro kommen, statt individuell zu buchen?
Wir spüren einen vermehrten Bedarf an Information und Beratung. Und das können wir bieten, sowohl in den Reisebüros als auch auf unserer Website. Unsere Mitarbeitenden freuen sich, dass es endlich wieder losgeht.
Sind alle TUI-Reisebüros wieder offen?
Per Mail und Telefon sind alle erreichbar, physisch geöffnet haben aktuell acht (Stand Ende Juni) – mit Schutzmassnahmen wie Desinfektionsmittel-Spender, Plexiglasscheiben bei der Beratung und auf Wunsch Mund- und Nasenbedeckung. Das funktioniert sehr gut.
Kann man einfach reinlaufen?
Genau. Man braucht keinen Termin.
Wie lange wird es dauern, bis sich Ihre Branche von dieser Krise erholt?
Langfristig bin ich optimistisch: Die Menschen haben nach wie vor die Sehnsucht, neue Länder zu sehen, sich zu erholen, zu geniessen. Ich glaube aber nicht, dass wir schon im nächsten Jahr wieder auf dem Niveau von vor der Krise sind. Das wird dauern.
Werden wir künftig weniger reisen?
Nicht weniger, aber anders. Es wird zum Alltag gehören, dass es spezielle Einreisebestimmungen, Hygienestandards und Schutzkonzepte gibt. Man wird mehr Abstand halten – beim Sport, bei Aktivitäten. Weniger in die Disco gehen. Mehr à la carte essen statt Buffet.
TUI baut weltweit 8000 Stellen ab. Ist die Schweiz davon betroffen?
Auch in der Schweiz müssen wir schauen, wie wir auf ein sich veränderndes Marktumfeld reagieren und uns zukunftsfähig aufstellen. Kosten und Effizienz spielen dabei natürlich eine wichtige Rolle, aber auch Innovationen, flexiblere und schnellere Prozesse.
Haben Sie selbst Ihre nächsten Ferien schon geplant?
Neben einigen Wochenenden in der Schweiz, um das Land kennenzulernen, haben wir einen Kurzurlaub im Robinson Club Landskron in Österreich geplant. Und im Herbst wollen wir ins «TUI Blue Sarigerme Park» in der Türkei.
Was möchten Sie in der Schweiz unbedingt kennenlernen?
Alles! Die Menschen, die wunderschönen Landschaften. Bis jetzt kenne ich von früheren Urlauben nur die Gegend um den Vierwaldstättersee. Unser nächstes Familienprojekt ist ein Umzug in die Schweiz, deshalb sind wir neugierig. Als Erstes werde ich jetzt die Stadt Zürich erkunden, das war während des Lockdown ja nicht ganz einfach.
Was unterscheidet den Schweizer Reisemarkt von anderen?
Natürlich ist er kleiner. Es existieren nur wenige Abflughäfen, und auch bei den Airlines und Leistungsträgern gibt es eine stärkere Konzentration. Im Wettbewerb ist die Zahl der Generalisten geringer, dafür hat es mehr Spezialisten. Spezialreisen scheinen ein grosses Bedürfnis zu sein neben qualitativ hochwertigen Sun- und Beach-Produkten. Vor allem ist mir aber aufgefallen, dass hier in der Schweiz der persönliche Austausch sehr wichtig ist. Man ist sich irgendwie näher. Das gefällt mir.
Und was für ein Bild haben Sie vom Schweizer Touristen?
Die Haltung der Schweizerinnen und Schweizer ist meiner Meinung nach sehr weltoffen, gleichzeitig legt man grossen Wert auf Qualität.
Ihre bisher speziellste Reise?
Da gab es nicht die eine. Ich mag den Mix: Strandurlaub zur Erholung, Wanderferien in den Bergen oder auch die Camperreise in Neuseeland, die ich mit der Familie vor Kurzem gemacht habe.
Ihr typischer Ferienalltag?
Grundsätzlich ist mir wichtig, immer eine gute Portion Sport dabeizuhaben. Joggen zu gehen in neuer Umgebung, meistens morgens, da unsere Tochter sowieso früh wach ist. Im Kluburlaub geniessen wir die Familienzeit, da ist das Wichtigste das Zusammensein.
Ihre grösste Reisepanne?
Wenn man mit dem richtigen Unternehmen unterwegs ist, halten sich die Pannen in Grenzen (lacht).
Aber Pannen machen das Reisen doch aus. So hat man was zu erzählen.
In meiner Airline-Zeit hab ich oft das Stand-by-Angebot genutzt: Wenn Platz da ist, kann man fliegen, wenn nicht, bleibt man hängen. So war ich oft gezwungen, länger zu bleiben als geplant. Und meistens entdeckt man so ganz unerwartete Dinge und Regionen.
Ihre Lieblingsstadt?
Ich hoffe in Zukunft Zürich! Ansonsten sind London und Singapur zwei Städte, die wir regelmässig ansteuern. Meine Frau ist in der Finanzindustrie tätig und lebte beruflich längere Zeit in Singapur. Wir haben da viele Freunde. Genauso in London, wo ich studiert habe.
Was haben Sie immer im Gepäck?
Mein Handy. Und idealerweise ein Ladekabel und die richtigen Adapter dazu.
Und sonst? Ein besonderes Gadget, ein Glücksbringer oder Stofftier?
Wenn, dann würde ich das nicht sagen (lacht). Was mir aber, ohne klischiert klingen zu wollen, sehr wichtig ist, ist die Offenheit und Neugier unbekannten Regionen und Menschen gegenüber. Das ist für mich auch die Motivation, in der Reisebranche tätig zu sein.
Reisen in Zeiten von Corona: Der 10-Punkte-Plan von TUI:
1. Kontaktloses Online-Check-in: Reisende können in vielen Hotels über die Website oder über ihr Smartphone einchecken.
2. Abstandsregel von 1,5 bis 2 Metern für Gäste und Mitar-beitende. Tische im Restaurant werden zum Beispiel nur gereinigt, wenn sie nicht besetzt sind.
3. Das Personal wird in festen Teams arbeiten, damit Infektionsketten rekonstruiert werden könnten.
4. Begrenzung der Gästeanzahl in Restaurants. Die Kapazitäten werden deutlich reduziert.
5. Erweiterung der Öffnungszeiten von Restaurants und Hotelanlagen, damit alle Gäste ausreichend Raum haben.
6. Nur Aktivitäten ohne engen Kontakt. Es darf Golf und Tennis gespielt werden, Fussballturniere finden aber keine statt. Anpassung der Spa- und Kinderklub-Konzepte
7. Die Anzahl der Desinfektionsspender in Hotels wird deutlich erhöht.
8. Bei der Zimmerreinigung werden vor der Ankunft neuer Gäste spezielle, gegen Viren wirksame Mittel verwendet.
9. Reduzierte Selbstbedienung, stattdessen Service durch Personal mit Schutzmasken.
10. Training aller Mitarbeitenden durch unabhängige Prüfer. Schulungsunterlagen, Webinare, Checklisten.