Es war Sommer 1998, und ich flog zum ersten Mal allein mit Freundinnen in die Ferien. Nach Kos. Weils zahlbar war. Und auf den Bildli im Katalog schön aussah. Das Hotel für nicht mal zwanzig Franken pro Nacht lag dann doch nicht ganz so idyllisch. Egal: Wir mieteten uns Fahrräder und radelten täglich fast fünfzehn Kilometer zum Marmari Beach (den Sandstrand dort fanden wir damals weit cooler als die nahen Kieselstrände). Wir hatten die Sonne und den Wind der Ägäis im Gesicht und in den Ohren Natalie Imbruglia, die aus dem Kassettenrekorder im Velochörbli «Torn» sang.
Zwanzig Jahre später. Natalie Imbruglia und Kassettenrekorder sind aus der Mode gekommen, Kos liegt mehr im Trend denn je. Staatsbankrott, Flüchtlingskrise – das alles scheint zumindest vordergründig überwunden. Die Buchungsstände sind (wieder) hoch, rund 1,5 Millionen Touristen besuchen jährlich die 290 Quadratkilometer grosse Dodekanes-Insel. Und die meisten von ihnen landen früher oder später in Kos-Stadt, dem quirligen Zentrum mit antiken Ausgrabungsstätten, Beizen, Bars und Shops. Verkauft wird reichlich Ramsch (T-Shirts für die nächste Bad-Taste-Party!), viele Restaurants servieren die mässig verlockenden Gerichte ihrer bebilderten Menükarten. Doch wer einen kleinen «Masterplan» hat, wird auch hier shoppend und schlemmend glücklich.
Diesen Masterplan liefert uns ein Einheimischer: Hasan Kioseoglou, Besitzer des Global Cafe & Bazaar neben der Agia-Paraskevi-Kirche. Er führt die Bar seit zwanzig Jahren, beweist nicht nur beim Interieur und dem servierten Kaffee Geschmack, sondern kennt auch praktisch jeden, der etwas Gutes anbietet in der Region. Mit seiner Partnerin Julia, die den angrenzenden Basar mit Tüchern, Seifen und Keramik führt, sitzt er uns an diesem Morgen gegenüber, hat eine Karte ausgebreitet, zeichnet Kringel, schreibt Namen auf. Sein wichtigster Tipp: «Bleibt ein paar Tage hier in einem schönen Hotel, geht dann aber unbedingt auf mindestens eine der kleinen Inseln da draussen!» Es gebe für jeden Geschmack etwas – Kalymnos für Kletterer und Outdoorfreaks, Patmos für Pilger und Gläubige, Nisyros für Naturliebhaber und Künstlertypen. Wer über Nacht bleibe, erlebe die Tagesausflugsinseln in ihrer bezaubernden Urtümlichkeit.
Wir bedanken uns, checken erst mal im «TUI Sensimar Oceanis Beach» direkt am Strand von Psalidi ein (siehe TUI Hoteltipps!) und gleichen Hasans Kringel mit unseren Recherchen ab. Dann gehts auf Erkundungstour. Und tatsächlich: Es gibt sie, die guten Restaurants in Kos-Stadt. «Ali» (klassisch griechisch – mit Dolmades, Saganaki, Gyros, Souvlaki), «Barbouni» (Fisch- und Meeresfrüchte. Tipp: der Oktopus vom Grill!) oder das Restaurant Broadway. Hier wird griechisch-amerikanische Fusion-Küche aufgetischt (Crunchy Mousaka). Gründer Kostas wanderte in den Siebzigern aus nach New York, machte dort Koch-Karriere und eröffnete, wieder daheim, das «Broadway». Mittlerweile steht sein Sohn Yiannis hinterm Herd, und auch dieser lernte sein Handwerk im Big Apple, unter anderem in der bekannten Gramercy Tavern (zwei Michelin-Sterne).
Auch toll: «Alla ki Alla», ein verspieltes Lokal, das mit seinen bunten Lampen und dem rumstehenden Nippes etwas an einen Trödlerladen erinnert und dessen Namen sinngemäss «dieses und jenes» bedeutet. Am besten bestellt man hier auch «dieses und jenes»: warmen Feta, in Ouzo und Honig mariniert, mit Sesamkruste, Zucchini-Bällchen mit Tzaziki und dazu den von Kellner Konstantinos empfohlenen warmen Wein mit Zimt und Honig («so geht er besser runter!»). Und, wider Erwarten: Der griechische Glühwein hat was!
Beim Souvenir-Shopping sind handgemachte griechische Ledersandalen ein sicherer Wert – die beste Auswahl findet man bei Mihail. Schmuckläden gibts en masse, Schweizer Stammkunden trifft man bei Gatzakis Gold: Ulrike und Theodoros Gatzakis – sie ist Deutsche, er Grieche – sind nicht nur gute Verkäufer («Bei uns gibts keinen Schnickschnack – ein Ring, ein Stein»), sondern auch passionierte Gastgeber. Sofort wird einem ein Cüpli in die Hand gedrückt, Theodoros entfacht ein Witze-Feuerwerk und präsentiert seine geschweissten Metall-Kunstwerke – «unverkäuflich – aber Ihnen schenk ich eins!». Honig, Kräuter, Olivenöl und Wein kauft man am besten bei Portes in der Martiou Street. Die schönsten Strände gibts auf der Halbinsel Kefalos (Camel Beach, Paradise Beach), bei den Ausflügen lohnen sich jene in die Bergörtchen, zum Beispiel nach Pyli (Kunsthandwerk) oder ins touristische, aber panoramareiche Zia (unbedingt einen Barrista-Kaffee im lauschigen Gärtchen des «Alchimion» trinken!). Legendär ist das Nachtleben von Kos: Gefeiert wird – ziemlich exzessiv – rund um den Hafen und in der «Bar Street», zwischen Platia Platanou und Platia Eleftheria. Der Tipp von Hasan für nicht ganz so junge Semester: «The Rockers» mit Live-Rock der Achtziger. Und die Cocktail-Bar Sitar. Dort seien die Drinks nicht gepanscht – leider keine Selbstverständlichkeit. Wir genehmigen uns einen Aged Negroni aus Eigenproduktion («die besten Drinks stehen nicht auf der Karte», sagt Barkeeper Akis). Dann gehts ans Kofferpacken.
Ein Boot mit Tagesausflüglern bringt uns in rund einer Stunde von Kardamena (an der Südküste von Kos) auf die Vulkaninsel Nisyros. Angekommen im Hafen von Mandraki, strömen die Touristen zu zahlreichen Bussen, die sie erst zum Stefanos-Krater chauffieren (mit einem Durchmesser von 330 Metern gehört er zu den imposantesten der Welt), dann ins malerische Dörfchen Nikia. Für eine Viertelstunde herrscht Trubel. Dann, als sei ein Unwetter aufgezogen, ist alles leer gefegt.
«Den Schlüssel für die Wohnung bekommt ihr bei Manos, dem Autoverleih am Hafen», hatte uns Anna Apostolou, die Besitzerin der Boutique-Apartments Melanopetra, vorab geschrieben. «Dort könnt ihr auch gleich ein Fahrzeug mieten – das werdet ihr brauchen!» Anna ist eine junge Athener Architektin, die ziemlich coole Sachen macht. Überall in Griechenland baut sie Apartments um und richtet sie so ein, dass sie aussehen wie aus einem dieser «Schöner Wohnen»-Magazine – mit viel Weiss und natürlichen Materialien wie Holz, Lehm und Leinen. Nach Nisyros kam sie, um bei der Rekonstruktion des antiken Kastells mitzuhelfen. Sie verliebte sich in die Insel, kaufte in Emporios eines der zerfallenen, in den Hang gebauten Steinhäuser und verwandelte es in eine «Wohlfühlhöhle» mit zwei Wohnungen und atemberaubendem Meerblick.
Annas Freundin Popi, Tochter des Autovermieters Manos, übergibt uns den Autoschlüssel: «Schaut, dass einfach noch ein bisschen Benzin drin ist, wenn ihrs zurückgebt», sagt sie. Wir merken: Auf der Insel wird alles unkompliziert gehandhabt. Auch die Wegbeschreibung nach Emporios und zu den Melanopetra-Apartments: «Mein Vater fährt mit dem Motorrad voraus – folgt ihm einfach!» Es geht etwa 15 Minuten lang Kurve um Kurve hinauf, beim letzten Anstieg ächzt die Karre, dann stehen wir auf einem Parkplatz oberhalb des Örtchens. Autos bleiben hier, zu den teils zerfallenen, teils frisch renovierten Häusern führen nur noch schmale Steinplattenpfade. Papa Manos erklärt noch kurz, wie man den Boiler fürs Warmwasser einschaltet. Dann düst er davon. Und wir begeben uns auf den idyllischen Dorfplatz zu unserem nächsten «Date» – einmal mehr vermittelt von Hasan, dem Café-Besitzer. Triantafyllos Triantafyllou («Mein Vor- und mein Nachname bedeuten das Gleiche – nämlich Rose»), ein glatzköpfiger Kerl mit sanfter Stimme, führt mit seinen Geschwistern das Restaurant Apyria im Herzen von Emporios und vermietet drei Ferienhäuser. Sein perfektes Englisch verrät, dass er nicht immer hier lebte: Er war mehrere Jahre in New York und Athen, vermisste aber stets seine Heimatinsel und kehrte schliesslich zurück. «Rose» weiss alles über Nisyros («die Insel der vielen Feigen»). Und über Emporios: Der Ort war einst ein Handelszentrum, in den Zwanzigerjahren lebten über 2000 Menschen hier. Heute sind es 15, die ganzjährig da sind. Der Rest: Feriengäste, Künstler und Intellektuelle, die sich hier inspirieren lassen, malen, Bücher schreiben. «In den letzten Jahren kommen immer mehr Leute aus Frankreich und der Schweiz, die Ruinen kaufen und renovieren.»
Triantafyllos steht auf, serviert kleine nussige Krabben, die man mit Schale isst, und sündhaft guten scharfen Käse. Was Apyria eigentlich bedeute, wollen wir wissen. «Siehst du das Loch dort in der Wand? Halt mal deine Hand dort rein», sagt er – und die Herren am Stammtisch grinsen. Die Hitze fährt sofort in die Finger: Apyria heisst Vulkanzone! Und die bekommt man hier zu spüren. Auch im angenehmen Sinne: Auf der Insel gibts Thermalbäder und Natursaunen (dampfende Höhlen).
Zum Vulkankrater inmitten der sulfatgelben Lavawüste fahren wir am späteren Nachmittag, als die Tagestouristen weg sind. In Nikia sitzen wir ganz alleine in der Taverne To Kafeneio tou Nikola, essen hausgemachtes Tzaziki zu klimpernder Jazzmusik. Und auch am Vulkansandstrand Pachia Ammos ist weit und breit niemand zu sehen. Die Insel, sie scheint uns zu gehören.
Zurück nach Kos. Im «Grecotel Kos Imperial Thalasso» machen wir einen Zwischenstopp. Die Anlage ist einem exotischen Palast nachempfunden, mit einem von Wasser umgebenen Buffet-Restaurant, vielen seltenen Pflanzen, riesiger Poolanlage mit Lazy River und einem gepflegten Sandstrand mit Beachbar. Im namensgebenden Thalasso-Spa mit den unterschiedlichen Düsen und Wasserfällen werden vor den Anwendungen die Muskeln gelockert. Das Personal ist nicht nur freundlich, sondern herzlich. Am eindrücklichsten zeigt sich dies bei Guest Relations Manager Isidoros und seiner Kollegin Katerina. Mit Witz und Charme sorgen die beiden für das Wohl der Gäste. Isidoros kennt sich in Geschichte und Mythologie aus, spricht perfekt Deutsch und Englisch, hat auch schon auf der US-Botschaft gearbeitet. «Sie haben einen fast schon überqualifizierten Guest Relations Manager», sagen wir Direktor Spyridon Dafnis beim Abschied. «Ich weiss», antwortet er. «Zufällig ist das mein Sohn.»
Next Stop: Kalymnos! Auf der Insel der Schwammtaucher war ich vor zwanzig Jahren auch. Annette, die deutsche Reiseleiterin, versprach Badespass beim Ankern in einer Bucht «inklusive Arschbomben-Contest». Im Hauptort Pothia besuchten wir zudem «den besten Schwammladen». Heute weiss ich: Der bessere Schwammladen befindet sich auf der anderen Inselseite in Masouri und gehört Ioannis «du kannst mich John nennen» Magriplis. Und Kalymnos ist nicht nur eine Schwammtaucherinsel, sondern eine der populärsten Kletterdestinationen Europas mit Routen aller Schwierigkeitsgrade (Level 4 bis 8c) und einer ikonischen Grotte mit extremen Überhängen.
Wo viele Kletterer sind, sind viele Schweizer, lernen wir. In den Wänden über Masouri treffen wir die Familien Egli und Utelli aus Thun BE, deren Kinder Zoé, Liv und Jonas bekannte Kletter-Nachwuchstalente sind. Und im Örtchen (Backpacker-Groove, Smoothie-Bars, Outdoor-Shops) begegnen wir Jsabella Kistler und Bruno Stadelmann. Das Paar kommt seit zehn Jahren nach Kalymnos. «Wollt ihr einen Essenstipp? Geht in die Taverne Aegean!», empfehlen sie. Und behalten recht.
Den Sonnenuntergang geniessen wir am sympathischen kleinen Strand des Boutique-Hotels La Playa, blicken auf die vorgelagerte Insel Telendos. «Da müsst ihr morgen hin: Türkisfarbene Badebuchten, Fischer, Ziegen ... alle zehn Minuten fährt ein Boot!», sagt der Hotelmanager. Noch eine Insel? Wir halten inne. Warum auch nicht!
5 for the road (Kos)
Anreise 2 × wöchentlich mit Edelweiss von Zürich nach Kos (Mai–November), www.flyedelweiss.com
Hotel Relaxen im «Grecotel Kos Imperial Thalasso», www.tui.ch/grecotel-kos-imperial
Restaurants www.ilovebarbouni.com (Seafood), alirestaurantkos.gr (typisch griechisch)
Drinks Sitar Cocktail Bar (antikes Interieur, versierter Bartender). 15 Riga Fereou, Kos-Stadt
Viewpoint Die Aussicht vom Bergörtchen Zia. Tipp: Café Alchimion. https://bit.ly/2DUuO0T