Foodies fühlen sich in Vietnam sofort heimisch. In Ho Chi Minh City, dem früheren Saigon, ist jede Strassenecke auch eine Küche. Auf den Trottoirs werden Waffeln gebacken und Fleischspiesschen auf Minigrills gebraten. Schon frühmorgens dampft es in den kleinen Garküchen. Zum Frühstück sitzen die Einheimischen gebeugt auf Plastikhockern in Kindergrösse und schlürfen Pho, die bekannte würzige Nudelsuppe mit Poulet- oder Rindfleischstücken, Frühlingszwiebeln und vielen frischen Kräutern. In den meisten Hotels wird morgens ebenfalls Pho angeboten. Diese muss man probieren – auch wenn es einem anfangs widerstrebt. Sehr vertraut sind dagegen die knusprigen Baguettes, ein Erbe der französischen Kolonialherren. Und: Vietnam ist ein richtiges Kaffeeland. Nur Brasilien exportiert mehr Bohnen. Der traditionelle, sehr starke Ca Phe Sua Da wird kalt genossen, mit Eiswürfeln und viel süsser Kondensmilch. Die hippe Kaffeekultur hat längst auch Ho Chi Minh City erreicht. In Perfektion zelebriert wird sie bei «The Workshop». Das Café liegt im Distrikt 1, dem Zentrum der Stadt. Von aussen wirkt das Haus vernachlässigt. Parkierte Mopeds erschweren (wie an vielen anderen Orten auch) den Weg zum Eingang. Doch der oberste Stock macht alles wett: ein lichter Raum mit hohen Industriefenstern, elegantem Betonboden und schlichten Holztischen. An der grossen Bar in der Mitte des Raumes hantieren die Baristas konzentriert mit Kaffeepulver, Wasser und Geräten, die an den Chemieunterricht erinnern. Wer kann, ergattert einen Platz an der Theke und beobachtet das labormässige Treiben: Eine Mitarbeiterin – blaue Schürze, die schwarze Hornbrille klebt ihr auf der Nasenspitze – wägt vor dem Mahlen exakt die Bohnen ab. Auch die Temperatur des heissen Wassers misst sie penibelst mit dem Thermometer. Beim Warten auf unseren Kaffee (wir haben uns für Filterkaffee entschieden, einmal als Cold Drip und einmal im Syphon zubereitet) lernen wir an der Theke Gregory aus Kalifornien kennen. «Die Kaffee-Hipsters aus meiner Heimat sehen neben diesen Baristas ganz schön alt aus», findet er und grinst. Gregory, so erfahren wir, lebt seit einigen Monaten in Ho Chi Minh City und entwickelt Sportschuhe für grosse internationale Marken. Vietnam boomt. Auf allen Ebenen. Auch Bundesrätin Doris Leuthard war deshalb kürzlich hier – um wirtschaftliche Beziehungen zu knüpfen.
Nirgends spürt man die pulsierende Stimmung der Stadt besser als auf dem prachtvollen Nguyen-Boulevard im Zentrum. Deutlich werden auch die Widersprüche im sozialistisch geführten Staat. Am Ende der Fussgängerzone winkt der einstige Revolutionsführer und Präsident «Onkel Ho» von einem Sockel seinen Genossinnen und Genossen zu – und nur ein paar Schritte daneben fotografiert sich die Jugend aufgebrezelt und Instagram-versiert vor den Schaufenstern von Chanel und Cartier. Die Luxusboutiquen befinden sich unweit des geschichtsträchtigen Hotels Rex. Auf seiner Dachterrasse hielten die Amerikaner während des Vietnamkriegs ihre täglichen Pressekonferenzen ab. Der Krieg zwischen dem kommunistischen Nordvietnam und dem prowestlichen Südvietnam endet am 30. April 1975 mit dem Fall von Saigon. In trauriger Erinnerung: Das Bild der Menschenschlange vor dem US-Hubschrauber, der letzte Amerikaner und Flüchtlinge ausfliegt, die den neuen kommunistischen Herrschern entgehen wollen. Ein Jahr später wurde die Stadt dann in Ho Chi Minh City umbenannt. Der Begriff Saigon ist allerdings nach wie vor gebräuchlich – für den ersten Bezirk der Stadt, das touristische Zentrum.
Dieses lässt sich gut zu Fuss entdecken. Man spaziert vorbei an Kolonialbauten wie dem alten Rathaus, geht weiter zur eleganten Hauptpost (ihre Stahlkonstruktion hat Gustave Eiffel entworfen, die Schalter sind noch immer in Betrieb!) und zur Kathedrale Notre-Dame aus rotem Backstein. Für Souvenirs lohnt sich ein Halt bei Saigon Kitsch. Der Shop führt eine grosse Auswahl an Taschen aus Fischfuttersäcken, bunt lackiertem Bambusgeschirr oder Postern mit sozialistischen Drucken. Puristen werden dagegen in der Wohnboutique Amaï fündig. Das zarte Porzellangeschirr wird auch garantiert reisetauglich verpackt.
Das tropische Klima mit seiner hohen Luftfeuchtigkeit ermüdet. Erholung findet man bei L’Usine, einem Concept-Store (Kleider, Accessoires) mit Café, den es gleich dreimal in der Stadt gibt. Die Filiale Le Thanh Ton bezaubert mit eleganten Fliesenböden, gemütlichen Sesseln – und angenehm heruntergekühlten Temperaturen. Unterwegs erfordert auch der Verkehr Coolness. Auf den Strassen wimmelt es von Motorrädern, beim Überqueren der Strassen ist selbstbewusstes Auftreten gefragt. Oder man wechselt einfach die Perspektive und nimmt selbst auf dem Töff Platz. Am einfachsten funktioniert der Fahrdienst Grab, die asiatische Variante von Uber. Dank der App steht innert kürzester Zeit ein Fahrer am gewünschten Ort. Man setzt den grünen Helm auf, hält sich gut fest – und schon gehts ins Verkehrsgetümmel.
Abends ziehen die Vietnamesen in der Stadt gern von einer Garküche zur nächsten. Probieren an einer Ecke etwas grilliertes Schweinefleisch, schauen eine Strasse weiter bei ihrem liebsten Suppenstand vorbei und beenden dann die Tour auf dem Night Market mit Klebreis und süsser Kokossauce. Nachmachen ist ausdrücklich empfohlen! Wer sich an die Faustregel «Peel it, boil it, cook it or forget it» (schälen, kochen, braten oder verzichten) hält, kann nicht viel falsch machen. Die Qualität des Streetfood ist überall gut, einzig die Minihocker schmälern langbeinigen Westlern das Vergnügen. Gediegener ist natürlich ein Restaurant-Besuch. Auch hier folgt man wieder den einheimischen Sitten und bestellt so viele Gerichte, dass man vor lauter Tellern die Tischplatte nicht mehr sieht. Jeder bedient sich, alles wird geteilt.
Leckeres Essen und ein hübsches Ambiente bietet das traditionelle vietnamesische Restaurant Cuc Gach Quan. Hier traf man Angelina Jolie und Brad Pitt, als sie noch zusammen durch Asien reisten und an einem Tisch (s)assen. Im verwinkelten französischen Kolonialhaus mit mehreren Zimmern auf zwei Stockwerken ist die Karte so umfangreich, dass man am besten dem Kellner freie Hand lässt. Eine weitere Empfehlung: das vegetarische Restaurant Hum mit drei Lokalen in der Stadt. Das Interieur ist eine Mischung aus elegant und traditionell. Neben Touristen – eine Filiale liegt gleich neben dem Kriegsopfermuseum – kommen auch wohlhabende Vietnamesen. Zweimal im Monat werde das Restaurant besonders voll, erzählt die nette Bedienung. «Buddhisten sollten nämlich am ersten und fünfzehnten Tag des Monats auf Fleisch verzichten. Generell wächst bei uns in der Stadt die Nachfrage nach gesunder Ernährung.»
Gut gesättigt, zieht es einen für einen Drink in die Höhe. Die Stadt ist voller Rooftop-Bars. Die beste Aussicht bietet die Chills Skybar. Angelehnt am gläsernen Geländer im 26. Stock, in der Hand ein kühles Bier, könnte man ewig hier stehen und zuschauen, wie die Hochhäuser rundherum Las-Vegas-mässig beleuchtet werden. Für die kreativsten Drinks geht man in den Club The Lighthouse. Auch hier sitzt man draussen und stellt um Mitternacht erstaunt fest, dass auf der Baustelle unten auf der Strasse immer noch gearbeitet wird.
Erholung vom Grossstadtleben findet man in Vietnam am und auf dem Wasser. Bei einer Flussfahrt durchs Mekong-Delta südlich von Ho Chi Minh City oder in einem der Badeorte an der Küste – etwa in Nha Trang mit seinen Traumstränden. Ein Besuchermagnet ist die Halong Bay ganz im Norden des Landes: Bei einer Schifffahrt erkundet man die vielen Kalksteinfelsen, die der Bucht das Ambiente eines Fantasy-Films verleihen. Dazu nimmt man am besten einen Inlandflug nach Hanoi, von wo aus diverse Anbieter Touren zur Bucht anpreisen. Tipp: einen mehrtägigen Trip buchen, zum Beispiel bei Gebeco.
Auch in Hanoi sollte man etwas verweilen. Die vietnamesische Hauptstadt hat viele Seen, grüne Parks und eine quirlige Altstadt mit engen Gassen. Ein Wiedersehen gibt es mit «Onkel Ho» – nun aber in (fast) real. Der Besuch seines Mausoleums ist ein schaurig-spannendes Erlebnis; es beginnt mit einer endlos scheinenden Warteschlange: Touristen, Schulklassen, alte einheimische Damen in ihren besten Jupes und Blazern stehen geduldig an. Währenddessen scannen Aufseher die Wartenden: Keine Kamera, keine kurze Hose, keine unbedeckte Schulter wird toleriert. Später im eiskalten Raum muss man zügig am gläsernen Sarg vorbeihuschen. Eine Stunde anstehen, drei Minuten im Mausoleum – vorbei ist die durchaus eindrückliche Reise in den Kommunismus.
Daraufhin braucht man dringend etwas – wortwörtlich – Belebendes: eine heisse Nudelsuppe, eine vietnamesische Omelette mit fiesen kleinen Chilis oder vielleicht sogar ein Egg Coffee? Der mit Eierschaum bedeckte Kaffee wurde in Hanoi erfunden und schmeckt wie ein Dessert. Noch so etwas, das die «Mmh-Metropolen» Vietnams zum Traumziel für Foodies macht.
5 for the road (Ho Chi Minh City)
Neuer Nonstop-Flug Zürich – Ho Chi Minh City mit Edelweiss (jeweils Mo/Do). www.flyedelweiss.com
Hotel Elegante Zimmer mit kolonialem Flair, Pool, zentral gelegen. www.tui.ch/the-myst-dong-khoi
Restaurant Traditionelle Küche, tolles Ambiente in einem Kolonialhaus. www.cucgachquan.com
Bar Ho Chi Minh City ist die Stadt der Rooftop-Bars. Die tollste Aussicht hat www.chillsaigon.com
Sightseeing Bewegend: ein Besuch im Kriegsopfermuseum. http://warremnantsmuseum.com