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Lawinenforschung im Wallis

Eine Drohne für den Notfall

Das Wallis lebt mit den Naturgewalten. Und die Walliser haben aus der Not eine Tugend gemacht und mit dem Umgang mit Lawinen sogar die Unesco überzeugt.

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Le drone Nivitec en plein vol le 4 fevrier 2019 au glacier de la Plaine Morte (VS) valais 2019. start-up Nivitec drone sauvetage avalanche
Handout

Pulverschnee, mystische Eiskristalle, gleissendes Sonnenlicht: Die Alpen präsentieren sich in der kalten Jahreszeit als Winterwunderland. Der Kanton Wallis vereint die höchsten Berge des Landes, 45 von 48 Schweizer Viertausendern gehören zum Kanton oder berühren ihn zumindest. Doch auch die spektakulärste Bergwelt hat ihre Schattenseiten und stellt die Menschen seit Generationen vor grosse Herausforderungen. «In den Bergen gibt es die absolute Sicherheit nicht», sagt Pierre Huguenin, der technische Verantwortliche am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Sion, der Aussenstelle der Davoser Zentrale, «es bleibt immer ein Restrisiko.»

Das Wallis hat aus der Not eine Tugend gemacht und sich mit seinen profunden Wissenschaftsarbeiten und den archivierten Erkenntnissen als globales Kompetenzzentrum in der Lawinenforschung und Lawinenprävention etabliert. 2018 wurde der Umgang mit der Lawinengefahr von der Unesco als immaterielles Kulturerbe anerkannt. «Lawinen führen im Alpenraum zu neuen Formen des kollektiven Umgangs mit Risiken», heisst es beim Bundesamt für Kultur.

Das Lawinenbulletin spielt für die Sicherheit eine zentrale Rolle. Es wird durch das SLF in Davos anhand der Daten der automatischen Messstationen des flächendeckenden IMIS-Netzes erstellt. Obwohl die Datenerfassung mittlerweile ein technologischer Ablauf ist, spielt die menschliche Beurteilung weiterhin eine wichtige Rolle. Norbert Carlen, bei der Dienststelle des Kantons Wallis für Naturgefahren zuständig, sagt dazu: «Die Sicherheitsdienste und Pistenpatrouillen kennen die lokalen Besonderheiten und haben dank ihrer Erfahrung in der Regel ein ausgeprägtes Gespür für die situative Gefahrenentwicklung.» Die Forschungsarbeiten am SLF orientieren sich am neusten Stand der Wissenschaft. Anhand von Computersimulationen wird der komplizierte physikalische Prozess des Auslösens und Abgleitens von Schneebrettern nachgestellt. In der Praxis werden Messungen im grössten Lawinen-Observatorium der Welt – im Vallée de la Sionne in der Gemeinde Arbaz – vorgenommen. Dort befinden sich drei Auslösegebiete, die zahlreiche Messungen über die Bewegung, das Volumen, die Temperatur und die Dichte einer Lawine erlauben. Radare und Sensoren tragen dazu bei, eine Lawine und deren Verhalten genau zu analysieren.

Photovoltaik auf Lawineverbauung

Energie. Photovoltaik auf einer Verbauung. 

Handout

Die Naturgefahr Lawine hat im Wallis auch Pionierunternehmen hervorgebracht: In-Terra präzisiert mit Drohnentechnik die Datenerfassung. Die Topografie der Alpen kann so viel genauer analysiert werden, was der Rettung im Hochgebirge zugutekommt. Auch die Digitalisierung optimiert den Schutz vor Lawinen. Die App Nivo Test von Météorisk ermöglicht es, die Risiken für Expeditionen anhand von Informationen zu Topografie und Konstitution von Berghängen abzuwägen. Durch zahlreiche meteorologische und topografische Faktoren oder Erfahrungen liefert diese Applikation Angaben und den Bedingungen angepasste Sicherheitsratschläge.

Das Start-up Transcend hat mit der Technologie der erweiterten Realität (Augmented Reality) Schulungen für Erste Hilfe in den Bergen entwickelt. Die Firma Nivitec produziert Drohnen, die bei der Suche nach Verschütteten effizienteste Arbeit leisten. Die Air Zermatt und die Air-Glaciers schliesslich gehören traditionell zu den grössten Spezialisten in Bergung und Rettung. Sie haben mit Transportflügen aber auch entscheidend zur Erstellung von rund 4000 Lawinenverbauungen in den vergangenen zehn Jahren beigetragen. Auf diesen baut dann das Unternehmen EnAlpin Sonnenkollektoren. Dieses neuartige Konzept, das bis auf eine Höhe von 2400 Metern angewendet werden kann, verbindet Sicherheit mit Nachhaltigkeit.

Lawine Sprengung Schnee Wallis

Nassschneelawinen nehmen zu, sie sind zerstörerischer als Staublawinen. 

D. CARLIER

Für Norbert Carlen ist entscheidend: «Der Lawinenschutz funktioniert nur dann effizient, wenn alle Informationen und Ressourcen gebündelt werden.» Gleichzeitig gibt er zu bedenken: «Mit der fortschreitenden Technisierung steigt auch der Druck auf die Entscheidungsträger.» Viele Lawinen donnern immer wieder am selben Ort ins Tal, weshalb Lawinensprengungen von grosser Bedeutung bleiben. «An exponierten Stellen sprengen wir ab einer Neuschneehöhe von fünfzig Zentimetern», erklärt Carlen. Lawinenniedergänge seien heute zwar exakter voraussehbar, vollständig werde sich die Natur aber nie berechnen lassen.

Von Thomas Renggli am 1. November 2019 - 06:00 Uhr