Zwei Wölfe, wild in der Anmutung und vorwärtstrabend, stehen am Eingang des Naturmuseums in Sion in der mittelalterlichen Altstadt. Sie sind aus Beton, geschaffen vom Künstler Olivier Estoppey, dem ehemaligen Professor an der Walliser Schule für Gestaltung. «Wölfe stehen symbolisch für den Umgang der Gesellschaft mit der Natur, und ich freue mich sehr, dass wir diese Kunstwerke zeigen können», sagt Nicolas Kramar, Direktor des Museums, und redet sich gleich ins Feuer.
Was sagen Wölfe über Menschen aus?
Nicolas Kramar: Der Wolf ist das erste Tier, das die Menschen domestizierten – sehr viel früher als Schafe oder Kühe. Er wurde zum Haustier Hund, und im Gegenzug wurde der Wolf gefürchtet und vertrieben. Unsere Beziehung zur Natur hat sich seit je gewandelt. Heute siedeln wir den Wolf wieder an, weil wir merken, dass die Natur verarmt ist.
Sie stellen das Verhältnis Mensch–Natur mit Tierexponaten nach. Was waren die Überlegungen?
NK: Der Umgang mit anderen Lebewesen zeigt deutlich und auch emotional auf, wie wir uns auf der Erde positioniert haben. Im ersten Saal stehen die Tiere frei herum, keine Vitrinen, keine Abgrenzungen. Es war ein Miteinander, ein gegenseitiges Respektieren. Dann hat der Mensch begonnen, Nutztiere zu halten, Schafe, Kühe – das wird mit einem halbhohen Zaun symbolisiert, hinter dem die Tiere platziert sind. Im dritten Saal befinden sich Bär und Luchs dann hinter deckenhohen Gittern – wir haben sie ausgesperrt, wollten sie ausrotten. Das ging so weit, dass wir ganze Gattungen ausgerottet oder vertrieben haben. Nun siedeln wir sie teilweise wieder an, das Gitter öffnet sich also ein bisschen, und wir lassen kontrolliert wieder Tiere heraus.
Viele Tiere und Pflanzen sind verschwunden, die Uno spricht vom sechsten Massensterben in der Erdgeschichte.
NK: Von einem Massensterben spricht man, wenn 75 Prozent der Fauna und Flora in weniger als zwei Millionen Jahren vernichtet werden. So weit sind wir noch nicht. Aber wir tun das in nie da gewesener Geschwindigkeit: Frühere Massensterben brauchten Millionen Jahre, wir könnten es in einigen Tausend schaffen. Man kann, erdgeschichtlich betrachtet, den Menschen mit einem Meteoriten vergleichen, der einschlägt und die Erde massiv verändert.
Das Naturmuseum Wallis hat auch die Webseite Reiseziel Erde geschaffen. Wieso diese Grundlagenarbeit?
NK: Das Wallis mit seinen Bergen ist für uns Geologen ein Paradies: Im Gestein können wir lesen, wie sich die Erde über Jahrmilliarden verändert hat. Wir finden Fossilien aus urgeschichtlichen Meeren oder Spuren der ersten Bäume. Wir sehen Temperaturschwankungen wie Eiszeiten und Wärmeperioden. Im Jahr 2000 haben Wissenschaftler nun den Begriff Anthropozän ins Spiel gebracht: Der Mensch hat derart auf die Natur Einfluss genommen, dass er biologische, geologische und atmosphärische Veränderungen herbeigeführt hat. Wir möchten die Gründe dafür aufzeigen.
Sie sind Vorsitzender der Anthropozän-Gruppe des Internationalen Komitees der Naturmuseen Icom Nathist. Woher das Interesse?
NK: Wir müssen uns bewusst sein, was wir tun. Ich will nicht Angst machen, sondern Bewusstsein schaffen, um Lösungen zu finden.
Was glauben Sie, was ein Geologe von uns dereinst findet?
NK: Ich wünsche mir, dass es noch Menschen gibt – und Geologen.