Cyril Koller hat ein festes Ritual. Es gehört zu jeder Versteigerung. Er trinkt mehrere Tassen Espresso. Dann geht er an der Limmat spazieren; atmet tief ein – zur Beruhigung –, tief aus, um im Geist noch mal die wichtigsten Lose durchzugehen. Zwischendurch raucht er. Eigentlich raucht er immer. Dann umwirbelt grauer Qualm sein sonnenbraunes Gesicht, ganz so, als würde er selbst am liebsten hinter einem Schleier stehen.
Zurück im Auktionssaal streckt sich der 41-Jährige im dunkelblauen Massanzug, greift automatisch zum roten Bleistift. Seine Frau Corinne, 44, die Silberspezialistin, steht in einer Ecke, «weil das guttut». Dann setzt Koller sein Jungenlächeln auf, mit dem er lockt und schmeichelt. Motto: «Kommen Sie – 10 000 Franken mehr gehen doch allemal! Eine Gelegenheit wie hier, die gibts so schnell nicht wieder.»
In den letzten Tagen im März brachte Koller Bilder, Schmuck, Silber, Teppiche, Porzellan und Möbel unter den Hammer. Das Haus Koller ist nicht nur Luxus-Veranstaltung wie Christie’s oder Sotheby’s. Hier kann jeder Objekte einliefern. Und mit Glück auch mal eine Zeichnung für 400 Franken kaufen. 60 Mitarbeiter bereiten sich ein halbes Jahr auf diese Zeit vor: tragen 3000 Kunstwerke zusammen, schreiben Gutachten, entwerfen den Katalog.
Es sei «gut» gewesen, nicht «spektakulär», wird er am Ende der Auktionswoche sagen. Die Finanzkrise schwebt über dem Geschäft. Ruhe findet er da in seinem Haus in Küsnacht mit der Familie.
Koller, in grauer Hose, schwarzem Pulli, bei Kaffee und Zigaretten, sitzt hier auf dem Sofa, sagt: «Die Leute sind vorsichtiger geworden, die Preise realistischer.» Corinne Koller zieht an ihrer Zigarette, nickt. Zwischen die Eltern drängen sich zwei der vier Töchter. Isabelle, 10, zieht etwas verlegen an ihren Pippi-Langstrumpf-Zöpfchen; Jara, 16, in Leggins, einer schwarzen Weste, Nägel und Augenlider grün.
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Koller lebt, was er macht. Daheim umgeben ihn Dutzende Kreidezeichnungen, venezianische Kronleuchter, alte Spiegel, fein ziselierte Kommoden, altes Silber. Dabei waren er und die Kunst zunächst auf, na ja, kritischer Distanz. Sein Vater, ein Jurist, hatte sein Hobby – alte Pferdestiche – 1958 zum Beruf gemacht. Cyril, der Älteste von drei Kindern, wuchs zwischen Galerie und Bilderlager auf. Feierte der Vater Geburtstag, erheiterte Klein Cyril in der Galerie die Gesellschaft gutbürgerlich mit einem Gedicht.
Fussballspielen? «Zu proletarisch», fand die Mutter. Ferien in der Badi? Nein, in Kirchen und Museen von Rom, Florenz, Siena. «Wir haben uns fürchterlich gelangweilt, aber irgendwie ist etwas hängen geblieben. Heute machen wir es mit unseren Kindern genauso.»
Mit 15 empfiehlt ihm die Latein-Lehrerin mit Blick auf seine Noten das Gymnasium zu verlassen und Schreiner zu werden. Also wechselt Cyril, die Drohung im Nacken, ins Benediktiner-Internat Engelberg. Hier entdeckt er Philosophie, Latein und Kunstgeschichte.
Jobbt bald im elterlichen Betrieb, studiert später - klar - Kunstgeschichte. Als Anfang der 90er-Jahre der Kunsthandel in eine Krise kommt, müssen die Eltern ihre Galerie an der prestigeträchtigen Zürcher Rämistrasse aufgeben. Sie ziehen ins Industriequartier und haben ab dem Moment einen neuen Mitarbeiter: Sohn Cyril, gerade 21 Jahre, verlässt die Uni ohne Abschluss, steigt 1991 in den Betrieb ein. Familie verpflichtet.
Zurück in der Auktion. Den ersten Höhepunkt bei der Versteigerung «Gemälde Alter Meister» hat Cyril Koller bereits am frühen Nachmittag hinter sich. 240?000 Franken für die kleine Holztafel von Pieter Claesz, ein Stillleben mit Weinglas, aufgeschnittenem Brötchen und Austern.
Nun hat er Pause, sitzt in seinem kühlen Büro, die Wangen heiss, der Blick unruhig. Eine Mitarbeiterin bringt ein Glas und zwei Dosen Red Bull. Er öffnet beide, schenkt sich ein und trinkt in grossen Schlucken. «Gute Kunst fasziniert mich. Sie berührt mich hier», und seine Hand geht zum Bauch, «wenn ich etwas wirklich Schönes bekomme und das präsentieren darf, bin ich glücklich.»
Kollers Blick gleitet durch sein Büro. Vorbei an den vergitterten, diebstahlgesicherten Fenstern, über die raumhohe Bücherwand mit den schweren Lexika, den dicken Bildbänden. Dem «Frauenporträt» von Ferdinand Hodler, das zur Schätzung auf einer Staffelei lehnt. Dann folgt – logisch – erst ein tiefer Zug aus der Zigarette, dann einer mit Red Bull.
«Wenn ich etwas wirklich Schönes bekomme und das präsentieren darf, bin ich glücklich»
Er springt auf. Eilt mit grossen Schritten hinaus, durch einen Raum voller Bilder. Vorbei an den Lagerarbeitern, die jedes Kunstwerk aus den Regalen nehmen. Vorbei an den jobbenden Kunstgeschichts-studentinnen, die es dann mit weissen Handschuhen auf der Auktionsbühne präsentieren.
Koller bringt sich mit einem Mönchsporträt, einer Wirtshausszene und Tierdarstellungen in Schwung. Dann ruft er Losnummer 3217 auf, ein Bild aus Schweizer Privatbesitz, gemalt vom Russen Vasily Dimitrievich Polenoff im Jahr 1883. Eine «Spaziergängerin im Wald», gelbes Laub am Wegesrand. Auf der Bühne hat das Bild seinen Auftritt. Im Saal ein Händler aus Genf. Man raunt, er kaufe im grossen Stil für eine griechische Reederfamilie. Genaueres könne man nicht sagen, Diskretion, versteht sich.
Der Händler, das Hemd offen, nackte Füsse in Lederslippern, eine sehr
junge, sehr blonde Frau an seiner Seite. Koller startet bei 160 000 Franken. Bald liefern sich der Grieche und ein Mitarbeiter Kollers, der einen russischen Privatmann vertritt, ein Biet-Gefecht. Bei 680 000 trinkt Koller, die Wangen noch heisser, einen Schluck Wasser.
Bei 750 000 legt sich Stille über den Saal. Der Grieche stampft, zetert, hüpft. Bei 840 000 Franken geht der Zuschlag nach Russland. «Ich bin seit 43 Jahren in dem ‹fucking business›. Die Kollers machen das echt gut!», sagt er, schnappt sich die Blondine und verschwindet. Händler und Sammler im Saal schmunzeln. Alte Damen mit Föhnwelle und Kostüm, Herren in Wollpullis und Cordhosen starren weiter auf ihre Notizen.
Was macht einen guten Auktionator aus? 100 Millionen Umsatz im Jahr? Schauspieler-Talent und Charme? Gute Kontakte? «Natürlich gehört Gewinnmachen dazu. Auch Beziehungen zu Sammlern und Händlern. Dann ein Gespür für die Stimmung im Saal», sagt Koller, der diese Sätze druckreif spricht. Viel wichtiger sei jedoch «ein Gespür für Qualität, auch wenn man im Detail nicht immer alles über ein Kunstwerk weiss». Knapp gesagt: Killerinstinkt. Gutes Material gleich gutes Geschäft.
Das ist Koller, der Unternehmer. Sein Vater Pierre lieh der Zürcher Schifffahrtsgesellschaft noch Gemälde aus, damit sie das Schiff dekorieren konnten, mit dem Papst Johannes Paul II. 1984 über den See fuhr. Für den Staatsbesuch der Queen in Bern (1980) stattete er ein Zimmer mit Möbeln, Teppichen, Gemälden, ja sogar Ess-Service aus. Seit Cyril Koller die Firma führt, ist das Auktionshaus mehr Wirtschafts- als Liebhaber-Unternehmen.
Es scheint, dass die Tradition mit Laura fortgeführt wird. Mit 19 Jahren ist sie die älteste Tochter, steuert auf die Matur zu, will «was mit Kunst machen». Tochter Junia ist gerade zum Schnupper-Wochenende im Internat – in Engelberg – wie einst ihr Vater.
Kollers Alltag ist Kunst zum Anfassen. Er sitzt im Schnitt einmal pro Woche im Flugzeug, besucht Sammler und nimmt – Killerinstinkt – von ihnen Werke für die Versteigerung entgegen. Christie’s und Sotheby’s mit je 2000 Mitarbeitern, entlassen Personal. Er nicht. In den fetten Jahren haben die beiden Weltmarktführer Milliarden mit moderner Kunst umgesetzt, zum Beispiel mit den eingelegten Haien des Engländers Damien Hirst.
Immer wenn Kollers sich selbst ein neues Kunstwerk gönnen, kommt es im Wohnzimmer auf den weissen Couchtisch. Zum Anschauen. Anfassen. Geniessen. Zurzeit stehen da vier Bronzeskulpturen: «Diese Kunst ist gemacht, um sie zu berühren, in der Hand zu halten. Die gehört nicht in eine Vitrine, das wäre Chichi-Seich», sagt Koller. Erst viele Berührungen später wandern die Stücke auf Regale, in Schränke.
Koller zündet sich wieder eine Zigarette an: «Unser Weg war immer ein anderer. Klassische Kunst ist ein sehr guter Markt. Das war so und wird immer so bleiben.» Sagts, – und bläst den Rauch wie ein graues Netz vor sein Gesicht.