Das eigene Kind zu Grabe zu tragen, ist das Schlimmste, was Ihnen passieren kann. Das ‹Ohne dich› ist fürchterlich», sagt Adolf Ogi, 67. Am 18. Februar erlag sein Sohn Mathias einer seltenen Form von Halskrebs. Die Diagnose hatte der Jurist zehn Monate vorher erhalten. Monatelang hatte sich der alt Bundesrat aufopferungsvoll um seinen Sohn gekümmert. Jetzt öffnet Adolf Ogi in einem «SonntagsBlick»-Interview seine Seele.
«Es ist sehr, sehr schwierig für mich, wieder zu Kraft zu kommen. Ich lese viel Ratgeberliteratur, die mir hilft, die Trauer zu verarbeiten.» Die Anteilnahme bei Mathias’ Abdankung sei enorm gewesen. Adolf Ogi ist dankbar, ebenso Ehefrau Katrin und Tochter Caroline. «Viele Freunde helfen und stützen uns. Doch schliesslich verarbeitet jeder seine Trauer auf eigene Weise. Ein Rezept gibt es da nicht.»
Daheim bei Ogis in Fraubrunnen BE brennt eine Kerze für Mathias. «Er lebt weiter bei uns. Aber ich kann nicht mehr mit ihm reden. Das ist fürchterlich.» Ogi gesteht, er könne weinen, den Gefühlen freien Lauf lassen. «Aber ich kann nicht jeden Tag weinen. Doch ich will auch nicht verdrängen.»
Es sei eine harte Prüfung «für uns alle. Meine Frau hat grosse Mühe, das schwere Schicksal zu verkraften. Sie hat vor allem die Kinder umsorgt.» Mathias und sein Mami seien sehr ähnlich: aufmerksam, bescheiden, sehr zurückhaltend. Seine Tochter und er hingegen seien eher der extrovertierte Teil der Familie.
Als Bundesrat habe er oft wenig Zeit gehabt für die Familie. Doch er müsse kein schlechtes Gewissen haben. «Die Kinder wussten: François Mitterrand konnte bei mir im Büro stehen, trotzdem war ich jederzeit für sie da. Ich hatte immer ein aussergewöhnlich gutes Verhältnis zu unseren Kindern. Mathias und ich haben einander sehr viel gegeben.»
«Freude herrscht!» Dieses Zitat bleibt untrennbar mit Ogi verbunden. Kann er die Sonnenseiten des Lebens noch geniessen? «An einer schönen Skiabfahrt oder einem guten Schlag auf dem Golfplatz kann ich Freude haben. Aber der Gedanke, dass ich meinen einzigen Sohn verloren habe, ist immer da. Es wird nie mehr sein wie vorher.»
Er sei voll ausgelastet, erzählt Ogi im «SonntagsBlick»-Interview weiter. Neben seinem humanitären Engagement und dem in Sachen Sport sei er vor allem damit beschäftigt, Bürgerbriefe zu beantworten. «Ich kriege täglich bis zu 20 Briefe und Mails. «Viele wollen einen Rat von mir, andere laden mich zu Anlässen ein.»
Die Bundesratswahl habe er mit Interesse verfolgt. «Es ist sehr wichtig, dass ein Romand gewählt worden ist. Es wäre gut, wenn bei der nächsten Gelegenheit auch das Tessin wieder in der Landesregierung vertreten wäre.»
Es gibt ihm zu denken, «dass ein Herr Sarkozy oder ein Herr Berlusconi noch nie in Bern waren». – «Wir haben keine Fürsprecher mehr. Obwohl wir doch gute, zuverlässige Nachbarn sind.» Man müsse sich fragen, ob unser Regierungssystem in Krisenlagen noch zeitgerecht handeln kann. «Ich fände es wichtig, dass der Bundespräsident drei bis vier Jahre im Amt bleibt.»
Es gebe ganz starke Kräfte in unserem Land, «die gar nicht wollen, dass die Schweiz viel Kontakt mit dem Ausland hat». Eine Anspielung auf die SVP? «Ich nenne niemanden beim Namen. Dass der Bundespräsident nicht im Ausland verhandeln soll, ist auch meine Meinung. Aber man muss unser Land im Ausland verantwortungsvoll vertreten.»
Immer wieder kehren Ogis Gedanken zurück zu seinem verstorbenen Sohn. Er glaube an Gott, sagt der alt Bundesrat. «Ich verhehle nicht, dass nun Zweifel und Fragen auftauchen, auf die wir keine Antwort finden. Warum? Warum er und nicht ich?» Jemand aus der asiatischen Kultur habe ihm mal gesagt: «Gehen müssen wir alle. Doch Gott nimmt erst jene zu sich, die er gernhat.»
Interview-Bearbeitung: Thomas Kutschera