Sie sitzt in der Players Box ihres Sohnes, verzieht keine Miene. Die Frisur sitzt, perfekt getrimmt wie ein englischer Rasen. Wenn Tennis-Ass Andy Murray, 28, einen Punkt macht, ballt sie die Faust, freut sich, auch wenn es verbissen aussieht. Judy Murray wird gerne als aggressiv beschrieben. Sie lächle nie, heisst es. Und sie macht sich keine Freunde, wenn sie bei einem vermeidbaren Fehler des Gegners jubelt.
Doch Judy Murray hat 30 Jahre lang hart gearbeitet, um ihre Söhne dahin zu bringen, wo sie sind: Andy Murray ist die aktuelle Nummer 2 der Tennis-Weltrangliste, sein älterer Bruder Jamie, 30, führt seit dem 4. April 2016 die Weltrangliste im Doppel an. Übermotivierte Mütter, die ihre Kinder vorantreiben, drängen oder teilweise gar zwingen, werden oft kritisiert. Judy Murray schreibt jetzt in einem Essay in der britischen «Daily Mail», wie man es anstellen muss, um erfolgreich zu sein.
«Als die Jungs Teenager waren und ich versuchte, sie in ihrer Tenniskarriere voranzubringen, stand ich unter grossem Druck. Aber ich habe es nie als Opfer betrachtet», schreibt die 56-Jährige. «Wir waren fast jedes Wochenende im Minibus unterwegs. Und ich habe viel verpasst: Familienfeste, Hochzeiten. Aber das musste ich nun mal tun, um das Beste für sie zu erreichen.»
«Ich fühlte mich wie ein menschlicher Bancomat»
Heute verdienen ihre beiden Söhne ein Vermögen als Tennisprofis. Doch früher hatte Judy Geldsorgen. «Ich gab ständig Geld aus. Ich fühlte mich wie ein menschlicher Bancomat.» Umgerechnet über 40'000 Franken musste sie sich leihen, um Andy an eine Tennis-Akademie in Spanien schicken zu können. «Ich machte mir Sorgen, ob ich das je wieder zurückzahlen kann.»
Tennis- oder Tigermütter nennt man Frauen, die alles im Leben ihrer Kinder kontrollieren und sie ständig pushen. Judy Murray nutzt aber gerne eine andere Metapher: «Du musst wie ein Schwan sein: Ruhig und gefasst an der Oberfläche, aber unter Wasser musst du wie wild strampeln.» Diese Haltung sorgte für viel Getuschel hinter ihrem Rücken. «Andere Mütter machten sich oft über mich lustig, sagten, ich würde nie lachen. Ich ging dann einfach zu ihnen hin und sagte: ‹Ab und zu kommt es sogar vor, dass ich wirklich lache. Und eigentlich bin ich auch ganz normal. › Da waren die Mütter still.»
«Ich habe meine Kinder nie zu etwas gezwungen»
Entschuldigen will sie sich für ihr kompetitives Verhalten bei niemandem. «Ich habe meine Kinder nie zu etwas gezwungen, das sie nicht wollten. Ich habe ihnen nur geholfen, das Beste aus sich rauszuholen.» Und wie hat sie das geschafft? «Wir liessen die Jungs alle Sportarten ausprobieren: von Kinder-Gymnastik bis Eiskunstlauf. Ich habe auch immer wieder Spiele erfunden. Es braucht einfach ein bisschen Kreativität und Fantasie.» Die Übungen müssen einfach und machbar sein. Die Kinder müssen Selbstvertrauen aufbauen, dann kann man die Übungen schwieriger machen, so das Geheimrezept der Tennis-Trainerin. «Der Schlüssel aussergewöhnliches Talent zu generieren liegt darin, die Grundfähigkeiten festzusetzen und sie dann in jungem Alter zur Gewohnheit zu machen.»
Judy Murry gibt zu, dass sie sehr impulsiv sei. «Wenn ich etwas erreichen wollte, musste es immer sofort sein. Heute bin ich etwas gelassener.» Und jetzt, da ihre Söhne es an die Spitze geschafft haben und sie Grossmutter ist, gibt sie zu: «Ich will ein bisschen mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Und auch ein bisschen mehr Spass haben.»