Da stehen fünf Jungs mit Pilzfrisur auf einer Bühne, spielen Songs und die Mädchen in den Zuschauerreihen kreischen sich die Seele aus dem Leib. Alles würden sie hergeben, um auch nur eine Minute mit ihren Lieblingen verbringen zu dürfen. Die Beatles hatten einen grossen Einfluss auf ihre Fans. Vor allem brachen sie Mädchenherzen en masse. Dieses Phänomen gibt es immer wieder. Aktuellstes Beispiel ist Justin Bieber. Tausende Mädchen auf der Welt sind der festen Überzeugung, dass dort auf der Bühne ihre grosse Liebe steht. Gewisse Gefühle gehen jedoch weit über das Schwärmen hinaus. Es gibt Fans, die von «ihrem» Star richtiggehend besessen sind, die keinen anderen Lebensmittelpunkt haben. Es kommt sogar vor, dass sich Menschen anfangen selbst zu verletzen, weil sie die Sehnsüchte nicht mehr im Griff haben. Man denke nur an den Fall «Take That» - damals, an besagtem 13. Feburar 1996, gab die Gruppe ihre Trennung bekannt. Es mussten Sorgentelefone für die Fans eingerichtet werden, es wurde gar von Selbstmorden berichtet.
Doch wieso entstehen solch starke Gefühle für Personen, die wir nicht kennen? Wie kann es soweit kommen, dass Menschen zu Stalkern werden oder in Depressionen verfallen? Wir haben mit Professor Allan Guggenbühl, 61, über dieses Thema und seine Erfahrungen in der Schweiz gesprochen.
SI online: Herr Guggenbühl, wieso verlieben sich die Menschen in Stars, die für sie unerreichbar sind?
Allan Guggenbühl: In einem bestimmten Alter beginnt man, sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Die Jugendlichen sind jedoch ambivalent, unsicher. Sie interessieren sich darum auch für Menschen, die unerreichbar sind. Stars eignen sich bestens. Wieso? Weil man so die starken Gefühle ungehemmt ausleben kann. Weil man sich diesen Gefühlen nie stellen muss, fühlt man sich sicher. Es ist doch viel einfacher für einen Star zu schwärmen, als für den Nachbarsjungen, mit dem man sich konfrontiert sieht.
Aber kann man denn trotzdem von Verliebtsein reden?
Mit Liebe hat das nicht viel zu tun. Es geht um die Gefühle des Schwärmens, die man ausleben möchte. Diese werden dann auf den Prominenten projiziert. Das ist wie eine Grenzerfahrung in der Gefühlswelt.
Hatten Sie in der Schweiz auch schon mit verzweifelten Fans zu tun?
Oh ja, sogar auf eine sehr interessante Weise, die das Phänomen der Schwärmerei für jemand Unerreichbares verdeutlicht. Eine Patientin von mir, ein damals 14-jähriges Mädchen, schwärmte unheimlich für den Sänger Robbie Williams. Eines Tages gewann sie ein Treffen mit ihm - sie schwebte natürlich auf Wolke Sieben. Als ich sie jedoch kurz darauf fragte, wie das Treffen denn gelaufen sei, zuckte sie bloss mit den Schultern. Sie hat das Interesse an ihm verloren.
Und aus welchem Grund?
Als sie ihn sah, trank er gerade ein Bier. Dieses Bild zerstörte ihre ganze Idealvorstellung, die sie sich innerlich aufgebaut hatte. Auf einmal sah sie, dass er ein ganz normaler Mensch war.
War sie enttäuscht von ihm?
Sie war nicht traurig, wenn Sie das meinen. Sie hatte ja keine persönliche Verbindung zu ihm. Das genau ist der Unterschied zwischen Schwärmerei und Liebe. Auch wenn die Gefühle sehr intensiv sind, so bleiben sie doch oberflächlich. Wenn die Schwärmerei vergeht, ist es uns egal - verloren haben wir ja nichts. Wenn aber eine Beziehung in die Brüche geht, ist etwas ganz anderes.
Es gibt aber auch Fälle, wo die Gefühle so intensiv werden, dass der Fan sie nicht mehr kontrollieren kann...
Das stimmt. Es kann ein Symptom sein, das auf eine ganz andere Ursache hinweist. Man muss dann tiefer graben. Wenn ich mir die Beispiele ansehe, wie dieser Mann, der Julia Roberts 82 Mal auf seinen Körper tätowiert hat, dann geht das ebenso in diese Richtung. Mit solchen Aktionen markiert er vielleicht einen Ewigkeitsanspruch. Eine permanente Verbindung mit dem Star. Man will zeigen, dass man die einzige Person ist, die einen wirklichen Bezug zu dieser Figur hat und sie versteht.
Das geht so weit, dass Menschen anfangen, Stars oder Idole zu stalken. Wieso tut man etwas, das der anderen Person so offensichtlich missfällt?
Stalker haben ein Gefühl inniger Verbindung. Das driftet dann ins Surreale ab. Stalker können nicht mehr wahrnehmen, dass sie auf eine Wunschvorstellung fixiert sind. Sie glauben wirklich daran, dass diese Verbindung besteht.
Hatten Sie auch schon einen solchen Fall mit einem Fan, der in solchen Wunschvorstellungen lebte?
Ja, tatsächlich hatte ich einen sehr speziellen Fall. Dabei ging es um den Musiker Meat Loaf. Die Patientin war sich absolut sicher, eine karmische Verbindung zu ihm zu haben. Sie war überzeugt davon, dass alle seine Songtexte von ihr handelten - dass er die Songs allesamt für sie geschrieben habe. Zur Stalkerin wurde sie nicht. Eher im Gegenteil: Als er ein Konzert in der Schweiz gab, schloss sie sich zu Hause ein und stellte einen Schrank vor ihre Zimmertür. Er solle nicht denken, dass sie «eine von denen» sei, die sich ihm einfach so hingeben würden.
Was geben Sie solchen Menschen für einen Rat?
In den meisten Fällen ist die Schwärmerei harmlos und zerplatzt irgendwann wie eine Seifenblase. Ansonsten würde ich therapeutische Gespräche empfehlen, um nach den wirklichen Ursachen dieses Verhaltens zu forschen. Eine so intensive Schwärmerei, dass man keinen anderen Lebensmittelpunkt mehr als sein Idol hat, kann ein Symptom für anderweitige Probleme sein.
Sehen Sie in unserer Galerie, welche Fans sich zu sehr mit ihren Idolen beschäftigen und Beispiele davon, welche Stars sich gegen Stalker wehren mussten: