Er nennt sich Universaldilettant. Trotzdem hat Daniel Spoerri in seinem Leben viel erreicht. Er war dreimal verheiratet und Solotänzer am Stadttheater Bern. Legte eine Karriere als Eat-Art-Künstler hin und errichtete in der Toskana einen Skulpturenpark mit 100 Installationen seiner besten Freunde.
Einen Wunsch hatte der 79-jährige Schweizer Kunststar noch: ein eigenes Museum. Keines im herkömmlichen Sinne, denn das Wort «Privatmuseum» mag er nicht. «Es hört sich steif und etwas egozentrisch an – und es gibt schon genug davon.» Sein Traum ging in Hadersdorf, 70 Kilometer westlich von Wien, in Erfüllung. Das Kloster am Hauptplatz mit hohen Decken und dunklen Klausen wurde zum Ausstellungshaus Ab Art. Im alten Dorfkino eröffnete der Genussmensch das Restaurant Eat Art.
Die zwei Spoerri-Häuser sind ein Geschenk des Himmels. «Von Italien und der Schweiz bin ich gewohnt, keine staatliche Unterstützung zu erhalten. Es war fast verdächtig, wie positiv mein Projekt in Österreich aufgenommen wurde.» Munter öffnet Daniel Spoerri mit einem alten Schlüssel und in Begleitung seiner Assistentin Gabriele Fail das Tor zum neuen Reich.
Zehn prachtvolle Räume umfasst das öffentlich zugängliche «Kunststaulager», das seit Juli immer mehr Fans anlockt. Kunst, wohin man blickt. Perfekt ins rechte Licht gerückt! Das meiste stammt vom Künstler selber. Der Autodidakt – ein Meister des schwarzen und weissen Humors – entwickelt seit fünf Jahrzehnten eine eigenständige Objektsprache. «Alles ist abartig, bevor es akzeptiert ist», sagt der Hausherr und beginnt mit der Führung durch sein skurriles Imperium.
Wo früher leise Gebete gemurmelt wurden, gibt es Eigenwilliges zu entdecken: Tierschädel, Schrumpfköpfe, ausgestopfte Alligatorenbabys, Penisse, die in zerschreddertes Geld getaucht wurden, Puppen ohne Köpfe, Köpfe ohne Augen … Daniel Spoerri schafft aus banalen Fundobjekten Assemblagen und subversiv-ironische Welten. Sein Ideenreichtum scheint unerschöpflich.
«Ich will auch unappetitliche Sachen zeigen, nicht nur die schön gepützelte Welt»
Die Inszenierungen wirken spielerisch, mit einem leichten Hang zum Gruseln. Selbst das harmlose Gemüsebeet im Garten prüft die Wahrnehmung der Besucher: In tönernen Krügen wachsen Tomatenstauden. Es sind Kinder-Urnen. Spoerri: «Hier schliesst sich der Kreislauf der Natur. Aus Staub und Erde wächst neues Leben.»
Lange wurde Daniel Spoerri nur auf seine «Fallenbilder» reduziert. Die Idee, dem Zufall eine Falle zu stellen, entstand in den 60er-Jahren bei verrückten Eat-Art-Happenings im Restaurant Spoerri in Düsseldorf. Er fixiert mit Leim und Kunstharz vorgefundene Situationen auf der Tischunterlage – Essensreste, Geschirr und andere Gegenstände. Und hängt diese wie ein Stillleben vertikal an die Wand. Die Fressgelage kosten bis zu 150 000 Franken. Neu inszenierte und arrangierte «Fallenbilder» – Spoerris jüngster Coup – sind schon ab 10 000 Euro zu haben.
«Ausser Fett und Seife kann man alles konservieren. Knochen werden ausgekocht, Brot zum Beispiel wird hart wie Holz. Das Ganze mit Leim bepinselt – und es ist haltbar für die Ewigkeit.» Die «tableaux-pièges» und einige seiner kultigen «Brotteig-Objekte» dekorieren sein neu eröffnetes Esslokal in Hadersdorf bei Wien. Hier wird Donnerstag bis Sonntag angerichtet (z.B. Pferdefleisch, Stubenküken mit Marillenrisotto). «An der Speisekarte arbeiten wir noch», sagt Spoerri. Ekel und Genuss gehören für ihn zusammen: «Hahnenkamm, Innereien, Stierhoden – das wären Gerichte, die mir gefallen würden.»
Wie kommt ein Kosmopolit dazu, seine Zelte in Wien und Umgebung aufzuschlagen? «Hier ist das Klima intellektueller. Italiener unterhalten sich am liebsten über Wein und Frauen, Kultur hat wenig Platz.» Ein Teil des Jahres verbringt Spoerri in seinem 17 Hektar grossen Skulpturenpark in Seggiano südlich von Florenz. «Dort besitze ich vier Häuser, die unterhalten werden müssen. Der Platz für meine Fund- und Kunststücke ist limitiert. Viele meiner Werke waren in Galerien und Lagern in ganz Europa verstreut. Die Idee, alles unter ein Dach zu bringen, gärte schon lange. Dank den Hadersdorfer Häusern kehre ich nun in den Schoss meiner Donau-Heimat zurück.» Eine Heimat, die nicht immer schön war.
Daniel Isaac Feinstein wurde 1930 in Galati, Rumänien, geboren. Er war elf, als sein Vater, ein zum Protestantismus konvertierter Jude, von Faschisten ermordet wurde. Spoerris Mutter war Schweizerin, sie floh mit ihren sechs Kindern nach Zürich. «Meine Jugend war so schrecklich, dass ich nie eigene Kinder wollte», erzählt er. Onkel Theophil Spoerri, Rektor der Universität Zürich, adoptierte den kleinen Daniel. Dieser hatte eine kreative Ader und lerne später Jean Tinguely kennen, Meret Oppenheim, Dieter Roth, Bernhard Luginbühl, César, Yves Klein, Man Ray, Niki de Saint Phalle. 1960 gründete Spoerri die Künstlervereinigung Nouveaux Réalistes.
Andenken an diese Freundschaften finden sich in seiner Wundertüten-Wohnung am Naschmarkt in Wien. Seit zwei Jahren lebt Spoerri hier, allein. In der Atelier-Stube wird klar: Wir betreten die Höhle eines Sammlers. Unglaublich, was dieser rastlose Geist in seinem Leben zusammengetragen hat! Stolz zeigt er seine Spazierstocksammlung.
Das Prunkstück ist ein geschnitztes Modell von einem afrikanischen Medizinmann. Spoerri hortet Sparschäler, gezackte Teigrädchen, Kochbücher, Stoffe, Masken, Totenschädel, Tora-Rollen-Halter – und sogar Koprolithen: «Versteinerte Echsen-Scheisse!», sagt er stolz, während er die aussergewöhnlichen Fundstücke in den Händen hält. Klar, dass man sie sofort berühren möchte. Der Jahrmillionen alte Tierkot ist schwer wie Eisen. Typisch Spoerri: Dem Professor an der Kölner Fachhochschule für Kunst und Design gelingt es, selbst etwas so Banales wie Exkremente zum Kunstobjekt zu erklären.
«Kunststaulager»
Hadersdorf bei Wien