Rosmarie Amacher, 49, bezeichnet ihre Tochter Nina, 6, als «das schönste Modell, das ich je gemacht habe». Dasselbe gilt auch für Ninas Halbschwester Zora, 23, die Jura studiert und nicht mehr daheim lebt. Damit hat sich der Frauenhaushalt um einen Drittel reduziert. Amacher ist geschieden und erzieht sowohl Zora als auch Nina allein: «Die Väter der beiden waren von meiner übersprudelnden Energie überfordert.»
Deshalb gilt: Selbst ist die Frau. «Kinder allein zu erziehen, setzt Multitasking-Eigenschaften voraus.» Gerade als selbstständige Schneiderin mit eigenem Atelier musste sich die Zürcherin etwas einfallen lassen. «Die üblichen Kindergarten-, Schul- und Krippenzeiten sind unmöglich und lassen sich nicht mit Verkaufszeiten vereinbaren.» Deshalb beherbergte Amacher bis vor Kurzem Au-pair-Mädchen, die sich vollzeitlich um Nina kümmerten. «Anders hätte es nicht funktioniert.» Seit Kurzem besucht die Kleine eine Tagesschule. Trotzdem kommt ihre Mutter regelmässig ins Strudeln - etwa wenn ihre Tochter erkrankt. «Dann kommt Nina zu mir ins Atelier, oder ich arbeite daheim.»
Amachers Alltag lässt wenig Spielraum offen. Morgens um sechs steht sie auf und geniesst eine Stunde für sich. Dann geht der Trubel mit Nina los: aufstehen, spielen, frühstücken, mit Nina zur Schule gehen, mit dem Hund spazieren - die Zeit zerrinnt immer viel zu schnell. Bevor Amacher ins Atelier düst, erledigt sie, was anfällt: «Einkaufen liegt zeitlich nur einmal pro Woche drin.» Abends kommt sie selten vor 19 Uhr vom Atelier weg. Nach der Schule holt sie ihre Tochter zu sich, oder Amachers Schwester geht mit Nina heim. Trotz dem permanenten Organisations- und Kostendruck glaubt die Couturière an ihr Lebensmodell. Ihre Tätigkeit sei nicht nur Beruf, sondern Berufung. Schon ihre Grosseltern - und zwar beide - arbeiteten als Schneider und Tuchhändler. «Dass ich Job und Kinder unter einen Hut bringe, war für mich schon immer selbstverständlich.» Auch wenn sie sich manchmal von ihrem Umfeld anhören musste, sie sei «nie da». Und ihre Partner hätten mit ihrer Einstellung auch oft Mühe gehabt.
Amacher fordert ein Umdenken bei den Männern - und nimmt den Staat in die Pflicht. «Er soll bei der Kinderbetreuung aktiv eingreifen und unkompliziert helfen, damit sich Frauen aus allen Branchen Kinder leisten können.» Ausserdem sollen die Gesetze vereinheitlicht werden. «Ich wünsche mir, dass der Hort für Babys ab vier Monaten in der Schweiz selbstverständlich wird.»
Persönlich:
Die 49-jährige Haute-Couture-Schneiderin Rosmarie Amacher kreiert in ihrem Zürcher Atelier Kleider für Schweizer Prominente und internationale Mode-Designer. Sie ist Mutter von Zora, 23, und Nina, 6. Beide Töchter erzieht sie seit Jahren allein.