Sein Einsatz sei kein grosses Risiko für die «Schweizer Illustrierte», scherzt Bundesrat Alain Berset, bevor er die Büros im Ringier-Pressehaus betritt. «Hier arbeitet ja ein eingespieltes Team.» Dennoch, die Ausgabe Nr. 35 soll sein Heft werden. Zweimal leitet der Kulturminister für ein paar Stunden die SI-Redaktion. Aus Neugierde habe er zugesagt. Los gehts mit der Wochenstartsitzung am Donnerstag. Berset setzt sich zwischen die Co-Chefredaktoren Regez und De Schepper, die nun noch Co-Co-Chefredaktoren sind. «Vergessen Sie, dass ich Bundesrat bin. Das Ziel ist eine gute Ausgabe», sagt Berset zur Begrüssung.
Die Ressortleiter präsentieren ihr Programm, schlagen neue Geschichten vor. Nachrichten-Chef Philipp Mäder stellt den Bundesrat auf die Probe: «Für unsere Story zu Palliative Care sind nur drei Seiten geplant. Wir wollen vier!» Berset bleibt cool: «Ich will mir zuerst die Bilder anschauen, dann entscheide ich.» Mäder startet noch einen Versuch: «Wir fragen bei Alain Berset für eine Homestory an.» Der Bundesrat: «So wie ich den Typ kenne, wird das schwierig.» Was aber wird die Titelgeschichte? «Alain Berset mit Bruno Ganz», schlägt jemand vor. Der Bundesrat winkt ab: «Der Chef sollte sich nicht selber auf den Titel setzen.» Je länger die Sitzung dauert, desto grösser das Erstaunen der Redaktoren: Berset erfasst Probleme extrem rasch, stellt stets die richtigen Fragen. Mit Kultur-Redaktorin Caroline Hauger diskutiert er über Bauernmaler Johann Hautle. Hauger sagt: «Endlich habe ich einen kulturaffinen Chef!»
Am Abend gehts mit der S-Bahn nach Zürich Seebach. Berset wünschte ein Interview mit Schauspieler Bruno Ganz, und der hat zugesagt. Während des Interviews herrscht eine gute Atmosphäre. Aber: Der Schauspieler ist ein Profi. Dass ihm ein Bundesrat gegenübersitzt, beeindruckt ihn nicht. Dafür ist Alain Berset beeindruckt. Nach dem Interview sagt er: «Wow, man kann ihn nicht destabilisieren. Als Journalist ist das fast ein wenig frustrierend.» Den Einwand, dass er mit Journalisten genau gleich sei, lässt Berset gelten. «Jetzt weiss ich aber, wie es sich anfühlt», sagt er und lacht.
Zweiter Redaktionsbesuch. Das Heft steht kurz vor dem Abschluss. Noch vor der Sitzung um 9.30 Uhr hat Alain Berset bereits vier (!) Espresso getrunken. Der Tod von Jörg Schneider erfordert eine neue Heft-Planung. Mit dem Art Director, der Bild-Chefin und den Co-Co-Chefredaktoren sucht der Bundesrat aus den vielen Bildern über eine Stunde lang die richtigen Fotos aus. Nach intensiven Diskussionen einigt man sich auf eine Auswahl. An der grossen Wand in der Grafik-Abteilung hängen ausgedruckt die fertigen Seiten des Hefts. Alain Berset ist mit «seiner» Ausgabe zufrieden. Der Wechsel vom Konsumenten zum Protagonisten sei extrem spannend. «Aber ich bilde mir nicht zu viel ein. Die Redaktion hätte es sicher auch ohne mich geschafft.»