Jeder Fussball-Junge träumt davon, die Maschen des gegnerischen Netzes zum Zittern zu bringen. Das Goal zu schiessen, das die eigene Mannschaft an die WM bringt, ist ein Märchen, welches sich zu erzählen lohnt. Diese Geschichte schreibt Aleksandar Prijovic, serbischer Stürmer, in der Schweiz bestens bekannt. Sein Siegestor gegen Georgien im letzten Qualifikationsspiel sichert Serbien die erste WM-Teilnahme seit acht Jahren – ein wertvolles Tor-Debüt auf verschiedenen Ebenen.
Ein Kindheistraum geht in Erfüllung
Prijovic, in St. Gallen geboren und mit Wurzeln im serbischen Priboj, einer kleinen Stadt am Fluss Lim, nahe der Grenze zu Montenegro, ist alles andere als ein gewöhnlicher Fussballer. Die Lebensgeschichte des 28-Jährigen ist buchwürdig. Seine fussballerischen Qualitäten sind immer unbestritten. Trotzdem braucht er zahlreiche Anläufe und Umwege, bis er seinen Weg findet – und endlich glänzt.
St. Gallen, Parma, Derby County, Sion, Lausanne, Tromsø, Djurgårdens und Boluspor sind seine Stationen zwischen 2006 und 2015, bevor er bei Legia Warschau endlich sein Potenzial zeigen kann. Die Leistungen in Polen sichern ihm einen Rekordtransfer zu Griechenlands PAOK Thessaloniki.
Was seine Nationalmannschaftskarriere betrifft, ist für ihn immer klar: Er möchte für Serbien spielen. Für das Land, für welches er bereits in der U17- bis U19-Nati kickt. Allerdings wird er auch für die Schweiz aufgeboten und spielt je zwei Partien für die Schweizer U20 und die U21. Wie so oft in seiner Karriere macht der Doppelbürger dann einen U-Turn: nach Serbien. «Es ist eine grosse Ehre für mich, für Serbienzu spielen», sagt der Ostschweizer. «Als mich der Trainer anrief, ging ein Kindheitstraum in Erfüllung.»
Prijovic holt für Serbien das WM-Ticket
Nachdem er sich für Serbien entschieden hat, reicht er im Februar 2017 den Antrag bei der Fifa ein. Einen Monat später wird er bewilligt, am 12. Mai erhält er einen Anruf vom damaligen Serbien-Trainer Slavoljub Muslin. Die erste Chance erhält er in der letzten Phase der WM-Qualifikation im Juni 2017 beim Spiel gegen Wales, in Belgrad. Von Beginn weg zeigt Prijovic, dass man auf ihn zählen kann.
Vier Spiele später, in der 74. Minute des letzten, entscheidenden Qualifikationsmatches gegen Georgien, beweist er es. Es steht 0:0. Um sich direkt für die WM in Russland zu qualifizieren, muss ein Sieg her. Aleksandar Mitrovic flankt vom rechten Flügel, Prijovic steht geduldig wie immer beim hinteren Torpfosten – und versenkt den Ball. Sein erstes Tor im Nationalteam ist eines für die Geschichte: Es bedeutet Serbiens WM-Ticket. Eine unbeschreibliche Feier folgt.
«Während ich auf meinen Knien schlitternd dieses Goal feierte, fühlte ich Vibrationen in meinen Ohren. Alles zitterte. Als sich meine Teamkollegen über mich warfen, nahm ich alles gar nicht mehr richtig wahr. Ich schaute mir die ganze Szene später auf Video an. Da sah ich, dass das ganze Stadion tobte. Es war fantastisch, ein unvergleichliches Gefühl.»
27 Tore in 38 Spielen
Auch in dieser Saison bei seinem Klub PAOK Thessaloniki spielt er brillant: Mit 19 Toren in 28 Spielen ist er Topskorer der griechischen Meisterschaft, Liebling der Fans und des umstrittenen Klubpräsidenten Ivan Savvidis, der auch schon mit einem Revolver an der Hüfte aufs Spielfeld stürmte. Prijovic spielt diese Saison insgesamt 38 Spiele und erzielt 27 Tore. Seine Saison krönt er mit dem Cup-Sieg. Bei der anschliessenden Feier ist er der Dirigent: Er gibt den Rhythmus für die Tausenden begeisterten Fans vor, die seinen Namen skandieren.
Die nackten Zahlen zeigen, dass Serbiens Antriebs- und Angriffskraft bereit ist für die WM. Doch die Statistik ist nicht das Einzige, das für Prijovic spricht. Er stellt in den verschiedensten Situationen seine Klasse unter Beweis. Mit seiner Grösse von 191 cm und seiner kräftigen Statur ist der gute Schütze nicht nur exzellent im Strafraum, sondern auch aus der Distanz. Er hat einen vernichtenden Schuss – genügend schnell, dass ihn die Verteidigung nicht stoppen kann, und für viele Torhüter unhaltbar.
Ausserdem hat er einen aussergewöhnlichen Torriecher, kann sowohl mit beiden Füssen als auch mit dem Kopf skoren und sich auch gut in verschiedenen Aufstellungen eingliedern: Er funktioniert als Einzel-Sturmspitze oder auch im Doppelpack mit Aleksandar Mitrovic – die Kombination, die bereits gegen Georgien funktionierte.
Auch wenn die beiden ähnlich scheinen, unterscheiden sich ihre Spielweisen genau so, dass sie auf dem Spielfeld perfekt harmonieren. Dass man diese Aufstellung an der WM zu sehen bekommen wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Denn der serbische Nationalcoach Mladen Krstajic setzt regelmässig auf die «Ein-Stürmer-Taktik». Prijovic wird für beide Optionen bereit sein.
Der neue Zlatan war ein Gambler
Er ist ein bescheidener Mann, spricht auf dem Platz ruhig und wirkt eher distanziert. So ist er schon immer. Auch eine andere Tugend besitzt er seit Anfang seiner Laufbahn: seinen eisernen Willen. Mit 16 Jahren fährt er oft acht Stunden Zug, von St. Gallen nach Parma, um rechtzeitig im Training zu sein.
Doch es gibt in seinem Leben schwierige Phasen. Als er als 18-Jähriger in England spielt, fängt er an zu gambeln. «Ich fühlte mich allein, also wählte ich diesen dummen Weg.» Doch er hat aus seinen Fehlern gelernt: «Jetzt überlege ich bereits, was ich nach der Karriere machen soll.» Eine Möglichkeit sei, ins Familienbusiness, das nichts mit Sport zu tun habe, einzusteigen.
So weit ist es noch nicht. Der Star des serbischen Nationalteams ist im Hoch. Er wurde gar mit Zlatan Ibrahimovic verglichen – dank Look, Spielstil, Statur, Haarschnitt und den zahlreichen Tattoos. Der Vergleich beginnt, als er in Schweden spielt. Prijovic trifft im Spiel gegen Norrköping gleich dreimal. Genug für die schwedische Presse, die Titelzeile zu drucken: «Der neue Zlatan».
Die Stars der «Adler»
Prijovic wird für Nationalcoach Krstajic in Russland zweifelsohne eine grosse Hilfe sein. Aber er ist bei weitem nicht der Einzige. Neben ihm sind die grössten Stars des Schweizer Gruppengegners Matic von Manchester United, Milinkovic-Savic von Lazio Rom und Captain Kolarov von der AS Roma, wobei Matic der bekannteste Name ist. Der grosse, starke Mittelfeldspieler ist José Mourinhos Liebling, von den Gegnern respektiert, manchmal aber unbeliebt, wie Yaya Touré kürzlich sagte. Aber nur, weil er nicht in seinem Team sei.
Matic ist stark bei defensiven Aufgaben, schafft es aber auch, die Stürmer zu lancieren. Zudem wurde die Premier League mehrmals Zeuge einer weiteren seiner Qualitäten: dem brillanten Distanzschuss. Das Spiel der «Adler» wird an der WM stark von ihm abhängen.
Der junge Mittelfeldspieler Milinkovic-Savic wird im Sommer auf dem Transfermarkt gefragt sein. Europäische Giganten haben bereits Offerten geschickt, doch Lazio hat alles unter 100 Millionen Euro abgelehnt. Mit seinen 192 cm dominiert er das Mittelfeld und hat eine grossartige Technik. Zudem kann sein Auge eine Situation bis zu einer Sekunde schneller erfassen als der Durchschnitt, wie Tests zeigten. Sein Nachteil: Er ist nicht schnell. Wäre er das, könnte er laut Experten der weltbeste Mittelfeldspieler sein.
Serbien erwartet eine Glanzleistung
Milinkovic-Savic gehört zur goldenen Generation, die 2015 U20-Weltmeister wurde – der grösste Erfolg des serbischen Fussballs. Nun sind diese jungen Männer erwachsen, und die serbische Öffentlichkeit erwartet, dass sie auf der grossen Bühne glänzen. Aus dieser Generation gehören auch Rajkovic (weltbester Nachwuchs-Goalie 2015), Werder Bremens Verteidiger Veljkovic, Liverpools Mittelfeldspieler Grujic, Benficas Flügel Zivkovic und Eintrachts Mittelfeldspieler Gacinovic zu den «Adlern».
Coach Krstajic kann für Russland ein Team mit einem Mix aus Jugend, Talent und Erfahrung kreieren. Klar ist, dass Brasilien der unbestrittene Favorit der Gruppe E ist, während Serbien, die Schweiz und Costa Rica um den zweiten Platz kämpfen. Und Prijovic? Er wird bereit sein für den Angriff – welche Aufgabe er auch immer bekommt.