Auf diesen Tag hat Tobias Bayer, 46, lange gewartet. Er blickt in die Ferne. Seine Zeit beim Bodenpersonal am Flughafen Bern Belp ist vorbei, das letzte Ticket gebucht. One Way! Klappe. So beginnt die erste Szene der neuen Staffel «Auf und davon». Die Serie zeigt den Start des Berners mit Freund Michael Paris, 41, auf der kanarische Insel Fuerteventura.
Neun Monate später gibt das Paar nun einen exklusiven Blick hinter die Kulissen ihres Auswanderertraums. Gleich in den ersten Ferien verliebten sie sich in den elf Kilometer langen Strand mit seinen riesigen Wanderdünen vor ihrem neuen Heimatort Corralejo. «Der Sand ist wie in der Karibik. Gestern waren wir noch im Meer baden, es war wie eine Badewanne», schwärmt Bayer hinter dem Tresen seiner Bar in einem Einkaufszentrum.
«Wir wollen die schönste Bar auf Fuerteventura»
Überall im Laden prangt das Logo mit dem grossen Stern. «Stars» - so taufte das Paar seine Mischung aus Bar und kleiner Boutique. Neben Tobias rappelt es im Karton, denn Michael packt neue Ware aus. T-Shirts mit einem grossen Stern drauf, dazu gibt es noch Tassen, selbst gemachtes Badesalz, Pullis und Caps. Alle selbst designt. Als ehemaliger stellvertretender Geschäftsführer der Thuner PKZ-Filiale ist Michael Paris stolz auf seinen Laden, dekoriert diesen liebevoll, fegt mit Besen und Kehrblech. «Wir wollen die schönste Bar auf Fuerteventura», definiert er das hehre Ziel.
Und bisher läufts: Seit Juni gehen heisse Drinks und erfrischende Sangrias über den Tresen, die T-Shirts mussten schon dreimal nachgeliefert werden. «Viele Gäste sagen uns, die Bar sei wie in einer grossen Stadt. So was gab es hier vorher nicht», sagt Tobias Bayer.
Es hätte sie auch fast nicht gegeben, denn im Frühjahr steckten die Auswanderer voll im Ausbaustress. Unzuverlässige Handwerker, Rattanmöbel von drei verschiedenen Inseln, fehlende Lieferanten: Die Auswanderer kämpften. Sie haben ein, wie sie sagen, «sandiges Loch voller Abfall» in eine stylische Bar im cleanen Chic verwandelt.
Aber der Erfolg fordert seinen Preis. «Im Moment arbeiten wir extrem viel», sagt Bayer. Dennoch lächelt er. Das milde Klima und die verwirklichte Selbstständigkeit entschädigen für 13-Stunden-Tage und ein saftiges Schlafdefizit. Die Nachbarn im Shoppingcenter beäugen die Auswanderer kritisch. «Neid ist eine Art Lob», schrieb schon der englische Autor John Gay. Anfangs nahmen die beiden die Konkurrenz zu ernst, stehen jetzt aber über unberechtigter Kritik und Versuchen, sie zu kopieren.
Einmal in der Woche ist «Spätzle-Tag»
Gerade lassen sich englische Stammgäste auf der Terrasse in die Sessel fallen. Tobias schöpft den Schaum vom bestellten Bier ab. Small Talk, Auswanderer-Neuigkeiten. Alle Gäste sollen sich in der Bar wie zu Hause fühlen, Öffnungszeiten open end. In dieser anstrengenden Zeit ist der Mittwoch, der freie Tag, dem Paar heilig. Käfele, baden und essen gehen. «Spätzle-Tag», sagt Michael lachend. Er stammt aus Ungarn, kocht auch in Spanien lieber Gulasch als Paella. Er zog für seinen Tobias vor zehn Jahren in die Schweiz. Lernte Deutsch, jetzt sprechen beide Spanisch. Sie sind ein eingespieltes Team. Auch wenn Tobias mehr redet – kommt es hart auf hart, fällt Michael die Entscheidung.
Und was vermissen sie aus der Schweiz? «Warenhäuser und Skifahren.» Und die Familie und Freunde. Per WhatsApp halten die Auswanderer Kontakt, viele Freunde kommen dank Billigfliegern öfter auf die Insel. 2011 packt das Paar das erste Mal die Abenteuerlust. In Fuerteventura jobben sie, der Sender 3+ begleitet sie. Wegen der Wirtschaftskrise kehrt das Paar aber zurück. «Schon auf der Fähre haben wir gesagt, dass wir noch mal nach Corralejo gehen, aber nicht als Angestellte», resümiert Tobias Bayer.
Jetzt soll alles anders werden. Eine fünfstellige Summe steckt in der Bar. Wie viel genau? Darüber schweigen die Männer. Der Mietvertrag für das «Stars» läuft jedenfalls fünf Jahre. In der SRF-Auswanderer-Dok machen die beiden nicht nur wegen des Werbeeffekts mit. «Dieses Mal haben wir eine gute Geschichte zu erzählen. Wir leben unseren Traum», sagt Tobias. Michael muss lachen. Er wird sich keine einzige «Auf und davon»-Folge anschauen. «Ich kann mich auf dem Bildschirm einfach nicht sehen», sagt er und blättert weiter in seiner Wohndesign-Zeitschrift. Das Paar will aus seiner Übergangswohnung im Ortszentrum bald ausziehen. An ihrem freien Abend gehen sie am Meer spazieren. Der nächtliche Himmel strahlt weit, da ist noch Platz für zwei Schweizer Sterne.