«O nein, ich verpasse mein Duett! Wo sind meine InEars, warum habe ich kein Mikrofon? Und jetzt muss ich noch in kurzen Hosen auf die Bühne!» Bastian Baker, 27, muss lachen, als er von seinem Albtraum letzte Nacht erzählt. Nach drei Stunden Schlaf, einem formidablen Steak-Sandwich vom Roomservice und ein wenig Styling steht der Lausanner in den Strassenschluchten von Montreal bereit.
Auf zur «Morningshow» von TVA: lächeln, singen, von Eishockey und Musik erzählen. Und vom bisher grössten Coup seines Lebens: Der Sänger und ehemalige Hockeyprofi begleitet seit Mai Weltstar Shania Twain, 52, auf ihrer «Now»-Tour. Er singt mit ihr jeden Abend vor über 10 000 Zuschauern ein Duett. «Komisch, früher beim Hockey hatte ich den gleichen Traum», versucht sich Baker an einer Deutung. «Da fehlten mir die Handschuhe oder der Schläger.»
Ist es seine diffuse Angst, nicht bereit zu sein? Wo der Erfolg herrscht, kommt der Kopf manchmal noch nicht ganz mit. Seit 2011 hat Baker drei Alben veröffentlicht, in 37 Ländern Konzerte gegeben, ist in der Schweiz, Belgien und Frankreich ein Star. In China trat er unlängst vor 500 Millionen TV-Zuschauern auf.
«Es ist verrückt, was die letzten fünf Jahre passiert ist. Das realisiere ich noch nicht richtig. Nun bin ich auf Tour mit einer der erfolgreichsten Sängerinnen – in Amerika, Kanada, Europa, Australien. Der Wahnsinn! Und sie ist eine Kollegin von mir. Wirklich geil», sagt Baker.
Der Glückspilz
Seine so berühmte Wortschöpfung «wundergeil» kommt ihm indes nicht mehr über die Lippen. Baker ist dem entwachsen. Claude Nobs, † 76, war gleich zweimal sein Helfer zum Glück. Nicht nur, dass der Gründer des Montreux Jazz Festival den jungen Mann mit der Gitarre entdeckte, er stellte ihm 2012 auch Shania Twain vor.
Die Kanadierin zählt mit fünf Grammys, 200 weiteren Auszeichnungen und über 90 Millionen verkauften Alben zu den erfolgreichsten Solo-Künstlerinnen weltweit. Und ist seit sieben Jahren Baker-Fan. An freien Tour-Tagen spielen er und sie mit Twains Schweizer Ehemann Frédéric Thiébaud, 48, Tennis oder essen zusammen. Zu After-Show-Partys kommt sie in Trainerhosen. «Sie ist nie der Superstar oder eine Diva. Immer gechillt und easy, sie redet gerne», sagt er und tippt eine SMS an Shania. «Ich halte sie stets auf dem Laufenden, wann ich im TV bin.» Seine Promoauftritte schaut sie gerne live.
Der Menschenmagnet
Gekonnt wickelt der Romand die «Morningshow»-Moderatorin um den Finger. Als er das TVA-Studio verlässt und sich im Backstage einen Toast mit Erdnussbutter bestreicht, summt die Crew schon seine neue Single «All Around Us». Botschaft angekommen! «Wiederholung ist alles», kommentiert Baker. Über den Tag verteilt stehen weitere Meetings und Radiointerviews an, wovon spontan eines ausfällt, ein weiteres ihn ungeplant von seinem Mittagessen mit Freunden abhält.
Dieses Leben, immer irgendwo und doch nirgends, gefällt ihm ungemein. «Ich bin gerne on the road, bleibe nie länger als drei Tage an einem Ort. Überall kenne ich Leute, die kennen wieder Leute … Das ergibt mein Puzzle of human beings. Aufregend.» Baker erzählt von einem schrägen Mittagessen mit zwei herzigen Grossmüttern in Little Rock. Er mag solche spontanen Begegnungen. Kontakte sind sein Schlüssel zum Erfolg.
Der aber ist auch mit Entbehrungen verbunden. «Schade nur, wenn im Sommer meine Schweizer Kollegen am See grillieren, wakeboarden, und ich hocke irgendwo in Saskatoon in einem Lokalradio und erzähle meine Geschichte. Da wäre ich natürlich lieber bei ihnen, aber das kann ich auch mit 35 Jahren noch machen.» Dennoch hofft er, dass seine Karriere kein Ablaufdatum hat. Trotz dem Erfolg zweifelt er an sich. «Also ich stehe morgens nicht auf und denke: ‹Ich bin der Geilste.› Dann wäre ich am Ende.»
Der Mann, der es als Ziel seines Schaffens ansieht, Menschen zusammenzubringen, ist es gewohnt, allein unterwegs zu sein. Angesprochen auf eine Freundin, schweigt er strikt. «Ich kann alleine sehr glücklich sein, habe kein Problem mit mir selbst.» Über den Tag wächst Bakers Gefolge in Montreal von anfangs vier auf zwölf Leute an: Manager, Booker, Kumpel Gaet Moreillon, 27, Leute der amerikanischen Plattenfirma. Businessmeetings verwandelt Baker stets in einen Wohlfühltalk mit Schweizer Pralinen. Ein Kommen und Gehen entsteht, bis man schliesslich in einer Rooftop-Bar mit Aperol Spritz und Electromusic landet.
Der über den Dingen steht
Das passt zu Baker, denn er behält gerne den Überblick. Er ist sein eigener Boss, will nicht der typische Künstler sein, der sich um Geld nicht kümmert. «Am Anfang meiner Karriere wollte mich ein Manager mal voll verarschen. Zum Glück war ich vorbereitet.» Er summt vor sich hin. Eine Songidee, frisch aus Nashville, geht ihm nicht aus dem Kopf.
Der Kämpfer
Als Shania Twain einen Support Act suchte, konnte Baker sich gegen alle Konkurrenten und die amerikanischen Booker durchsetzen – Beweis, dass er seinen Platz verdient. Jeden Abend heizt er mit sechs Songs das Publikum an. Nach der ersten Show schrieb ihm Shania: «Du bist mehr als willkommen. Du bist ein Superstar, auf und neben der Bühne. Du verdienst es, hier zu sein.» Baker bekommt noch heute Gänsehaut, wenn er von der Mail erzählt.
Montreal ist ein Prüfstein auf der Tour. Der erste Gig, bei dem er zwischen seinen Liedern Französisch sprechen wird. Das Centre Bell zu füllen, wo sonst die Eishockey-Cracks der Canadiens de Montréal den Puck schiessen, ein Lebenstraum! Nervös tigert Baker eine Stunde vor dem Konzert durchs Backstage, begrüsst die Crew.
Während sich Shania Twain in ihrer Kabine abschirmt, plaudert ihr Mann mit Bastian. «Sie ist heute gut drauf. – Ja, sie vermisst die Schweiz.» Auf der Tour sind die Männer dicke Kumpels geworden. Fred witzelt, wie aufgeregt Bastian anfangs war. «Und nach vier Shows merkte er, dass so eine Tour ja doch recht anstrengend ist.» – «Bei dieser Tour bin ich aber ganz brav», gesteht Baker. Er weiss, dass er nicht zu Unrecht als Partytiger gilt.
Kurz vor dem Auftritt erweist sich der Albtraum als unbegründet: InEars, Mikrofon, Hose – alles da. Und der Zauber beginnt: Baker verschmilzt mit der riesigen Bühne, seine Stimme füllt die Halle und zieht die Menschen in ihren Bann. Bei «Hallelujah» singt das Publikum vom ersten Ton an mit, Tausende Lichter schwingen im Takt. «In diesem Moment war ich überwältigt», wird Baker danach sagen. Nach dem letzten Ton scheint er von der Bühne zu schweben, die Welle des Adrenalins trägt ihn bis zur Autogrammstunde.
Der Frauenschwarm
Am Merchandise-Stand ist derweil das Chaos ausgebrochen. Frauen in Jeans-Minis und mit Cowboyhüten stürmen zu Baker. Lächeln, Selfie, eine CD 15 Dollar. Baker geniesst den Rummel: «Die Frauen drehen durch, und das ist natürlich schön.»
Der Freund
Eine Stunde später fällt Baker auf der Bühne Shania, der Ikone im Glitzerbody, in die Arme. Bei «Party for Two» sieht jeder bis in die letzte Reihe: Die zwei mögen sich. Die Blicke, das Lächeln, das Lob – nichts zwischen Shania und Bastian ist nur Show.
Noch bevor der letzte Ton gespielt ist, rennt sie zu ihrer Limousine. Und weg ist sie! «Der ultimative Rockstar-Abgang», lacht Baker in seiner Kabine. Mit nacktem Oberkörper und Bierflasche in der Hand feiert er mit seinen Freunden weiter. Er weiss ganz genau, was am Ende zählt: «Unsere Erinnerungen sind wertvoller als Gold.»