Mittwochnachmittag in Dübendorf bei Zürich. Ein Arbeiterquartier mit Wohnblöcken aus den 60er-Jahren und Nachbarn aus der Schweiz, Albanien und der Türkei. Antonio Jannotti, 88, freut sich über den Besuch seines berühmten Enkels Marco.
«Ig go in Zürich von Napoli, fo arbeite. 54 ig go, 24 Jahr alt, 63 Jahre ig in de Schwiizra. Bewilligung vo Buure überko. Verdiene hundertnünedrissig und füfzig Rappe im Monat. Eine Sunntig freie im Monat …» So beginnt Antonio von seinem Leben als ehemaliger Gastarbeiter auf dem neuen Album «KombiNation» seines Enkels Marco Bliggensdorfer, alias Bligg, 41, zu erzählen. Dass sein Nonno einen solch prominenten Auftritt hat, ist kein Zufall: Die beiden verbinden nebst ihrem Kampfgeist die Liebe zur Musik und die besten Spaghetti Napoli.
Bligg, Sie haben bereits auf Ihrem Album «0816» mit dem Lied «Secondos» von Ihrem Grossvater erzählt. Jetzt kommt er selber zu Wort, warum?
Eines meiner neuen Lieder heisst «In Tüüfels Chuchi» – eine Hommage an Secondos, die es in der Schweiz nicht immer leicht haben und es dennoch weit bringen. Da war es mir wichtig, dass mein Nonno als Intro seine Geschichte selber und aus seiner Perspektive erzählt.
Ihr Grossvater scheint eine wichtige Rolle in Ihrem Leben zu spielen.
Das stimmt! Wir sind uns nicht nur optisch sehr ähnlich …
Antonio: Vielleicht, als ich noch mehr Haare auf dem Kopf hatte (lacht).
Bligg: Das südländische Temperament habe ich definitiv von ihm.
Wie schwer ist es Ihnen 1954 gefallen, Ihre Heimat zu verlassen, um in die Schweiz zu kommen?
Antonio: Es war damals eine schwere Zeit in Italien. Wir hatten weder Geld noch Arbeit. Meine ältere Schwester lebte bereits in der Schweiz und half mir, eine Arbeitsbewilligung zu bekommen. Das war ein riesen Glück! Das erste Jahr arbeitete ich dann als Saisonnier auf einem Bauernhof, versorgte die Pferde und half auf dem Hof.
Rosmarie Jannotti, 78, tischt Kaffee auf. Schwarz, mit einem Glas Wasser. So wie ihn die Italiener am liebsten trinken. Bliggs Grossmutter verliebte sich 1956 als junges Mädchen in den gut aussehenden Neapolitaner Antonio. Sie arbeitete damals als Verkäuferin im «Simon», Antonio hatte inzwischen eine Stelle als Automechaniker in einer Werkstatt für Ami-Schlitten gefunden. Doch Rosmaries Eltern waren alles andere als begeistert, dass ihre Tochter sich einen «Tschinggen» angelacht hatte. Ihr Vater hetzte Antonio sogar die Polizei auf den Hals. Doch die Liebe war stärker. Noch nicht mal 19-jährig heiratete sie 1958 den zehn Jahre älteren Italiener. Ein Jahr später kam Tochter Angela zur Welt – Bliggs Mutter.
Ihre Mutter war selbst erst 17, als Sie zur Welt kamen.
Bligg: Vielleicht habe ich deshalb eine so starke Beziehung zu meinen Grosseltern. Meine Mutter war noch so jung. Deshalb kam meine Nonna jede Woche mindestens zwei Tage zu uns nach Hause, um meine Mutter zu unterstützen. Dann brachte sie mir jeweils das heiss begehrte «YPS»-Comicheft mit und hat mir ihre Spaghetti Napoli gekocht. Für mich das Paradies auf Erden.
Und Ihr Grossvater?
Nonno war verspielt und streng zugleich. Er hatte eine klare Linie, das gefiel mir. Er war schon immer genügsam und mit wenig zufrieden. Das hat mir sehr imponiert. Da funktionieren wir ganz ähnlich. Und er hat mich auch als
Musiker beeinflusst. Manchmal brachte er mir ein Kassettli mit, das er in einem importierten Ami-Schlitten unter dem Sitz gefunden hatte. Das meiste war Rock ’n’ Roll oder Blues.
Wann haben Sie selber angefangen zu singen?
Mein Vater schenkte mir als Kind eine kleine Gitarre und zeigte mir ein paar Griffe. Den Rest brachte ich mir mit einem Liederbuch von Mani Matter selber bei. In den 80er-Jahren lief dann der Kinofilm «La Bamba». Ich war ein riesen Fan des Hauptdarstellers Ritchie Valens und konnte den Song auf der Gitarre auswendig. Nonno freute sich immer, wenn ich ihn vorspielte …
Antonio: Als 10-Jähriger hattest du sogar einmal einen Auftritt in Wallisellen an einem italienischen Fest vor über 700 Personen.
Bligg: Ja, da habe ich gemerkt, dass Mädchen auf Jungs stehen, die singen können. Da wusste ich: Ich werde Sänger!
Rosmarie hat in der Zwischenzeit die alten Fotoalben aus einer grossen Holztruhe gekramt und zeigt auf ein Bild, das Antonio als jungen Mann zeigt. «Er wollte früher auch immer Sänger werden», erzählt sie schmunzelnd. Noch heute singe er jeden Morgen lautstark. Zwar keinen Rap wie sein Enkel, dafür italienische Klassiker wie «Tu scendi dalle stelle» von Alfonso de Liguori oder «Te voglio bene assai» von Caruso …
Haben Sie sich als italienischer Gastarbeiter in der Schweiz willkommen gefühlt?
Antonio: Was heute die Albaner sind, waren früher die Italiener. Auf der Strasse sagte man mir oft «Sau-Tschingg». Aber das machte mir nichts aus. Ich habe immer gelacht. Nur ein einziges Mal verging mir das Lachen. Ein Kunde ging auf mich los und wollte mich schlagen, weil der Tschingg sein Auto umparkierte …
Dachten Sie nie daran, wieder in Ihre Heimat zurückzukehren?
Nein, nie. Hier ist meine Heimat, mein Leben, meine Familie! Was soll ich dort?
Wie steht es mit Ihnen, Bligg? Haben Sie sich je als Ausländer gefühlt?
Ich sah mich immer im Zentrum der Thematik. Einerseits war familiär der Einfluss von Italien präsent, logisch. Zudem war der Ausländeranteil bei uns in der Schule in Schwamendingen, wo ich gross geworden bin, sehr hoch. Das merkte man besonders auf dem Schulhausplatz. Da standen die Schweizer in einer Ecke und die Ausländer in einer anderen.
Und in welcher Ecke standen Sie?
In der Mitte. Genau so wie der Mix in meinem Blut. Ich fühle mich als Schweizer, bin aber auch sehr vertraut mit der Problematik der Ausländer. Zudem zeigt meine Historie, dass mein Frauengeschmack sehr kunterbunt und multikulturell ist (lacht).
Schwamendingen ist ein berüchtigtes Pflaster …
In jungen Jahren war ich ganz schlimm und habe so viel Seich gemacht.
Antonio: Mir hast du gesagt, ich darf das nicht erzählen!
Bligg (lacht): Einmal fand Nonno Spraydosen meiner Graffiti-Sprayereien unter dem Bett. Da hörte bei ihm der Spass auf, und es folgte die eine oder andere Ansage.
Inzwischen sind Sie selber Vater. Wie stehts mir Ihrem Beschützerinstinkt?
Bligg: Mein Privatleben ist mir heilig. Tiziana und ich haben schon vor der Geburt unseres Sohnes entschieden, dass er abseits der Öffentlichkeit aufwachsen soll. Das hat sich auch jetzt nach unserer Trennung nicht geändert. Ich nehme meine Verantwortung als Vater sehr ernst und halte unseren Sohn komplett aus den Medien raus. Da hört bei mir der Spass auf!
Nonno: So, genug geredet! Wenn Ihr noch Zeit habt, dann gehe ich jetzt in die Küche und mache uns Spaghetti Napoli.