Wer Bruno Ganz trifft, sollte den Unterschied zwischen Seebach und Oerlikon kennen. Die beiden Zürcher Quartiere liegen zwar nebeneinander, aber offensichtlich gibt es grosse Unterschiede. Als ich Bruno Ganz frage, ob er hier in Oerlikon aufgewachsen sei, korrigiert er mich streng. «Das ist hier Seebach, nicht Oerlikon!» Dann, mit einem milden Lächeln, fügt er an: «Aber das können Sie ja nicht wissen, Sie sind als Romand ja ein halber Ausländer.»
Bruno Ganz, ich werde nie Schauspieler werden. Sie hingegen waren schon Bundesrat – im Film «Der grosse Kater». War es schwierig, einen Magistraten zu verkörpern?
Nein, eigentlich nicht besonders. Aber es war speziell, weil wir im Bundeshaus drehen durften. Der Film insgesamt war leider nicht sehr geglückt.
Galerie: Das waren die Rollen von Bruno Ganz, †77,
Weshalb nicht?
Ich mag Thomas Hürlimann, den Autor der Buchvorlage, sehr gut. Doch das Drehbuch hatte von Anfang an einige Mängel. Man hofft dann während des Drehs noch auf einen guten Ausgang des Ganzen. Aber meist wird dann leider die Vorahnung bestätigt, wenn man den fertigen Film sieht. Das ist immer ein trauriger Moment.
Also ähnlich wie in der Politik. Wenn das Drehbuch nicht von Anfang an klar ist, weiss man nie, in welche Richtung es geht.
(Lacht.) Bei Ihnen passieren die Dinge ja oft sehr unmittelbar, da wechseln sich Aktion und Reaktion ständig ab.
Hinzu kommt, dass viele am Drehbuch mitschreiben und nicht alle die gleiche Vorstellung über den Verlauf der Story haben. Besonders in der Frage des Happy Ends scheiden sich die Geister (lacht).
Da ist es bei uns einfacher. Wir glauben jeweils, dass wir aus einem guten Drehbuch einen guten Film machen können. Und manchmal gelingt es tatsächlich.
Wenn Sie einen Bundesrat spielen, ist das auch ein Statement zur Politik, zur Schweiz?
Nein, mir ging es um die Erzählung von Thomas Hürlimann. Die deutsche Geschichte hat mich stets viel mehr beschäftigt. Ich habe die Schweiz eigentlich erst richtig wahrgenommen, als ich vor 15 Jahren zurückkam.
Ich traf vor einem Jahr in Berlin einige Schweizer Künstler. Alle hatten eine starke Bindung zur Schweiz, waren dem Land gegenüber aber auch recht kritisch.
Das ist oft so. Ich wuchs in Seebach auf und blieb bis zur Rekrutenschule hier. Ich war ein richtiger Schweizer und Zürcher. Was das bedeutet, habe ich erst erfahren, als ich die Schweiz verliess, um in Deutschland zu arbeiten. Erst wenn man draussen ist, fragt man sich, wie das Verhältnis zur eigenen Heimat ist.
Bei Hitler hat es mir geholfen, Schweizer zu sein
Im Film «Der Untergang» verkörpern Sie Adolf Hitler. Ist es für einen Schweizer einfacher als für einen Deutschen, diese Figur zu spielen?
Bei Hitler hat es mir geholfen, Schweizer zu sein. Es hätte Kollegen gegeben in Deutschland, die das ebenso gut oder besser hätten spielen können. Aber ich habe eine Unbefangenheit, die die Deutschen nicht haben. Ich lebte lange genug dort, um zu kapieren, wer Hitler ist und was er getan hat. Aber es ist nicht das Elend meiner eigenen Geschichte.
Kann man das so einfach trennen?
Nein. Aber mein Land hat sich nicht befleckt und ist relativ sauber geblieben. Die Juden-Stempel in den Pässen, die Behauptung, das Boot sei voll – damit kann niemand einverstanden sein. Aber wir haben keine Konzentrationslager gebaut oder sechs Millionen Juden umgebracht.
Mich interessierte, wie ein Mann beschaffen ist, der einen totalen Wahn hegt und diesen auf ein ganzes Volk übertragen kann
Was hat Sie an der Rolle fasziniert?
Manche weltberühmten Kollegen meinten, sie müssten ein Monster darstellen. Mich interessierte, wie ein Mann beschaffen ist, der einen totalen Wahn hegt und diesen auf ein ganzes Volk übertragen kann. Seine brutalen Pläne waren ja bekannt. Die Deutschen hatten nur nicht zugehört, sonst hätten sie gewusst, was ihnen blüht. Das Volk, das behaupte ich nach wie vor, hat Hitler geliebt.
Welche Art von Liebe meinen Sie?
Keine Liebe im erotischen Sinne, aber da war eine fanatische Hingabe. Also suchte ich für meine Rolle die menschlichen Eigenschaften, mit denen er diesen Fanatismus oder diese Liebe ausgelöst hat. Das hat man mir ja vorgeworfen.
Dass Sie Hitler zum Menschen machten?
Ja. Viele Linksintellektuelle mochten den Film nicht, weil sie die Darstellung zu wenig monströs fanden. Es ist natürlich viel einfacher zu sagen, Hitler sei ein Monster gewesen und man sei einem Wahn zum Opfer gefallen.
Manche Leute sagen, dass reiche Länder wie die Schweiz keine grosse Geschichte haben. Ist das so?
Als ich nach Berlin kam, hatte jedes dritte Haus noch Einschusslöcher. Das war erschreckend. Andererseits spürte ich, dass hier Weltgeschichte stattgefunden hat. Ich habe die Deutschen nie um die grauenhaften Zeiten beneidet. Aber dort wirkten ganz andere Kräfte als bei uns, das hat ein anderes Format. Ich weiss jedoch nicht, ob ich das gut finde. Manchmal finde ich es gut, manchmal ganz und gar nicht.
Im neuen «Heidi»-Film, der Ende November in die Kinos kommt, spielen Sie den Alpöhi. Eine Geschichte, die auch in der Westschweiz sehr bekannt ist.
Man kennt die Geschichte auf der ganzen Welt! Ich traf im vergangenen Jahr Filmleute aus Hollywood. Die wussten alle, dass ich in diesem Film den Grossvater spiele, und waren begeistert davon. Heidi fasziniert auf der ganzen Welt, das ist hochinteressant.
Heidi ist eine Heldin. Sie ist für Kinder und Jugendliche eine grandiose Figur
Wie erklären Sie sich das?
Heidi ist eine Heldin. Sie ist für Kinder und Jugendliche eine grandiose Figur. Dieses Mädchen ist völlig autonom, kaum aufzuhalten. Und sie behauptet sich in dieser rauen Welt mit einer Liebe, die endlos ist. Heidi hat einen völlig anderen Heimatbegriff als ich.
Ich dachte immer, Heidi sei der Inbegriff des Schweizerischen. Was Sie sagen, ist sehr universell.
Nur das Ambiente ist schweizerisch. Johanna Spyri hat mit dieser Figur etwas sehr Besonderes erschaffen. Heidi hat keine Eltern, ist eine Art Findelkind, ein Waisenkind. Aber ihre Lebensfreude ist immens. Dann die Konstellation mit dem bösen Alpöhi, der immer netter wird, das ist dramaturgisch alles sehr gut.
Sagt das nicht etwas über die Schweiz aus, wenn Sie …
… Sie wollen immer das Gleiche hören (lacht)!
Zugegeben, unser Land und was es zusammenhält, das beschäftigt mich ständig. Wieso haben Sie diese Rolle angenommen?
Nicht unbedingt, weil es schauspielerisch eine so interessante Aufgabe war. Ich sah es als patriotische Pflicht, den Alpöhi zu spielen.
Wirklich? Das hatte ich nicht erwartet.
Es ist aber trotzdem so (lacht). Wir haben im Kanton Graubünden auf über 2000 Meter über Meer gedreht. Es war oft verregnet, einmal schneite es sogar. Doch der Blick aufs Tal war wunderbar, wenn sich die Wolkendecke öffnete. Es gibt schon einige Stellen in unserem Land, die sehr schön sind. Aber zu mehr Patriotismus lasse ich mich nicht hinreissen.
Meine Kinder sind acht, zehn und zwölf Jahre alt und völlig fasziniert von Geschichten wie «Heidi» oder «Schellenursli».
Weil die Helden dieser Geschichten Kinder sind. Es geht um Identifikation, das spielt eine enorme Rolle.
Wenn ich meinen Kindern einen anderen Film von Ihnen empfehlen müsste, wäre es «Vitus».
«Vitus» ist nett, aber ich habe generell keine Filme für Kinder gemacht. Wahrscheinlich ist es besser, wenn Sie auf «Heidi» warten.
Wir stark interessieren Sie sich für Politik?
Man kommt ja nicht drum herum.
Niemand zwingt Sie.
Das Desaster in Griechenland oder die Flüchtlingsproblematik sind ja allgegenwärtig.
Und die Schweizer Politik, finden Sie die langweilig?
Gemessen an Deutschland, ja. Aber ich sage es mit dem Vorbehalt, dass ich zu wenig informiert bin über das Geschehen in der Schweiz. Es interessiert mich auch wenig. Ich schaue immer nur deutsches Fernsehen.
Aber Sie gehen im Herbst wählen?
Natürlich, ich lasse keine Abstimmung oder Wahl aus. Ausser, wenn es um Lehrer oder Schulleiter geht, da sagen mir die Namen nichts. Ich lese auch das Abstimmungsbüchlein, wenn ich eine Vorlage nicht verstehe. Und wenn ich überfordert bin, verlasse ich mich auf die Empfehlung der Regierung. Da habe ich Vertrauen.
Vielen Dank. Der gute Zusammenhalt in unserem Land trotz Mehrsprachigkeit und der grossen Vielfalt, beschäftigt Sie das?
Ja, das tut es. Aber ich verstehe die Gründe nicht, wieso es funktioniert, ich finde es einfach immer grossartig und vorbildlich. Für andere Länder fast unerreichbar.
In der Schweiz gab es für mich nur das Schauspielhaus Zürich, der Rest interessierte mich nicht
Wie viele andere Künstler gingen auch Sie ins Ausland. Muss man auswandern, um zu wachsen?
In meiner Zeit haben die Künstler das propagiert. Wahrscheinlich ist es richtig. In meinem Fall war es einfach. Ich wollte auf die Bühne. In der Schweiz gab es für mich nur das Schauspielhaus Zürich, der Rest interessierte mich nicht. Und ich wollte richtiges Hochdeutsch lernen. Deshalb musste ich an einem Ort sein, an welchem man auch beim Einkaufen oder betrunken an der Bar Hochdeutsch spricht. Das geht in der Schweiz nicht.
Und die heutigen Künstler, sollten die auch ins Ausland gehen?
Es kann niemand mehr sagen, dass es hier zu eng wäre. Mit den modernen Kommunikationsmitteln hat man in drei Sekunden die ganze Welt auf dem Computer. Aber die Perspektive verändert sich, wenn man im Ausland gelebt hat, man sammelt Erfahrungen.
Nutzen wir also Ihren geschärften Blick auf die Schweiz. Wohin steuern wir?
(Lacht.) Sie geben einfach nicht auf, Sie wollen mich unbedingt auf diese Politik-Sache mit der Schweiz bringen.
Weil mich Ihre Sicht interessiert.
Wenn ich mehr zu sagen hätte, würde ich es ja tun. Ich verweigere mich ja nicht. Aber interessiert das die Leute? Etwa Ihre Kinder?
Die Schweiz ist ein ruhiger, schöner Platz, wo man sich sehr gut ausbilden kann und viele Möglichkeiten hat
Ja, Kinder stellen Fragen. Wie erklärt man Ihnen die heutige Welt, die heutige Schweiz?
Die Schweiz ist ein ruhiger, schöner Platz, wo man sich sehr gut ausbilden kann und viele Möglichkeiten hat. Und wenn man sich auch für den Rest der Welt interessiert, ist die Schweiz ein guter Ausgangspunkt.
Das alles könnte man auch über manch anderes Land sagen.
Also gut. Besonders an der Schweiz ist ihr Beharrungsvermögen. Wir modifizieren unsere Tradition, aber immer behutsam. Die jüngere Generation reist um die Welt, bewegt sich in den sozialen und globalen Netzwerken und ist trotzdem stark in der Schweiz verwurzelt. Bei uns hält irgendwie alles zusammen. In Deutschland habe ich oft das Gefühl, dass die Dinge auseinanderdriften. Deshalb ist die Schweiz ein guter Ort.