Mit der Serie «Der Bestatter» ist es ein bisschen wie mit einer langjährigen Beziehung. Es gibt Höhen, es gibt Tiefen. Mal läufts besser, dann ists wieder eher harzig. Beim «Bestatter» ist es aber die verflixte 6. Staffel, die uns ein bisschen an der Liebe zweifeln lässt.
Das Drehbuch ist nicht so liebevoll geschrieben wie auch schon, die Spannung ist weg und die Emotionen sind irgendwo zwischen einem dubiosen Gewächshaus und einer schrecklichen Aargauer Geistersiedlung auf der Strecke geblieben. Doch darüber reden will man auch nicht so recht. Schliesslich hat man noch Hoffnung, dass alles wieder besser wird (eine 7. Staffel ist bereits bestätigt).
Es sind die kleinen Dinge
Was tut man also in einer ins Stocken geratenen Beziehung, an die man nach wie vor glaubt? Genau! Man besinnt sich auf die kleinen Dinge, die eine wirklich gute Beziehung ausmachen. Sie wissen schon: der Kaffee im Bett am Sonntagmorgen, die liebevolle SMS vor einem strengen Tag usw.
Beim «Bestatter» ist das eine Person: Reto Doerig. Er ist das Salz in der Serien-Suppe, das i-Tüpfelchen auf dem Nein zur No-Billag-Initiative. Allerdings wurde seiner Figur bislang zu wenig Respekt gezollt. Als Polizeibeamter ist er Anna-Maria Giovanoli direkt unterstellt. Zuverlässig befragt er Zeugen, macht Anna-Maria Kafi und tätschelt den Hinterbliebenen liebevoll auf die Schulter (zählen Sie mal mit; das gäbe ein lustiges Trinkspiel).
Das Outfit des Grauens
Schauspieler Samuel Streiff mimt den Aargauer Bünzli in absoluter Perfektion. Wichtigstes Requisit dafür: das Karo-Hemd. Rot, grün, blau - Doerig hat sie alle. Frisch gebügelt sind sie jeweils auch (und ich hoffe ganz ganz fest, dass das nicht sein Mami macht). Dazu das Schulterholster für die Waffe, die von der beigen Wildlederjacke verdeckt wird. Die Krönung vom Outfit des Grauens: die Gürtelschnalle!
Aber was bin ich oberflächlich! Die inneren Werte zählen natürlich. Doerig ist - man mags kaum glauben - sogar ein Frauenversteher. Als er in Folge 3 einer Mutter sagen muss, dass ihre Tochter im Koma liegt, und diese nervös in ihrer Tasche rumkramt, ist Doerig da, findet genau das richtige Wort in just diesem Moment: «Zigi?»
In Doerig muss man sich einfach verlieben
Dabei hats Doerig nicht so mit den Frauen. In der letzten Staffel sind mehrere Flirt-Versuche gescheitert und auch Tinder war nicht so seins. Wieso die Macher der Serie Doerigs Liebesglück in der aktuellen Staffel nicht weiterverfolgen, ist mir ein Rätsel.* Und schon bin ich wieder in einem alten Beziehungsmuster gefangen und nörgle rum.
Positiv bleiben! Falls man Doerig also doch noch an die Frau bringen will, muss diese wohl eher konservative Werte vertreten. Denn als Doerig auf das Konzept getrennter Schlafzimmer bei Ehepaaren hingewiesen wird, schaut der, als hätte es jemand gewagt, nach 20 Uhr noch anzurufen. Spätestens wenn er mit Bier und Mütze auf der Brügglifeld-Tribüne sitzt und mittelqualifizierte Kommentare von sich gibt, muss frau sich verlieben.
Ohne Doerig keine Beziehung
Am liebsten ist mir aber der unbeholfene Doerig: Wenn er eine Lohnerhöhung will und weder Ton noch Zeitpunkt trifft («Timing, Doerig! Timing!») Oder, als er versucht, den Ball eines Kampfhundes zu beschlagnahmen: unbezahlbar. Und wenn er umständlich aber unbemerkt eine Tasse mit den Fingerabdrücken eines Verdächtigen einsteckt (OMG, er tut etwas gegen die Dienstvorschrift!!!), frage ich mich: Wie viele Plastiksäckli hat der Mann eigentlich in seiner Wildlederjackeninnentasche?
Ich hoffe, es sind noch sehr sehr viele. Denn auch wenn ich den «Bestatter» und all seine Figuren eigentlich mag: Sollte mir das SRF Reto Doerig am Dienstagabend nicht mehr ins Wohnzimmer bringen, muss ich diese Beziehung wohl oder übel beenden.
*Nachtrag: Auch sich entschuldigen gehört ja bekanntlich zu einer Beziehung. Pardon, liebe «Bestatter»-Macher für den vorschnellen Vorwurf. Man gewährt Doerig in der letzten Folge doch noch eine kleine Liebelei. Danke dafür. Und sein Selbstgespräch: ganz grosses Damen-Tennis!