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Philipp Keel

Der neue Diogenes-Verleger zeigt sein Künstleratelier

Er vertritt diese Woche als neuer Chef den Schweizer Diogenes Verlag auf der internationalen Buchmesse in Frankfurt. Und stellt damit sicher, dass auch in Zukunft die Bestseller von Paulo Coelho, Donna Leon und Martin Suter erscheinen. Was viele nicht wissen: Philipp Keel ist auch Künstler. SI online zeigt eine Auswahl seiner Werke.

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Philipp Keel sitzt in diesem schönen Büro, ein üppiger Hortensienstrauss und eine weisse Pistole aus Seife auf dem Regal hinter und ein grosser, dunkelbrauner Schreibtisch vor sich. Seine halbe Kindheit hat er in diesem Raum verbracht, und nun ist er zurück. Früher sass sein Vater, der Verleger Daniel Keel – für ihn ein «Gauloise rauchender, fauchender Drache» –, an diesem Schreibpult. Von Rauch umweht, brütete er mit einem gelben Bleistift im Mund über Manuskripten, während sich sein Sohn zwischen ehrfürchtig-sehnsuchtsvollen Blicken auf diesen «Dani» durch die Matheaufgaben quälte.

Die Regale sind jetzt leer. Noch. Nur ein paar weisse Diogenes-Taschenbücher stapeln sich neben einem Bildband von Anna Keel, der Mutter, die Malerin war, und dem Glas mit den gelben Bleistiften des Vaters. Auf einem der Tablare steht ein grün-weisser Tic-Tac-Kasten in Form von Riesen-Dragees. Darin Dutzende kleine Plastikkästen mit Erfrischungspillen in den Geschmacksrichtungen Minze, Orange und Mango-Kirsch.

In Süditalien hat Philipp Keel dieses Gestell im Sommer in einer Espressobar gesehen. Er war hingerissen von seiner schönen Gestaltung, und weil die Kioskfrau hingerissen war vom charmanten Philipp, packte sie ihm das ganze Ding kurzerhand mit einem Lächeln in den Kofferraum. Jetzt verströmt es im Verlegerbüro an der Zürcher Sprecherstrasse einen Hauch von Mittelmeer-Lebenslust, noch bevor der neue Chef seine Bücher eingeräumt hat.

Der Dragee-Kasten zeigt, wie viele Dinge in seinem Sinn für Merkwürdig-Schönes Platz haben. Philipp Keel, 44, hat Musik am Berklee College in Boston, USA, studiert, dann Film in München. Er hat in der Werbung gearbeitet und in Los Angeles als Künstler Karriere gemacht. 1998 erschien sein erster Fotoband «Look at Me» – Porträts, Stillleben, Tiere und Landschaften, sein Frühwerk in Schwarz-Weiss. Danach entwickelte er mit der Firma Epson eine spezielle Drucktechnik für Farbfotografie, den Imbue-Print, und war 2001 der erste Künstler, der Werke in dieser neuen Technik an der Art Basel zeigte. Das Buch «Color», das der Steidl Verlag 2003 aufwendig produziert hat, fasst die 304 so entstandenen Editionen zusammen.

Als Autor schrieb Philipp Keel die Bestseller-Buchreihe «All about Me». Ein Fragebuch über das Leben, geordnet in 25 Kapiteln wie Liebe, Religion und Familie – «die effizienteste und billigste Psychoanalyse», sagt er und schmunzelt. Es verkaufte sich weltweit über drei Millionen Male, was ihm erlaubte, seine Kunst zu finanzieren. Erst vor Kurzem ist beim Taschen Verlag die französische Version seines Tagebuchklassikers «Simple Diary» erschienen. Ausserdem malt er Aquarelle, klebt Collagen, zeichnet Cartoons und kann stundenlang Geschichten erzählen.

Keel ist ein Renaissance-Mensch. Hochbegabt auf vielen Gebieten.

Und jetzt ist er Verleger? Er schwingt im Ledersessel eine halbe Umdrehung nach hinten und greift kurz zur Pistole aus Seife. Die habe ihm ein Freund geschenkt. Sie soll ihm Mut machen.

Mut? Ja. Weil er diese Woche zum ersten Mal offiziell als Verleger an der internationalen Buchmesse in Frankfurt auftritt, obwohl er schon seit einem halben Jahr im Amt ist. Gleichzeitig feiert das Familienunternehmen zwölf Monate nach dem Tod seines Vaters das 60-Jahr-Jubiläum. Philipp Keel sichert die Zukunft. Mit Leidenschaft will er die Tradition seines Vaters fortführen und mit dem grössten unabhängigen Belletristikverlag Europas im hart umkämpften Buchmarkt bestehen. Eine Knarre kann man da schon mal brauchen, wenn auch nur symbolisch. Im Hintergrund war er seit Jahren zusammen mit seinem Bruder Jakob ins Buchgeschäft eingebunden. Tägliche Telefonate. Keine Entscheidung ohne Familienrat. «Mein Vater hat das nie nach aussen kommuniziert. Es war manchmal hart, dass es immer nur seins war, auch wenn es für die Sache so richtig war.»

Philipp Keel ist ein grosser schlanker Mann. Er trägt die Haare präzise verwuschelt und auf seinen hellblauen Hemden das Monogramm PK. «Erst habe ich mich gefragt, ob ich überhaupt einsteigen will», sagt er. «Ob ich alle Leute überzeugen möchte, dass ich was weiss über diesen Verlag, dieses Milieu, unsere Autoren.»

Wenn er seine Lebensgeschichte verfilmen würde, dürfte folgende Szene nicht fehlen. Er nennt sie «das Ritual»: Dinner mit Diogenes-Autoren und Gästen im Reihenhaus der Keels in Zürich Hottingen. Die Malerin-Mutter kam meist erst kurz vor sieben aus ihrem Atelier nach Hause, sie roch nach Farbe und Terpentin und arrangierte noch schnell ein paar dekorative Stillleben mit Zitronen in Schalen oder Blumensträussen. Der Verleger-Vater las bis zur letzten Minute, und weil er schlechte Nerven hatte, verlor er dieselben oft bei lautem Gebrüll. «Wenn die Kirchenglocke um 19 Uhr läutete, war es für uns das Zeichen: Gleich gehts los», sagt Philipp Keel. Zu den Gästen gehörten Schriftsteller wie Dürrenmatt, Simenon, Urs Widmer oder Patrick Süskind, Autor des Romans «Das Parfum», aber auch der Filmemacher Federico Fellini. «Unsere Eltern ermahnten uns immer: Seid leise, es kommt jemand Wichtiges. Aber wir haben in unseren Frottee-Pyjamas laut rumgekichert und Nilpferd gespielt, während die Krimiautorin Patricia Highsmith einen Whisky nach dem andern getrunken hat.» So ging das fast jeden Abend. 16 Jahre lang. Bis der Teenager Philipp auszog und sich ins Musikstudium flüchtete.

Die literarische Tradition ist also tief in ihm verwurzelt. Philipp Keel hat den Verlag inhaliert. Die Künstler- und Autorengespräche, das Lachen und das Streiten, die ganze kreative Luft im Esszimmer über Kalbsbraten und Rotwein. «Mir war sofort klar: Wenn ich den Verlag nicht weiterführe, amputiere ich einen Teil von mir», sagt er. Im Moment sei noch alles neu. Der erste Todestag des Verleger-Vaters tut weh. Und der Sohn emanzipiert sich langsam, «mit Babyschritten». «Ich lerne jeden Tag etwas. Ich weiss nicht, ob ich es gut mache oder nicht. Ich mache es so, wie ich denke, dass es richtig ist, und bin froh, wenn wir es hier zwischendurch auch lustig haben. Humor hat mich immer gerettet. Wer nur an Erfolg denkt, wird kein Glück haben.»

Für einen arbeitsversessenen Perfektionisten wie ihn bleibt das die grösste Hürde. Als Unternehmer muss er manchmal fünf gerade sein lassen, um voranzukommen. Und als Künstler ist er ein Getriebener seiner Fantasie. «Ich will das Schöne in den Dingen sehen. Der Schaffensprozess ist das Tollste. Ordnung ins Chaos der Gedanken bringen. Das Werk ist am Ende gar nicht mehr so wichtig.»

Die Bücher können vom Künstler profitieren. Im Moment bereitet er neue Ausstellungen vor und das nächste Kunstbuch. «Viele sagen, ich sei verrückt, ich soll mich entscheiden. Das habe ich getan. Ich konzentriere mich auf beides, den Verlag und auf die Kunst.»

Keel greift ins Tic-Tac-Gestell und schenkt den Besuchern einige Päckchen. Der Fotograf, ein guter Freund aus L. A., lutscht Orange. «Mmmhhh, thats my favorite flavor», murmelt er.
«‹Favorite flavor›, das könnte mal ein guter Titel sein», sagt Keel, greift nach einem Stift und schreibt ihn auf einen Zettel. Wo andere reden, spürt er Literatur.

Eine Auswahl von Philipp Keels Fotografien sehen Sie in der SI-online-Bildergalerie.

Von Stephanie Ringel am 11. Oktober 2012 - 10:43 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 23:00 Uhr