Sprungers drängen sich vor dem Chalet, um gemeinsam ein Glückwunsch-Video für eine Hochzeit von Verwandten aufzunehmen. «Und das Wichtigste: Macht ganz viele Kinder, wie es sich für Sprungers gehört!», heisst es zum Schluss unter grossem Gelächter. An diesem Dienstagabend haben sich die Geschwister Lea, 28, Ellen, 32, Ralph, 30, und Nadia, 25, sowie ihre Partner im Elternhaus in Gingins VD etwas ausserhalb von Nyon versammelt, um gemeinsam Spaghetti mit Pesto zu essen.
Ein paar Tage davor war die ganze Familie in Berlin gewesen, um beim Goldlauf ihrer Zweitjüngsten dabei zu sein: Lea wurde als erste Schweizerin Leichtathletik-Europameisterin! Die dreieckige Medaille kommt vor allem beim neunmonatigen Gottebub Louis gut an, dem Sohn von Leas Bruder Ralph.
Lea und ihr Freund Jonas, 28, sind auch vor der EM oft nach Gingins gekommen, um der Hitze ihrer Wohnung in Lausanne zu entfliehen. Neben der angenehmeren Luft kann die Spitzensportlerin hier auch wunderbar abschalten: Das Chalet steht am Waldrand, daneben weite Wiesen. Ein Paradies für Kinder. «Die vier haben alles gemeinsam gemacht, waren die ganze Zeit draussen», erzählt Mutter Doris, 60, von früher. Traktor fahren, einander auf Ski hin und her schieben, das Tennisnetz über die Strasse spannen – Hauptsache, aktiv.
Sechs der über vierzig Cousins und Cousinen wohnten auch in der Nähe und waren damit Spielkameraden. Vater Andreas ist im Baselbiet auf einem Bauernhof mit zwölf Geschwistern aufgewachsen, daher die grosse Anzahl Cousins und Cousinen – darunter Springreiterin Janika Sprunger.
Lea sei immer die Erste gewesen, die ins Bett ging – «sie braucht ihre zehn Stunden Schlaf», sagt Ellen, früher als Siebenkämpferin international aktiv. Ihre kleine Schwester war schon als Kind sehr lebensfreudig und fröhlich. Sie hinterfrage nicht immer alles, nehme die Leute, wie sie sind, und komme deshalb mit vielen gut aus. Den Konflikt sucht Lea nicht – «wie ihr Sternzeichen Fisch schlängelt sie sich durch», sagt ihre Mutter, «passt sich an».
Wenn man im Sport die Beste sein will, ist das nicht immer von Vorteil. Das Selbstbewusstsein musste sich Lea erst erarbeiten, doch wenn sie etwas will, «dann hat sie einen harten Kopf und gibt Vollgas», sagen ihre Geschwister über sie, die nicht nur im 400-Meter-Hürden-Lauf, sondern auch über 400 und 200 Meter europäische Spitzenzeiten aufweisen kann. «Es war wichtig für mich, dass ich in Berlin die Leistung bringen konnte», sagt Lea. Es war bei Rennen mit grossen Erwartungen auch schon anders, und gerade auch in solchen Momenten verbrachte sie viel Zeit in Gingings, um neue Energie zu tanken – und auch zu geben. «Sie hat ein Riesenherz und ist so grosszügig», so die Familie.
Der Zusammenhalt der Geschwister ist gross, auch Lea wünscht sich später eine grosse Familie, ein Haus in der Natur. Später, das könnte schon in zwei Jahren sein, denn bisher plant sie ihre Karriere bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio. Als WM-Fünfte ist sie 2017 bereits in die Weltspitze gelaufen und liebäugelt in Japan nun mit einer Medaille. «Ich bin wieder voll motiviert.» Das Jahr vor der EM war etwas schwierig, man werde eben älter, der Körper beginne zu schmerzen. Aber das ist passé, Sprunger strahlt. Am 30. August geht bei Weltklasse Zürich im Letzigrund ihre Saison zu Ende. Danach folgt der Romande Energie Run, ein Breitensport-Laufevent, den sie seit Jahren organisiert.
Und dann: dreieinhalb Wochen Ferien! Mit Jonas geht es zuerst zwei Wochen über die neuseeländische Südinsel und danach noch zum Ausspannen nach Französisch-Polynesien. Mit dem Romand ist sie seit acht Jahren zusammen, kennengelernt haben sie sich an der Uni, wo Sprunger den Bachelor in Marketing und Kommunikation machte. Am andern Ende der Welt sollen Handy und Sportkarriere weit weg sein. Nach der Auszeit gehts Vollgas weiter. Denn Sprunger weiss, was sie will: eine Zukunft mit Jonas – und eine Olympiamedaille.