Die tief stehende Sonne lässt das Wasser silberblau aufblitzen. Auf einem Stein breitet ein Fischreiher die Flügel aus. Bei einer Sandbank dampft das Holz einer abkühlenden Feuerstelle. Die Thur bahnt sich majestätisch ihren Weg Richtung Rhein. Das Dörfchen Schönenberg im Grenzland zwischen St. Gallen und Thurgau macht seinem Namen alle Ehre. Sommerzeit ist Schwingerzeit - und der wilde Osten des Landes jene Gegend der Eidgenossenschaft, die als Einzige gegen die historische Unterjochung durch die bärenstarken Berner aufbegehrte. Thomas Sutter (Appenzell), Arnold Forrer (Stein) und Jörg Abderhalden (Nesslau) machten das Eidgenössische zwischen 1995 und 2007 zu einer reinen Nordostschweizer Angelegenheit.
Abderhalden und Forrer beförderten das Toggenburg zum «Tal der Könige». «Diese Zeiten sind vorbei - und von der Vergangenheit kann man sich nichts kaufen», sagt Daniel Bösch gelassen und blinzelt in die Sonne. Der 28-jährige Kirchberger sorgte am Unspunnenfest 2011 in Interlaken für den letzten grossen Triumph seines Teilverbandes. Es war ein Erfolg von exklusivem Charakter. Der Unspunnen-Schwinget wurde seit 1805 nur 16 Mal ausgetragen: «Die Siegerliste ist kurz», sagt Bösch nicht ohne Stolz. Sein Name steht in einer Reihe mit Sägemehl-Riesen wie (Hans) Stucki, Hunsperger und Abderhalden.
Fürs Fotoshooting hat ihm seine Freundin Sandra Schwander ein zweites Hemd an die Thur mitgebracht. Das erste war in der Wäsche eingegangen (oder Bösch in der Vorbereitung auf den Saisonhöhepunkt etwas auseinander). Es muss kein schlechtes Omen sein. Die Qualitäten des gelernten Metzgers im Sägemehl lassen sich an seiner Wasserverdrängung ablesen: 192 cm, 135 kg - Schuhe wie Ruderboote (Nummer 52). Wenn Bösch im Türrahmen steht, wird es dunkel. Für seine Gegner war dies in diesem Jahr nicht immer der Fall. «Es harzt», kommentiert Bösch seine Saisonbilanz. Während er 2014 und 2015 neun Kranzfeste gewann, wartet er in diesem Jahr noch auf den ersten Erfolg: «Es ist mir die eine oder andere Niederlage dazwischengekommen.» Trotzdem ist die Konkurrenz gewarnt: Mit den Erfolgen an den Regionalschwinget auf dem Bachtel und Ricken innerhalb von 24 Stunden setzte er Ende Juli ein starkes Zeichen. «Das war meine Hauptprobe fürs Eidgenössische», sagt Bösch.
Gelassen als Aussenseiter
Trotzdem fällt sein Name selten, wenn nach den aussichtsreichsten Kandidaten für die Königskrone gefragt wird. Selbst in der Nordostschweiz steht er hinter den jugendlichen Aufsteigern wie Armon Orlik und Samuel Giger nur in der zweiten Reihe: «Wir haben lange genug gewartet, dass die Jungen nachrücken. Jetzt ist das der Fall», kommentiert er die Gewichtsverlagerung mit nüchterner Gelassenheit. Es scheint, dass ihm die relative Ruhe um seine Person gelegen kommt. Denn mit Medienanfragen und Interviewterminen tut er sich in der Regel schwerer als mit den Gegnern im Ring: «Ich will entscheiden, wem ich was sage. Deshalb beschäftige ich auch keinen Manager.» Unbequeme Journalisten werden von Bösch - im übertragenen Sinne - auch einmal plattgelegt: «Wenn mir etwas nicht passt, sage ich das fadengerade. Ich muss es nicht allen recht machen.»
Bösch legt Wert auf seine Privatsphäre und Authentizität. Für den Fototermin öffnet er zwar die Türen zu seiner schönen Terrassenwohnung in Zuzwil, erweist sich als zuvorkommender und galanter Gastgeber, aber für jedes Fotosujet steht er nicht zur Verfügung. Obwohl passionierter Töfffahrer und Besitzer einer 1200er-Honda, lehnt er den Vorschlag ab, in einem Seitenwagen-Oldtimer zu posieren: «Dieses Bild würde nicht zu mir passen. Ich bin kein Seitenwagenpilot.» Auch im Schwingen bleibt er seinen Prinzipien treu. Die wachsende Kommerzialisierung gibt zwar auch ihm die Möglichkeit, mit Sponsoren zusammenzuarbeiten, gleichzeitig warnt er aber davor, die Basis der Schwingerfamilie zu vernachlässigen: «Trotz dem gewachsenen Interesse von Medien und Wirtschaft haben sich die Zahlen bei den Jungschwingern und Zuschauern kaum erhöht.»
Der kochende Schwinger
Auch wenn er in dieser Saison bisher nicht immer auf seinem Topniveau schwang, geht Bösch kaum von einem Fest mit leeren Händen nach Hause. Wie bei vielen Schwingern ist sein Daheim eine Art Ehrengalerie. Den schönen Holztisch im Wohnbereich gewann er in diesem Jahr am Appenzeller Kantonalfest, der Steintisch auf der Terrasse stammt vom St. Galler Kantonalen 2008. Dass die Nahrungsaufnahme für einen Schwinger eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, ist ebenfalls sichtbar. Bösch besitzt zwei Grills - einen gasbetriebenen, einen zum Anfeuern. «Dani ist ein hervorragender Koch», sagt Freundin Sandra, «vor allem wenn es um die Fleischzubereitung geht.»
Im Wohnzimmer hängen die 81 gewonnenen Kränze fein säuberlich aufgereiht - und daneben die Schwingerhosen vom Unspunnen. Dies ist im Nationalsport die grösstmögliche Referenz. Nur wer an einem Fest von eidgenössischem Charakter obenauf schwingt, darf die Zwilchhosen behalten. Das Material gehört immer dem Organisator - und bleibt normalerweise in dessen Besitz. Die 17 Muni, die Bösch schon gewonnen hat, existieren dagegen höchstens noch auf Bildern - nicht weil er Metzger ist, sondern weil er sich jeweils für den Geldwert entschieden hat. Indirekt verdankt er auch seine Freundin dem Schwingen.
Daniel Bösch lernte Sandra am Fest in Uzwil kennen. Die attraktive Blondine kam in Begleitung ihres Chefs ans Sägemehl - weil er den Siegermuni spendete. Bösch gewann den Hauptpreis mit Jackpot: zuerst den Muni und später das Herz von Sandra. «Ich hatte von Schwingen keine Ahnung, aber als ich Dani kennenlernte, packte mich das Fieber» erzählt sie. Daniel Bösch ist ein Schwinger, dessen Horizont nicht beim Gabentempel endet. Von seiner Terrasse aus sieht er die ganze Ostschweiz im Panoramaformat - von den Churfirsten über den Säntis bis zum Eingang des Toggenburgs. Seine Leidenschaft fürs Reisen brachte ihn schon zweimal nach Neuseeland. Sein nächstes Ziel liegt auf dieser Seite des Globus - Estavayer-le-Lac am Neuenburgersee. Was er sich für sein viertes Eidgenössisches vorgenommen hat, will er nicht verbindlich beantworten: «Ich gehe am Samstagmorgen in den Ring - und schwinge. Dann sehen wir, was herauskommt.» Bösch lässt lieber Taten als Worte sprechen - und er weiss: An einem Eidgenössischen können auch überraschende Geschichten geschrieben werden. Er wäre bereit, sein Kapitel beizusteuern.