Ein Revoluzzer? Das passt auf den ersten Blick so gar nicht zu Fabian Molina. Vielmehr wirkt er wie Schwiegermamas Liebling. Ein sympathischer junger Mann mit adretter Kleidung (Blazer, schicke Schuhe) und guten Umgangsformen (er bietet Gästen Getränke an, öffnet Frauen die Tür).
Auch während seiner Schulzeit am Gymnasium in Winterthur ist Fabian keiner, der die Lehrer zur Verzweiflung bringt. Er ist Klassensprecher, engagiert sich im Schülerrat. Doch dann, ein Jahr vor der Matur, schmeisst Molina die Schule. «Ich bin mit 16 der SP beigetreten und lernte rasch, selbstständig zu denken. Im Unterricht habe ich mich bevormundet gefühlt.» Seine Eltern seien «mittelmässig begeistert» gewesen, hätten ihm aber vertraut, dass es «gut komme». Molina politisiert weiter, wird Co-Präsident der Zürcher Jungsozialisten. In der Zeit, die bleibt, steckt er seine Nase in Bücher, meldet sich zur Maturaprüfung an – und besteht.
Seit einem halben Jahr ist der 24-jährige Philosophie- und Geschichtsstudent Präsident der Juso und sorgt wie schon seine Vorgänger David Roth und Cédric Wermuth regelmässig für rote Köpfe. Auf Twitter beschimpft er Johann Schneider-Ammann wegen der Steuerhinterziehungsvorwürfe als «Mogelbundesrat», Nationalratspräsident Lustenberger rügt er nach dessen Ja zu einer weicheren Waffenexportregel mit «Ruedi, schäm dich!».
Die heftigsten Reaktionen löst aber Molinas Aufforderung aus, am 1. August wegen der «zunehmenden Militarisierung der Welt» die Friedensfahne zu hissen. «Obwohl ich nie gesagt habe, man solle die Schweizer Fahne zu Hause lassen, erhielt ich an die tausend Mails mit Beschimpfungen und Morddrohungen.» Bereut habe er seine Aussage nicht - im Gegenteil. «Die Reaktionen haben mir bewiesen, das wir wirklich ein Problem mit Nationalismus haben.»
Eine Hassfigur zu sein, damit kann Molina leben. «Es ist meine Rolle, den Leuten auf die Nerven zu gehen», sagt der Hobby-Theaterspieler. Sonntagabends probt er mit seinen Freunden von der Freien Szene Winterthur. Keine Dramen, sondern humorvolle Stücke, Situationskomik. «Das passt zu mir. Wenn ich nicht politisiere, bin ich eigentlich immer am Witzeln.»
In Illnau, wo er mit seiner Schweizer Mutter, seinem chilenischen Vater, zwei älteren Halbbrüdern und einem jüngeren Bruder in einem Haus mit kleinem Garten aufgewachsen ist, politisiert Molina für die SP im Gemeinderat. «Ich fühle mich wohl auf dem Land.» Im gutbürgerlichen Restaurant Löwen gleich um die Ecke grüsst er den Chef mit «Sali Beni», die Männer der Jassrunde nicken ihm zu.
Bei seiner Mutter übernachtet er zweimal die Woche, sonst schläft er bei seiner Freundin in Zürich oder in seiner Dachzimmerwohnung in Ostermundigen BE. «Es hat etwas Anti-Bünzliges, nie genau zu wissen, wo man die Nacht verbringt.»
Spartanisch kommt Molinas Dachzimmer für 500 Franken Monatsmiete daher: Holztisch, Bett, Bügelbrett. «Ja, ich bügle meine Hemden selber», sagt er und lacht. In seinem Ikea-Büchergestell stehen die Werke zu den Hauptströmungen des Marximus («ein bisher ungelesenes Geschenk»), Wallander-Krimis («gut, um abzuschalten») und ein Spanisch-Wörterbuch («ich spreche leider nicht fliessend»).
Seine «gemögige Art» sei es, die Molina für die Bürgerlichen gefährlich mache, sagt SVP-Nationalrat Max Binder, der den Jungpolitiker von zahlreichen Auseinandersetzungen in der Illnauer Stadtregierung kennt. «Er gibt sich zwar volksnah, hat aber völlig weltfremde Ansichten.»
Dabei spricht Binder unter anderem die Juso-Forderung an, dass grosse Unternehmen ihre Mitarbeiter bis zur Hälfte am Unternehmensgewinn beteiligen sollen. Molina, der bis im Frühling bei der Gewerkschaft Unia gearbeitet hat, ist von dieser «Demokratisierung der Wirtschaft» überzeugt. «So organisierte Firmen wären viel bürgernäher.»
Schon Molinas Vater Jorge ist ein aktiver Sozialist. In Chile fertigt der Besitzer einer Druckerei Flugblätter gegen die rechte Militärdiktatur von Augusto Pinochet an. Dafür landet er 13-mal im Gefängnis, wird mehrfach gefoltert. 1982 flieht er in die Schweiz und heiratet Molinas Mutter, eine Physiotherapeutin. Heute leben sie getrennt. «Mein Vater findet toll, was ich mache, auch wenn er sich manchmal beklagt, dass wir uns zu wenig sehen.»
Der Juso-Präsident ist ständig unterwegs. «Eigentlich lebe ich im Zug, wenn ich ihn nicht gerade verpasse.» Er sei nämlich fast immer zu spät, versuche sich aber zu bessern. Vor dem Wahljahr sicher eine gute Idee. «Ich kann mir eine Kandidatur für den Nationalrat in Zukunft vorstellen.» Er wäre nicht der erste Juso-Präsident, der den Sprung nach Bern schafft.