«Meine Unterhosen sind noch im Trockner!», ruft Fabian Molina, 27, aus der Küche. Mitbewohner Leo, 28, wollte gerade in den Keller und dreht lachend um. Die Männer-WG am Helvetiaplatz ist seit einem guten Monat das neue Zuhause von Neo-Nationalrat Molina.
Knarrendes Treppenhaus, Fischgrätenparkett und eine Holzküche, in der – natürlich – Che Guevara von der Wand lacht. «Wir sind schon recht gut eingerichtet», findet Molina. Manches hat auch die Vormieterin dagelassen. Auf einer Tafel in der Küche zum Beispiel den Auftrag «Sexpositionen hinterfragen». Molina lacht. «Das wollte ich eigentlich noch wegmachen.»
Molina hat keine Angst vor Kraftausdrücken
Frech sein macht ihm nichts aus. Als Chef der Jungsozialisten hat Molina SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi ein «Arschloch» genannt, weil dieser sagte, Homosexuelle hätten Hirnprobleme. Und Donald Trump bezeichnete er als «Hassprediger», dessen Einreise in die Schweiz man hätte verhindern sollen.
Doch seine Zeit als Juso-Störenfried ist vorbei. Am 15. März 2018 wird Fabian Molina als SP-Nationalrat vereidigt. Er folgt auf alt Botschafter Tim Guldimann, 67, der sich in Berlin mehr um seine Familie kümmern will.
«So eine Chance gibt es nur einmal im Leben»
Für Molina ist die Distanz vom Zürcher Kantonsrat zur grossen Berner Bühne zwar kleiner – aber doch ein Rollenwechsel. «So habe ich das eigentlich nicht geplant», sagt er. Der Zeitpunkt sei nicht ideal – an der Universität Zürich stünde seine Bachelor-Arbeit in Geschichte an. Aber: «So eine Chance gibt es nur einmal im Leben!»
Sein Mitbewohner wusste nichts von Molinas Mandaten
Unterdessen ist Michele, 29, nach Hause gekommen, Architekt aus Italien. «Ich wusste erst gar nicht, dass Molina Politiker ist», sagt er. «Aber ich finde es toll. Er erzählt mir, was in der Schweiz los ist.» Die drei Jungs sitzen am Küchentisch, wie sie es oft tun, trinken Sagres-Bier und unterhalten sich – wegen Michele – auf Englisch.
Muss Molina immer über Politik reden? Seine Mitbewohner verneinen: «Wir besprechen alles Mögliche.» Und wer putzt? «Alle», sagt Molina. «Keiner!», entgegnet Michele – alle lachen.
«Theater ist ein echter Ausgleich für mich»
Zwei Tage später in einem Proberaum in der Alten Kaserne in Winterthur ZH. Fabian Molina flucht, blökt und kichert wie von Sinnen. Die Theatergruppe Freie Szene Winterthur trifft sich seit sieben Jahren und hat schon «The Importance of Being Earnest» von Oscar Wilde aufgeführt. Jetzt stellen die Freunde verschiedene Filmtitel dar, die das Publikum bei der Aufführung im April erraten soll. Statt sich mit Roger Köppel zu duellieren, gibt Molina voller Inbrunst ein Schaf. «Theater ist ein echter Ausgleich für mich», sagt er.
Politik beherrscht sein Leben schon lange. Fabian Molina wächst in Illnau-Effretikon ZH auf. Ein, wie er selbst sagt, scheues, eher stilles Kind. Seine Mutter ist Physiotherapeutin, engagiert sich gegen Atomkraftwerke und vererbt ihm einen St. Galler Einschlag im Dialekt. Sein Vater ist Sozialist und flüchtet 1982 vor dem Pinochet-Regime in Chile.
Molina hat in der Schule häufig mit Abwesenheit geglänzt
Die Eltern haben «keine Freude», als Molina mit 16 eine Klasse wiederholen muss, weil er ein «furchtbarer Schüler» mit vielen Absenzen ist. Die Vorstellung, sich ein Jahr lang noch mal das Gleiche anzuhören, schreckt ihn derart ab, dass er die Schule schmeisst und sich selbst zur Matura-Prüfung anmeldet. Die Sturheit zahlt sich aus. Und seine Schüchternheit legt er dank dem Besuch einer Theaterwerkstatt ab. «Meine Lehrerin hat mir gesagt, dass wir alle immer irgendeine Rolle spielen», sagt Molina. «Das hilft mir in der Politik enorm.»
Steile politische Karriere
Seither ist er auf der Überholspur: Mit 17 in die Juso; mit 20 in den Gemeinderat; Studium; Job im Callcenter, bei dem er lernt, sich beschimpfen zu lassen; von 23 bis 25 Juso-Chef; dann Kantonsrat; seit einem Jahr wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Hilfswerk Swissaid und nun bald im Nationalrat. Die Eltern sind «ganz stolz», erzählt Molina.
Der Neo-Nationalrat will den EU-Beitritt
Er spricht laut, lacht viel und läuft schnell. So schnell, dass er fast von einem BMW angefahren wird, als er uns in Zürich zu seiner Wohnung führt. Wenn Molina in Fahrt ist, scheint ihn nichts so schnell stoppen zu können. Weder Kritiker wie Ex-SVP-Nationalrat Max Binder – ebenfalls aus Illnau-Effretikon –, der Molina «realitätsfremde Ansichten» und «teilweise lächerliche Forderungen» attestiert. Noch die Komplexität der Probleme, die er lösen will. Molinas Anliegen: EU-Beitritt, Entwicklungszusammenarbeit, Friedenspolitik. «Ich empöre mich immer noch jeden Tag über etwas», sagt er. «Solange das so ist, mache ich weiter.»
Im Theater sitzt sein Text erst kurz vor der Vorstellung
Und wenn der Single doch einmal eine Pause braucht, ist da ja noch das Theater. Er könne «gut schmachten», sagen seine Schauspielerkollegen, und komme auf der Bühne «sympathisch» rüber. «Dafür kann er meist erst als Letzter den Text.» Ob das auch für seine Reden im Nationalrat gilt? Molina: «Was ich sagen will, habe ich aber noch nie vergessen.»