Türkis? Azurblau? Indigo? Kobaltblau? Smaragdgrün? Oder einfach hellblau? Es könnten Stunden verstreichen, wenn man sich an den Stränden von Bora Bora darauf festlegen möchte, welche Farbe das Meer gerade hat - denn es ändert von Minute zu Minute. «Das fasziniert uns jeden Tag aufs Neue.» Fabienne, 35, und Adrian Bratschi, 39, holen ihre Gäste jeweils mit dem Boot vom Flughafen Motu Mute ab. Der Duft der Tiare-Blüte und eben dieses Blau lassen einen die rund 22 Flugstunden im Nu vergessen.
Vor zweieinhalb Jahren sind das Solothurner Model und der Silent-Gliss-Millionenerbe (ein über 55 Jahre altes Berner Familienunternehmen für Vorhangsysteme) auf ihrer Suche nach einem schönen Zuhause zusammen mit ihrer Tochter Lilou, 5, zum ersten Mal nach Bora Bora gekommen - und trotz Rückflugticket über ein Jahr geblieben, um bereits mit dem Bau ihres Hauses zu beginnen. Mitten im Pazifik, im Minimum acht Flugstunden von einem anderen Inselstaat entfernt, wird der objektiv betrachtet grösste Nachteil zum grössten Vorteil: die Distanz zu allem. Gerade deshalb scheint hier alles so intakt. Bora Bora ist der EU angegliedert, und die hohen Preise sorgen dafür, dass nicht allzu viele Touristen Jahr für Jahr hier einfahren. Adrian: «Was uns anfangs Angst machte, war das viele Wasser.» Doch heute ist die Sichtweise eine andere: Wasser verbindet - es trennt nicht. «Und es macht Bora Bora zum sichersten Ort der Welt.»
Ihrem Haus hat die Familie Bratschi den Namen Bora Bora One gegeben. Es steht auf einem 35'000 Quadratmeter grossen Grundstück auf der Insel Motu Piti Aau. Dieses Eiland bietet die schönste Sicht auf die Lagune und den Mont Otemanu. Der Landstreifen der Bratschis führt quer über die ganze Insel - vom Ozean bis zur Lagune. Die Villa ist das grösste Privathaus in Französisch-Polynesien: Sie misst 72 Meter in der Breite und zählt 1000 Quadratmeter Wohnfläche. Sogar der Präsidenten-Palast ist kleiner. Die Einheimischen sprechen vom «Swiss House», und wenn über «Le Billionaire» geredet wird, geht es um Adrian. Fairerweise muss erwähnt werden, dass in der lokalen Währung eine Million umgerechnet 10'000 Schweizer Franken sind.
Der Tag beginnt auf Bora Bora One bei Sonnenaufgang, kurz nach sechs Uhr morgens. Aus der Küche erklingt das Inselradio Cocotier (Kokospalme), Koch Teiva sorgt fürs Frühstück nach Wunsch, Vollzeitgärtner Antoine, Haustechniker Michel und Theo lösen Nachtwächter Nehemia ab, Karin und Vaihere kümmern sich um die Zimmer und den Service, Adrian checkt die nautischen Websites JFWC und NOAA - denn wenn ein Sturm aufzieht, müssen genügend Lebensmittel im Haus sein. Vor allem Milch für Lilou - denn für die Kleine ist kein Taifun und kein Unwetter Grund genug, trockene Cornflakes zu essen. Fabienne beantwortet morgens erste E-Mails, Lilou stapft nach dem Frühstück mit Crocs an den Füssen und Hund Emma zur Seite durch den Sand in ihr Schulzimmer zur Privatlehrerin Maja. Nachmittags fährt die Familie oft gemeinsam eine Runde Jetski oder geht Haie füttern.
Tradition hat bereits das Wochenend-Programm: Samstags steht ein Abstecher ins Dorf Vaitape mit Mittagessen im «Saint James» («unser neuer Bindella») auf dem Programm. Am Sonntagabend kommt jeweils der hauseigene professionelle Pizza-Ofen zum Einsatz.
Auch in der Südsee lief für den grössten Privatinvestor von Bora Bora nichts ohne Baubewilligung: «Wie überall muss man die richtigen Leute einladen. Doch unser Projekt entsprach den Gesetzen, und nach einem Abendessen mit dem Präsidenten und dem Bauminister war alles geregelt.» Fast alles: Um mit dem Boot bis an den eigenen Schiffssteg fahren zu können, musste ein Kanal in den Meeresgrund gegraben werden. Das übernahm Jean-Luc, geboren auf Bora Bora, Vater von 20 Kindern von 17 Frauen. Zwischen fünf und zehn Uhr morgens wurde gebuddelt - niemand sollte es mitbekommen. Mit dem Aushubmaterial aber entstand wie von Geisterhand die kleine vorgelagerte Insel Motu Dudu, die Aktion liess sich kaum noch verheimlichen. Die Busse beläuft sich auf eine Viertelmillion Schweizer Franken.
Ausser Sand und Palmen musste für den Bau des Hauses alles importiert werden: Beton, Zement und Schrauben aus Frankreich, Holz aus Kanada, Steine und 690 Tonnen Marmor aus Spanien, der 600 Kilogramm schwere Holztisch aus Indonesien, das Maharadscha-Bett aus Indien und der Marmor am Pool aus Bali.
Aber wo sollte das Süsswasser herkommen, wo das Abwasser hinfliessen, und wie konnte man Strom erzeugen? Das bereitete anfangs Kopfzerbrechen, aber die Bratschis fanden eine Lösung: Eine Pumpe filtert das Regenwasser, eine eigene Kläranlage reinigt das Abwasser, ein Stromgenerator und Solarpanels erzeugen Strom. Adrian: «Der Bau dieses Hauses war eine echte Herausforderung und sehr zeitintensiv.» Während der vergangenen sechs Monate stand er von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends auf der Baustelle. «Noch heute bin ich alle zwei Stunden mit dem Strom beschäftigt.» Der Running Gag, Adrian habe bei den Solarpanels eine Blondine versteckt, kommt also nicht von ungefähr. Die Kosten für den ganzen Bau und das Land liegen im zweistelligen Millionen-Bereich.
Im eigenen Garten haben Fabienne und Lilou Wassermelonen, Tomaten, Gurken und Radiesli angepflanzt - erste Bananen wachsen auch schon. Feigen, Mangos, Papayas, Zitronen und Brotfrucht spriessen wie Unkraut. Damit Lilou mit Gleichaltrigen in Kontakt kommt, organisiert Fabienne regelmässig Spielnachmittage mit einheimischen Kindern. Neue Spielsachen shoppen geht auf Bora Bora nicht, also spielt Lilou auch mit Muscheln und verbringt den ganzen Tag draussen. «Ausserdem haben wir hier sehr viel Zeit für alles, unsere Tochter lernt, sich selber zu beschäftigen», sagt Fabienne.
Um einem Inselkoller vorzubeugen, hat sich Fabienne vor dem Einzug ins Paradies Folgendes ausbedungen: zwei Besuche pro Jahr in der Schweiz, alle drei Monate einen Ausflug in eine Stadt und die Möglichkeit, eigene Projekte umsetzen zu können. Bereits vor einem Jahr ist ihr Kinderbuch «Lilou und Dudu» erschienen, und seit sechs Monaten gewinnt sie als erste Salzproduzentin von Französisch-Polynesien ihr eigenes handverlesenes Speisesalz. Adrian wiederum hat sich mit dem Volkssport Nummer 1 auf Bora Bora angefreundet: dem Hochseefischen. Beim letzten Profi-Wettkampf unter den lokalen Fischern schaffte es sein Team auf Platz 3.
Wenn sich dann abends bei Sonnenuntergang der Himmel über Bora Bora im Westen orange und im Osten lila färbt - genau, hier gibts den Sonnenuntergang im Doppelpack -, dann stehen die Bratschis wie alle Einheimischen staunend da und geniessen diesen Anblick. Und nach 21 Uhr, wenn auf Bora Bora One die Lichter gelöscht werden, lohnt sich der Blick zum Himmel grad noch mal. Denn auf der entgegengesetzten Erdhalbkugel sieht man zwar dieselben Sternbilder wie in der Schweiz, jedoch auf dem Kopf.