Francine Jordi, 41, hat einfach den Stecker gezogen. Das Brummen des Weinschranks verstummt. Das Geräusch störte die geplante Tonaufnahme. Jetzt guckt Jordi zufrieden. Manuel Gradwohl vom «Vienna House» in Berlin schaut eher besorgt. Ob seine edlen Tropfen im «Skykitchen» (1 Stern im «Guide Michelin», 16 GaultMillau-Punkte), dem Restaurant im 12. Stock des Hotels, das überstehen?
Jordi beruhigt: «Ich habe auch einen Weinschrank zu Hause, den ich problemlos kurz abschalten kann.» Gradwohl ist nicht wohl in seiner Haut, doch er lässt die Sängerin gewähren. «Maximal eine Stunde», ruft er Jordi zu, die wieder hinter den Vorhang schlüpft.
Mal eben kurz ein Lied eingesungen
Es ist Samstagmittag, kurz nach eins. Am Abend glänzt Francine in der ZDF-Livesendung «Willkommen bei Carmen Nebel». Jetzt nimmt sie noch mal eben ein Lied auf – für ein Duett mit Maximilian «Maxi» Arland. «Ein Freundschaftsdienst», sagt sie. Der deutsche Musiker fragte kurzfristig an – und Francine, die den ganzen Oktober auf Promotour für ihr neues Album ist, konnte die Aufnahme in Berlin einschieben. Der Tontechniker, der das Lied «Ein neuer Tag» aufnimmt, ist angetan von Jordis Auftreten gegenüber dem Hotelmanager.
«Mein Weg, ein unbekanntes Ziel. Und jeder Atemzug ein Schrei nach Ewigkeit», singt Jordi hinterm Vorhang. Sie intoniert ihre Textpassagen zwei-, drei-, viermal. «Atemlos, schwindelfrei», werden Jordi und Arland im Duett zu hören sein. Im Moment schmettert Jordi aber allein vor sich hin. 45 Minuten später sind ihre zwei Strophen und der Refrain im Kasten. Francine schiebt sich einen Vollkorn-Cracker in den Mund, eilt zum Lift – und weil ihr Manager Max Kaminski den falschen Weg einschlägt, frotzelt sie lachend: «Ich muss auf dich aufpassen statt du auf mich.»
Selbst ist die Frau
Im Hotelzimmer schnappt sich Jordi ihren kleinen grünen Koffer. «Steiermark» ist darauf zu lesen, dazu sind nackte Männerwadeln in Trachtenschuhen zu sehen. Für ihren Auftritt bei Carmen Nebel hat Jordi alles parat: farbige ärmellose Bluse und schwarze Lederjeans für den roten Teppich, ein schwarzes Mini-Kleid für die Bühne. Ein drittes Outfit in Rot für den Fall, dass sich die Deko mit ihrer bunten Bluse «beisst». Statt ein Taxi ins Velodrom, eine der grössten Veranstaltungshallen Berlins und Schauplatz der Carmen-Nebel-Show, zu nehmen, läuft Francine lieber, sie zieht ihr Rollköfferchen selbst, steigt die Treppe zum S-Bahn-Perron hinab, folgt dort den Hinweistafeln.
«Ja, grüezi, Herr Ötzi!» Jordi hat ihren Kollegen aus Österreich erspäht. «Lass dich küssen», ruft Gerry Friedle, der ohne sein Markenzeichen, die weisse Mütze, vor der Halle sitzt und raucht. Er springt auf, drückt Francine an sich. «Schön, dich zu sehen! Wie gehts dir?» – «Gut gehts mir!»
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Plötzlich ist Jordi weg. Verschwunden. «Wo steckt sie?», fragt Manager Max seine Frau. «Sie ist auf einen Cappuccino in die Kantine», weiss Inge. Jordi gönnt sich etwas Warmes vor der Probe. Als Wachmacher braucht sie das Koffein nicht. Sie konnte heute ausschlafen – bis neun Uhr. «Das erste Mal seit Tagen.»
Sehr spartanisch sieht es in Jordis Künstlergarderobe aus: Pritsche, Kleiderstange, Stuhl, Tisch, Spiegel, zwei Wasserflaschen, ein Körbchen mit Gummibärchen und Schokoriegeln vom Veranstalter. Für ihren TV-Auftritt schminkt sich Jordi selbst. «Das mache ich schon seit einigen Jahren so, ich brauche nicht mehr als eine Stunde, und jetzt, wo ich meine Haare kurz trage, geht es noch schneller.»
Den Schalter wieder angemacht
Auf die Pritsche in ihrer Garderobe zieht sich Jordi kurz vorm Auftritt zurück. Die Stöpsel ihres iPhones im Ohr, hört sie sich ihren «Lovesong» noch mal in aller Ruhe an. Sie wird ihn später auf der Bühne zum Besten geben. Den Auftritt bei Carmen Nebel hat sie akribisch vorbereitet. Erstmals spricht sie im Fernsehen über ihre Krebserkrankung.
Francine Jordi ist zurück – auf der Bühne. Im Leben. Sie steht wieder unter Strom. Wie der Weinschrank, dem sie den Stecker gezogen hat. Sie hat ihn natürlich auch wieder eingesteckt.