September 2018. Francine Jordi, 41, kichert, es sprudelt aus ihr heraus. Ihr Haar trägt sie kurz, dunkelbraun, mit frechen Fransen. Anders als im Juni 2017, als es lang, blond und zu einem braven Bob geschnitten war. Damals traf die Schweizer Illustrierte die Sängerin letztmals zu einem längeren Interview. «Dass sich der Körper ständig verändert, ist eine spannende Reise», sagte die Berner Schlagersängerin damals anlässlich ihres 40. Geburtstags. Vom Knoten, den sie einen Monat zuvor in ihrer rechten Brust entdeckt hatte, sagte sie nichts. Auch nichts von der Diagnose – Brustkrebs.
Francine Jordi, Ihr Körper hat seit unserem letzten Gespräch eine schwierige Reise durchgemacht.
Ja, es war überhaupt das schwierigste Jahr meines Lebens. Als ich im Mai den Knoten spürte, entschied ich sofort, diesen untersuchen zu lassen. Ich ging zur Frauenärztin, die schnell handelte. Zwei Wochen später wurde der Tumor operativ entfernt.
Wie war es, als Sie erfuhren, dass Sie Brustkrebs haben?
Ich hatte einen Schock und war in diesem Moment natürlich traurig. Aber ich bin ein Mensch, der dann wieder aufsteht, sich einen Plan macht und das Positive sieht. Ich bleibe nicht liegen.
Was heisst das konkret?
Ich wusste ziemlich schnell, wohin mein Weg geht. Und diesen wollte ich ohne äussere Einflüsse gehen. Hätte ich meine Erkrankung öffentlich mitgeteilt, wäre meine Konzentration auf die Genesung nicht mehr gewährleistet gewesen. Deshalb habe ich ganz egoistisch entschieden, dass ich weder die Öffentlichkeit noch meine Freunde informiere. Für mich war klar: Das ist mein Weg, meine Gesundheit, jetzt gehts darum, dass es mir so schnell wie möglich besser geht.
Wer stand Ihnen zur Seite?
Meine Eltern, meine beiden Schwestern, mein Manager und die Ärzte waren die Einzigen, die von der Krankheit wussten und mich unglaublich unterstützten.
Theo lag stets neben mir und passte auf mich auf
Wie teilt man eine solche Diagnose den Eltern mit?
Meine Mutter und mein Vater haben schon einige Schicksalsschläge durchgemacht. Sie merkten sehr schnell, dass ich damit umgehen kann. Und sie haben gesehen, wie ich auf dem Boden stehe, wie ich meinen Weg sehe und wie für mich alles ganz klar ist. So wars für sie weniger schwierig. Gemeinsam mit meinen Schwestern haben sie mir das Einkaufen abgenommen, begleiteten mich an Konzerte, gingen wenn nötig mit meinem Hund Theo spazieren. Das alles ist unbezahlbar.
Hat Theo gespürt, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt?
Sofort! Tiere sind diesbezüglich extremer als Menschen. Normalerweise stupst er mich an, um mitzuteilen: Ich will jetzt raus. Das hat er in dieser ganzen Zeit nie gemacht. Er lag stets neben mir und hat auf mich aufgepasst.
Wie gingen Sie die Therapie an?
Von Tag zu Tag. Ich sagte mir: Jetzt fängst du mit der Chemo an und kannst wohl ein halbes Jahr nichts machen. Ich fragte meinen Bauch, ob ich Termine absagen soll – aber das wollte er nicht. Und so gings immer weiter. Ich wusste auch nicht, ob ich noch mit Theo Gassi gehen kann. Und dann war ich happy über jeden Spaziergang mit ihm, über jedes Konzert, das ich machen konnte.
Wie haben Sie sich auf die äusseren Veränderungen vorbereitet?
Sehr gut und genau. Ich habe sehr früh gelernt, mir selber Wimpern zu kleben, und war auch vorbereitet auf die Perücke. Ich wusste, wie ich sie bearbeiten kann, dass man es nicht sieht, und wusste, wie ich mich schminken kann, dass man mir die Chemotherapie nicht ansieht.
Das hört sich sehr rational an.
Ich funktionierte einfach und versuchte, das Beste rauszuholen, wie eh und je. Ich wusste, dass mir die Haare ausfallen würden, aber ich sie nicht büschelweise verlieren möchte. Deshalb liess ich mir die Haare vom Coiffeur abschneiden und lief von da an mit der Perücke rum.
Hatten Sie Nebenwirkungen?
Alles, was man bei einer Chemotherapie haben kann. Meine Kondition liess stark nach, die Muskeln und das Immunsystem waren angeschlagen. Hände und Füsse spürte ich teilweise nicht mehr. Ich verlor manchmal auch den Geschmackssinn. Immer, wenn wieder etwas Neues auftauchte, sprach ich meinen Onkologen darauf an, und er konnte mir erklären, weshalb das so ist. Ansonsten hatte ich meinen Ärzten von Beginn an verboten, mir etwas über Nebenwirkungen zu erzählen.
Wieso?
Intuition. Die Ärzte durften mir nur sagen, was sie gerade tun müssen und wo ich unterschreiben soll. Alles Negative wollte ich nicht in meinem Kopf haben, sondern mich erst damit beschäftigen, wenn ich es selbst wahrnehme. Ich habe auch nie etwas gegoogelt. Vom Haarausfall wusste ich natürlich.
Ihr Haar ist zurück.
Ja, und ich habe mich zum Glück extrem schnell und gut erholt.
Wo ist Ihre Perücke?
Sie ist bei mir daheim versorgt – und ich gebe sie auch nicht weg.
Als ihr Haar nachgewachsen war und sie die Perücke ablegen konnte, informiert Francine Jordi im April 2018 in einer einmaligen Stellungnahme die Öffentlichkeit über ihre Krebserkrankung – redet jedoch erst heute darüber. Am Samstag, 29. September, war sie zudem in der ZDF-Show «Willkommen bei Carmen Nebel» zu Gast – zugunsten der Krebsliga.
Wieso gingen Sie doch noch an die Öffentlichkeit?
Weil ich nicht lügen wollte, wieso ich kurze Haare habe.
Sie hätten es auch verschweigen können, sodass der Brustkrebs nicht ständig Ihr Begleiter ist.
Ich brauche das Thema nicht zu verdrängen. Das gehört zu meinem Leben und ist der Grund, dass ich jetzt der Mensch geworden bin, der ich bin.
Wie haben Sie sich verändert?
Durch die Diagnose bin ich sicher egoistischer geworden, mache viel mehr, was ich möchte und was mir guttut. Ganz bewusst nehme ich mir jetzt mehr Pausen und schiebe dann auch nichts dazwischen! Und ich wurde noch gelassener. Wenn du so etwas durchgemacht hast, kann niemand mehr kommen und dir was vormachen. Doch ich weiss auch, dass ich diesbezüglich niemandem Ratschläge geben werde. Jeder muss für sich selber herausfinden, was gut ist.
Wie hat sich die Beziehung zu Ihrem Körper verändert?
Wir sind jetzt ein Megateam! Ich höre viel mehr auf ihn, darauf, was er mir sagt. Ich gehe nicht mehr bis ans Limit.
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Operation, Chemotherapie und Bestrahlung – während Francine Jordi all dies durchmachte, sagte sie keinen einzigen ihrer Auftritte ab. «Weiter zu arbeiten, bedeutete für mich, dass ich mich nicht fallen lasse», sagt sie. «Ich wusste, wann ich müde sein darf und wann ich wieder abliefern soll. Und irgendwie ging es immer.» Ende 2017 führt sie sogar gemeinsam mit Jörg Pilawa, 53, durch die fünfstündige «Silvestershow» – genauso wie dieses Jahr.
Sie hatten sich dafür entschieden, der Öffentlichkeit nichts zu sagen. Aber auch, sich nicht aus dieser zurückzuziehen. Weshalb?
Die Ärzte sagten mir, dass eine Geheimhaltung schwierig werde für jemanden, der wie ich in der Öffentlichkeit stehe. Mein Wunsch war es aber, es zu probieren. Ich hätte mich jedoch sofort zurückgezogen, wenn die Blutwerte zu schlecht gewesen wären. Aber das ist nie passiert! Ich war selbst erstaunt und vor allem unglaublich dankbar.
Woher schöpften Sie die Kraft?
Ich habe mich stets aufs Positive, nicht auf das Warum konzentriert. Ich fragte mich nicht, wieso es das Leben so will.
Nie?
Nein. Ich war zuerst dankbar, dass der Krebs so früh entdeckt wurde. Dann war ich dankbar, wie mein Körper die Operation, die Vollnarkose gemeistert hat und stand drei Tage später schon wieder auf der Bühne. Dann war ich dankbar, dass ich keine Metastasen, keine Ableger, hatte. Dass mein Körper dies so verkraftet hat, ist unglaublich!
Jeder würde verstehen, wenn Sie wütend aufs Leben wären.
Das war ich nie, dazu liebe ich das Leben zu sehr. Aber klar hatte ich meine Hänger. Und ich kann auch jeden verstehen, der die ganze Zeit einen Hänger hat. Es ist echt kein Spaziergang! Aber ich bin ein positiver Mensch. Das ist auch das, was man mir in den letzten zwanzig Jahren stets vorgeworfen hat – dass ich meine Fröhlichkeit und meine positive Art nur spiele. Aber ich bin eben so!
«Noch lange nicht genug», so der Titel ihres eben erschienenen Albums, das von Lebensfreude geprägt ist. Bereits im Frühling machte Francine Jordi mit ihrem Lied «Da geht noch mehr» klar, dass sie das Leben richtig geniessen möchte – wie kürzlich bei ihrem ersten Paragliding-Flug. «Ich weiss, mein Leben ist mein Traum. Ich habe meine Zeit nicht verschwendet, sondern immer richtig entschieden und mein Bestes gegeben», sagt sie. «Überhaupt kann man im Leben nichts falsch machen, ausser wenn man nichts macht.»
Was war für Sie das Härteste in dieser ganzen Zeit?
Ich hatte keine Schmerzen, und ich fühlte mich wie immer. Aber ich wusste, dass ich meinem Körper eine Chemotherapie zumute, die einfach sehr viel zerstört. Zu wissen, dass ich jetzt meinen Körper unglaublich schwäche, war für mich schwierig zu akzeptieren. Aber dann begann ich, die Chemotherapie als meinen «Freund» anzusehen, und war dankbar, diesen «Freund» zu haben.
In schwierigen Situationen wird klar, wer die wahren Freunde sind.
Von meinen Freunden hat sich keiner abgewendet, obwohl ich mich ein halbes Jahr gänzlich von ihnen zurückzog. Als ich sie dann informierte, sagten alle: Hut ab, Chapeau, genau der richtige Weg, und wir verstehen es voll und ganz. Keiner hatte ein Problem mit meiner Entscheidung.
Hat Ihnen in dieser Zeit ein Lebenspartner gefehlt?
Ich hatte letztes Jahr gerade anderes zu tun! (Lacht.) Ich war so sehr mit mir beschäftigt. Vielleicht wars sogar ein Vorteil, dass ich in dieser Zeit Single war, wer weiss. Wenn jetzt ein Mann kommen sollte, schicke ich ihn nicht weg. Aber eine Beziehung müsste mein jetziges glückliches Leben noch bereichern.
Hatten Sie eigentlich keine Angst?
Die ist ohnehin ein schlechter Ratgeber. Und wovor?
Zum Beispiel vor dem Tod?
Der Brustkrebs wurde bei mir im absoluten Frühstadium entdeckt. Ich habe keine Ableger, und die Heilungschancen waren so gut, dass ich sagen konnte: Ich habe Krebs, aber er ist heilbar.