Tief versunken sitzt er in seinem roten Sofa, in der Hand einen schweren Bildband. «Dîner Républicain» steht auf dem Umschlag, pink eingraviert. Langsam blättert er die Seiten um. «Hier», sagt er: «Schröder.» Er blättert weiter. «Und hier: Steinmeier.»
Seit 45 Jahren veranstaltet Frank A. Meyer, 74, jedes Jahr während des Filmfestivals Locarno ein Treffen mit gewichtigen Persönlichkeiten. Seit 12 Jahren vergibt er dort als Präsident der Stiftung Hans Ringier den «Europapreis für politische Kultur». Zu den Trägern gehören der heutige Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble, der Philosoph Jürgen Habermas und Zentralbank-Präsident Mario Draghi.
Nun hat der Preisverleiher selbst einen Preis bekommen: das Bundesverdienstkreuz am Bande. Verliehen durch den deutschen Bundespräsidenten. «Das hat mich so berührt», sagt Meyer, «dass ich Augenwasser bekommen habe.» Der Ringier-Journalist Frank A.Meyer erhält die Auszeichnung «in Anerkennung der um die Bundesrepublik Deutschland erworbenen besonderen Verdienste», heisst es in der Verleihungsurkunde.
«Mein persönliches Schloss Sanssouci»
Meyer klappt den Bildband zu, erhebt sich etwas schwerfällig aus dem tiefen Sofa. Vor einiger Zeit hatte er einen Bandscheibenvorfall, Schmerzen plagen ihn. Meyer muss zum Physiotherapeuten, sein rituelles Morgenschwimmen um sechs Uhr fällt aus. «Wenn es nicht besser wird, müssen sie eine Spritze setzen», sagt er. Und greift sich in den Nacken. «Hier oben, die Stelle ist heikel. Ich hoffe, es lässt sich vermeiden.»
Seit bald 15 Jahren lebt Meyer in Berlin, seit einigen Jahren in dieser Eigentumswohnung im bürgerlichen Bezirk Charlottenburg. Nur ein paar Schritte entfernt vom berühmten Kurfürstendamm. Oberstes Stockwerk, Vorderhaus plus zwei Seitenflügel, 430 Quadratmeter. Den Preis verrät Meyer nicht.
«Es ist mein persönliches Schloss Sanssouci», sagt er. Ein Flügel für ihn, einer für seine Frau Lilith Frey, mit der er seit 34 Jahren zusammen ist. «Letztlich bin ich ein distanzierter Mensch, deshalb kann ich nicht jeden Morgen mit jemandem im gleichen Badezimmer die Zähne putzen.»
Lebensfreundin und Ehefrau
Lilith Frey ist nicht nur Meyers Ehefrau: «Sie ist meine Lebensfreundin.» Gemeinsamen Nachwuchs hat das Paar keinen. Die beiden erwachsenen Kinder aus einer früheren Beziehung von Lilith Frey nennt Meyer aber ebenfalls «meine Töchter». Und deren Kinder sind Enkel für ihn.
Von seiner Ehefrau wird Meyer schlicht und einfach «Fränki» gerufen. Und obwohl es Meyer ist, der in der Öffentlichkeit steht, gibt zu Hause sie den Ton an. «Fränki, jetzt stellst du dich hierher», sagt Frey beim Fototermin in ihrem Atelier. Und Meyer gehorcht ohne Murren. Später wird er sagen: «Nur unbefreite Männer unterdrücken ihre Frauen.»
Frey: «Manchmal mache ich mir Sorgen um seine Sicherheit»
In Deutschland ist Meyer bekannt als scharfer Kritiker des Islam - und der Einwanderungspolitik von Kanzlerin Angela Merkel. Seine Meinung äussert er unter anderem in Reden, TV-Auftritten und Kolumnen im «SonntagsBlick» und im «Cicero». Und während 36 Jahren empfing er in der Fernsehsendung «Vis-à-vis» auf 3sat Gäste. «Ich nenne Ross und Reiter», sagt Meyer. «Auch wenn ich mich damit nicht immer beliebt mache.»
Wird er in der Zeit islamistischer Anschläge auch selbst zum Ziel? «Manchmal mache ich mir Sorgen um seine Sicherheit», sagt Lilith Frey. Trotzdem steht sein Name auf dem Klingelschild. «Meyer ist ja häufig», sagt sie. Immerhin: Die Wohnungstür ist aus Stahl, gesichert mit einer Alarmanlage.
Meyer liebt die kluge Provokation, die kontroverse Debatte, den kantigen Auftritt. «Ich wollte schon immer Wirkung erzielen», sagt er über sich selbst. Kein Wunder, gibt es viele Geschichten um seinen Einfluss in der Berner Politik. Man schreibt ihm zu, Bundesräte gemacht zu haben. Und er gilt als Graue Eminenz von Ringier.
Umzug nach Berlin öffnete Horizont
Meyer spricht zwar gerne über die alten Zeiten, als er permanent eine Suite im Berner Hotel Bellevue bewohnte. Doch zitieren lassen will er sich damit nicht. «Ich bin nicht mehr der gleiche wie damals. Jetzt geht es um meine Rolle in Deutschland.» Der Umzug nach Berlin habe ihm den Horizont geöffnet. «Wie einem Schweizer Fussballer, der in die Bundesliga wechselt.» Die Frage nach seiner eigenen Eitelkeit nervt ihn: «Die Sache ist mir wichtiger als meine Person. Ich bin ein bescheidener Mensch – schon seit meiner Kindheit.»
Klar ist aber: Sein Einfluss bei Ringier ist noch immer gross. Er selbst formuliert es so: «Es gibt eine Verbundenheit zwischen Verleger Michael Ringier, CEO Marc Walder und mir.» Und was ist mit den vielen Abgesängen, die in den Schweizer Medien schon über ihn veröffentlicht wurden? Meyer lacht zum ersten Mal an diesem Tag laut – trotz schmerzendem Nacken.
Am nächsten Morgen geht es auf eine Tour durch sein Berlin. Zuerst zum Zeitunglesen ins ehrwürdige Café Manzini. Kellner Ahmed Halil begrüsst ihn herzlich, bringt einen Cappuccino ans weiss gedeckte Tischchen. Am liebsten liest Meyer die «Welt»: «Dort schreiben sie auch unbequeme Wahrheiten.» Seit Tagen beherrscht die Debatte um Geheimdienstchef Hans-Georg Maassen die Frontseiten. Und die Frage: Gab es in Chemnitz eine «Hetzjagd auf Ausländer» oder nicht? Nach seiner Einschätzung gefragt, reagiert Meyer wortkarg. «Natürlich nicht», brummt er. «Aber was es gab, ist inakzeptable Gewalt von Nazis.»
Warten, bis sich der Botschafter bei ihm vorstellt
Nach dem Cappuccino geht die Fahrt ins Regierungsviertel, vorbei an der Schweizer Botschaft. Er lobt die kürzlich abgetretene Christine Schraner. Den neuen Botschafter kennt er noch nicht. «Ich freue mich, wenn er sich einmal bei mir vorstellt», meint Meyer.
Dann ein Bild vor dem Reichstagsgebäude, schliesslich ein Spaziergang zum Berliner Ensemble. Dort veranstaltete er während Jahren öffentliche Diskussionen. Kein Zweifel, Frank A. Meyer ist in Berlin angekommen: «Ich habe hier neue Wurzeln geschlagen.» Zurück in die Schweiz will er nicht. Oder erst in zehn Jahren: «Ich hoffe, dass mich meine Energie nicht vor 85 verlässt. Nachher kann ich ja eine Wohnung in der Schweiz kaufen und auf irgendeinen See hinausschauen.»
Befasst er sich mit dem Tod? «Wenn ich am Abend meine Strasse entlanggehe und in die erleuchteten Fenster schaue, weiss ich, dass Menschen hinter diesen Fenstern auch nach mir noch da sein werden», sagt Meyer. «Das tröstet mich.» Doch diese Gedanken verfliegen schnell wieder, bisher zeigt erst seine Bandscheibe Ermüdungserscheinungen. «Ich bin ein Perpetuum mobile», meint Meyer. «Wenn ich mich verausgabe, gibt mir das neue Kraft.»