Seine abgeklärten Voten, der Ernst in seinem Blick waren stets Markenzeichen von Ottmar Hitzfeld. Auch nach dem Rücktritt als Schweizer Natitrainer 2014 und dem Ausstieg bei Sky Sport als TV-Experte vergangenen Sommer hat sich der Süddeutsche nicht zur Stimmungskanone gewandelt. Aber deutlich gelassener und entspannter ist er als «Rentner» geworden.
Vor seinem 70. Geburtstag am 12. Januar empfängt einer der erfolgreichsten Fussballtrainer der Geschichte (deutscher Meister und Champions-League-Gewinner mit Dortmund und Bayern München, WM-Achtelfinalist mit der Schweiz) die Schweizer Illustrierte zum gemütlichen Gespräch am Zweitwohnsitz in Engelberg OW.
2009 durften wir dabei sein, als Sie Ihren 60. mit Beatrix zusammen auf den Malediven feierten. Wohin gehts diesmal, Ottmar Hitzfeld?
Nirgendwohin, wir feiern im Kreis der Familie, mit Geschwistern und Schwiegermutter, in Engelberg oder Lörrach. Ein grosses Fest gab es nur zum 50., als ich bei Bayern unter Vertrag war. Ich finde es undankbar, wenn viele Leute kommen und man hinterher merkt, mit wem man alles gar nicht richtig sprechen konnte.
Runde Geburtstage wecken oft gemischte Gefühle. Bei welchem hat für Sie der Spass aufgehört?
Bei keinem. Mein Motto hiess immer: Ich lebe im Jetzt. Am markantesten war der Einschnitt vielleicht mit 30, weil sich in diesem Alter die aktive Karriere langsam dem Ende zuneigt. Aber mit 40 war ich Jung-Profitrainer, mit 50 bei den Bayern, mit 60 bei der Schweizer Nati. Das waren stets neue, belebende Herausforderungen und eigenständige Lebensabschnitte.
Auch die Zahl 70 schreckt nicht?
Nein. Ich bin nun halt wirklich in Rente, geniesse endlich ein Leben, das selbstbestimmt ist. Das ist für mich neue Lebensqualität. Ich bin allein verantwortlich für meinen Tagesablauf. Und ich habe viel Ruhe, äussere wie innere.
Was Sie jahrelang nicht hatten. Mit gravierenden Folgen für Ihre Gesundheit: Darmdurchbruch, Burnout – wie geht es Ihnen heute?
Besser denn je! Ich fühle mich privilegiert, das in einem Alter sagen zu dürfen, wo bei vielen die Gebrechen beginnen. Ich muss nicht mal viel tun dafür. Zu Hause habe ich einen Fitnessraum, wo ich ein, zwei Stunden die Woche trainiere, aber nie exzessiv. Auch bei der Ernährung muss ich nicht gross Verzicht üben, esse heute einfach nur noch einmal warm pro Tag.
Ich mache nicht mehr, was ich muss, sondern was ich will
Sie haben nun auch die Expertentätigkeit bei Sky beendet. Fehlt Ihnen der Fussball nicht?
Ich gebe ja noch immer recht oft Interviews. Dazu muss ich mich à jour halten, was auf dem Rasen passiert. Aber es ist keine regelmässige Verpflichtung mehr. Wenn ich die Trainer im TV sehe, dann bin ich schon froh, habe ich den Druck, diese Hetze nicht mehr. Nach dem Rücktritt als Schweizer Naticoach 2014 spürte ich noch zwei, drei Jahre lang eine innere Unruhe am Samstag um 15.30 Uhr, der Anpfiffzeit. Selbst auf dem Golfplatz. Heute kann ich das Zuschauen endlich unbelastet geniessen. Es war die goldrichtige Entscheidung, nach der WM 2014 aufzuhören, obwohl das Team da nahe am Höhepunkt war.
Keine Entscheidung in Ihrem Trainerleben, die Sie bereuen?
Nein! Nicht dass ich Real Madrid abgesagt habe, und auch nicht, dass ich 2004 die deutsche Nationalmannschaft nicht übernehmen wollte. Obwohl die Medien grossen Druck auf mich ausübten. Selbst Franz Beckenbauer rief an und forderte mich zur Zusage auf. Als ich ihm sagte, ich hätte nicht die nötige Energie dafür, stattdessen solle doch er es machen, sagte er: «Lieber stürze ich mich vom Balkon, als mir das Trainergeschäft nochmals anzutun.»
Ihnen wäre ja auch eine andere Karriere offengestanden. Auch kein Bedauern, nie im erlernten Beruf des Lehrers gearbeitet zu haben?
Meine Vorstellung war es tatsächlich, nach der Aktivkarriere als Lehrer zu arbeiten, irgendwo in der Umgebung von Lörrach sesshaft zu werden und nicht das Nomadenleben eines Trainers zu leben. Ich habe mich dann 1983, ein halbes Jahr vor Ende meiner Profikarriere in Luzern, beim Schulamt Freiburg im Breisgau beworben, aber da teilte man mir mit, ich müsse nach zehn Jahren Fussballertätigkeit nochmals Prüfungen fürs Lehramt ablegen. Das machte mich sauer, eine Probezeit hätte ich ja akzeptiert. Und so schlug ich dann doch den Weg zum Trainerberuf ein.
Und heute – wie sieht Ihr Alltag als Pensionär aus?
Wie bei den meisten Rentnern wohl. Ich hole morgens Brötchen und Zeitung, lese nach dem Mittagessen ein Buch, gehe im Sommer oft golfen. Generell lese ich sehr viel. Und ich schaue gern Fussballspiele im Fernseher, aber nicht mehr als Videostudium. Und Interviews, die ich gebe, bringen willkommene Abwechslung. Es ist fast langweilig, aber genau das ist Lebensqualität. Ich mache nicht mehr, was ich muss, sondern was ich will.
Wie etwa die «Opa-Einsätze».
Ja, jetzt steht wirklich die Familie im Mittelpunkt, meine Frau, der ich die Zeit zurückgeben kann, auf die sie lange verzichten musste. Die Enkel sind ein Geschenk! Unser Sohn Matthias lebt mit seiner Familie in München. Sie haben zwei Kinder, den dreijährigen Henry und die einjährige Carlotta. Und in den nächsten Tagen wird mit Oscar ein weiterer Junge zur Welt kommen. Ich bin ein sehr begeisterter Grossvater, erkenne erst jetzt die Dimension.
Sehen Sie die Enkel oft?
Wir fliegen alle drei Wochen für zwei, drei Tage nach München und geniessen das sehr. Wenn Henry und Carlotta genug alt sind zum Skifahren, rutsche ich dann mit ihnen vielleicht wieder die Klostermatte hinunter. Das trau ich mir gerade noch zu (lacht).
Ich habe mich schon früher mit dem Tod auseinandergesetzt, aber ohne Angst
Kompensieren Sie auch bei Ihrem Sohn verpasste gemeinsame Zeit?
Ich war als Fussballer wohl mehr zu Hause als andere Väter. Aber klar hatte ich damals den Kopf nicht immer so frei für die Familie wie heute. (Gerade klingelt das Handy, und Hitzfeld begrüsst seinen Sohn strahlend und kumpelhaft mit «Hallo, Dicker!».) Matthias und ich hatten stets ein Super-Verhältnis. Er brachte auch oft seine Freunde zum Spielen zu uns.
Mit dem Alter muss man sich allerdings auch immer häufiger von geliebten Menschen verabschieden, so wie Sie unmittelbar vor dem WM-Achtelfinal 2014 von Ihrem älteren Bruder Manfred. Ist das Thema «Endlichkeit» präsenter?
Eigentlich nicht sehr. Ich habe mich schon früher mit dem Tod auseinandergesetzt, aber ohne Angst. Deshalb ist auch das Altwerden für mich keine Bedrohung. Wenn man das jetzige Leben geniesst, hat man nichts zu bedauern. Dieses Privileg habe ich. Ich hatte stets ein spannendes Leben, kann gelassen alt werden.
Hilft Ihre Religiosität dabei?
Ich bin dankbar und drücke das regelmässig im Gebet aus. Das war schon immer so. Es hilft, ja.
Sie haben finanziell längst ausgesorgt, galten aber stets als sparsamer Mensch, der sein Geld lieber «konservativ» anlegt. Gönnen Sie sich heute eher etwas?
Ich geniesse sicher, dass wir uns einen Lebensstandard erarbeitet haben, bei dem man sich nicht überlegen muss, ob man sich ein Essen auswärts nun leisten kann. Aber ich werde ganz sicher nicht unvernünftig. Wir haben unsere Häuser in Lörrach, Engelberg und München. Ich muss mir keinen Ferrari oder eine Jacht anschaffen, nur weil ichs kann. So bin ich eben nicht aufgewachsen. Aber wohlverstanden: Ich habe nichts dagegen, wenn jemand sich im Alter lang gehegte Träume erfüllt.
Sie hatten auch «wildere» Zeiten. Etwa die durchzockten Nächte zu Luzerner Zeiten. Gibts etwas, worauf Sie rückblickend gern verzichten würden?
Klar würde man heute nicht alles gleich machen, aber was solls? Es bringt doch nichts, sich solche Gedanken zu machen. Zu jener Zeit war es wohl einfach etwas, das Spass gemacht und darum gestimmt hat. Und wir zockten nur im privaten Kreis, nie im Casino. Ich hatte stets viel Glück im Kartenspiel. Heute geniesse ich lieber den gemütlichen Jass mit Freunden und Familie.
Ich habe meine Emotionen besser unter Kontrolle
Und wofür wären Sie gern nochmals ganz jung?
Für nichts! Ich habe mir auch schon überlegt, welche unerfüllten Träume ich noch habe. Doch es will mir auch nichts Verrücktes einfallen. Fallschirm gesprungen bin ich schon, auch mit dem Deltasegler geflogen. Beim Schnorcheln mit der Schweizer Illustrierten vor zehn Jahren hatte ich ja Platzangst. Nein, es gibt nichts. Ich sage ja: Ich bin ein langweiliger Typ! (Lacht.)
Dann verraten Sie uns noch, worin Sie heute eindeutig besser sind als vor dreissig, vierzig Jahren.
Ich habe meine Emotionen besser unter Kontrolle. Heute kann ich Entscheidungen abgeklärter treffen, auf Veränderungen gelassener reagieren. Als Spieler und Trainer war da oft eine gewisse Hektik, starke Emotionen, die ich unter Kontrolle halten musste. Ich rang oft stundenlang um Entscheidungen, auch wenn ich die Antwort innerlich schon gefühlt hatte. Aber ich wollte ganz sicher sein, dass ich richtig entscheide. Das fällt mir jetzt leichter.
Man ist so alt, wie man sich fühlt, heisst es. Wie alt ist Ottmar Hitzfeld heute wirklich?
70! Das ist die Realität, auch wenn ich vielleicht noch etwas sportlicher bin als andere in meinem Alter. Aber da ist keine Angst, nur Dankbarkeit und auch Demut. Ich freue mich auch auf den 71. Geburtstag oder auf den 80. Ja, ich bin ein glücklicher Mensch.