Vier Spiele, vier Siege: Die Schweizer Fussballfrauen sind auf bestem Weg, sich für die WM-Endrunde 2015 in Kanada zu qualifizieren. Es wäre die erste Teilnahme an einem grossen Turnier. Die drei Leistungsträgerinnen Lara Dickenmann, 28 (Mittelfeld), Ramona Bachmann, 23, und Ana Maria Crnogorcevic, 23 (beide Angriff), haben allerdings mit ihren Klubs im Ausland bereits grosse internationale Erfolge gefeiert.
«Schweizer Illustrierte»: Wer von euch weiss jetzt schon, was sie im Juni 2015 machen wird?
Alle drei wie auf Kommando: In Kanada an der Fussball-WM mitspielen!
Lara: Wobei - Schritt für Schritt! Noch sind wir nicht dabei.
Ihr seid aber perfekt auf Kurs, habt auswärts gegen die zwei stärksten Gegnerinnen, Dänemark und Island, gewonnen. So nah dran war die Schweizer Frauennati noch nie an einem grossen Turnier.
Lara: Doch, eigentlich schon. Letztes Jahr wurden wir ebenfalls Gruppensieger, aber da mussten alle Ersten in die Barrage, wo wir auf der Strecke blieben. Wäre der Modus damals schon gewesen wie heute, hätten wir uns qualifiziert. Jetzt sind ja alle Gruppenersten direkt an der Endrunde dabei.
Trotzdem: Ist das die stärkste Frauen-Fussballnati, die die Schweiz jemals hatte?
Ana Maria: Ja, das kann man sicher sagen. Man sieht es daran, dass vielen jungen Spielerinnen zuletzt der Sprung ins Ausland gelungen ist. Etwa 15 von uns spielen in Topligen wie Deutschland oder Schweden.
Seit 2012 ist Martina Voss-Tecklenburg Natitrainerin. Ihr Anteil am Erfolg?
Ramona: Ein riesiger! Sie hat eine ganz neue Mentalität geschaffen. Sie glaubt an uns und zeigt uns das ständig.
Lara: Früher dachten wir oft, wir sind ja nur die kleinen Schweizerinnen. Wir hatten immer schon eine Entschuldigung für den Misserfolg auf Lager. Das hat sie total geändert.
Mit Ulli Stielike leitete Anfang der 90er-Jahre ebenfalls ein Deutscher mit grosser Spielervergangenheit als Natitrainer der Männer den Aufschwung ein. Nur Zufall?
Ana Maria: Kaum. Ich erlebe das auch in Frankfurt. Wir Schweizer machen uns stets etwas kleiner, als wir sind. Die Deutschen stehen halt immer hin und sagen, wir wollen gewinnen, wir werden gewinnen.
Was würde eine WM-Teilnahme für den Schweizer Frauenfussball bewirken?
Ramona: Ich kann mir vorstellen, dass es einen kleinen Frauenfussball-Boom geben würde, wenn uns dann die Medien endlich etwas Beachtung schenken würden.
Was macht man eigentlich in eueren Klubs im Ausland konkret besser als bei uns?
Ana Maria: Es geht nur um Professionalität. Ich habe in Bern eine Sportler-KV-Lehre neben dem Fussball absolviert. Aber es war fast unmöglich, alles unter einen Hut zu bringen. Seit ich vollzeitlich Fussball spiele, kann ich viel gezielter trainieren.
Ramona: Es ist eine Frage des Budgets. In der Schweiz gibt es kaum eine Fussballerin, die als Profi vom Sport leben kann.
Ändert sich das einmal?
Lara: Es ist nicht unmöglich. Wenn sich ein Heusler oder ein Canepa durchringen würden, in ihren Klubs auch auf professionellen Frauenfussball zu setzen und entsprechend ein paar Millionen zu investieren, dann ist auch hier vieles möglich.
Ana Maria: Es müssten nicht einmal ein paar Millionen sein. Bei Frankfurt haben wir ein Budget von rund zwei Millionen Euro.
Lara: Ich bin mir allerdings gar nicht sicher, ob es einen Sinn hätte in der Schweiz. Selbst bei den Männern hat die reiche Schweiz nicht gerade die lukrativste Liga. Unser Markt ist möglicherweise einfach zu klein.
Ihr seid alle drei Champions-League-Finalistinnen, Lara hat sogar zweimal gesiegt. Wenn Shaqiri als Ersatzspieler gewinnt, sind die Zeitungen wochenlang voll. Bei euch ist es eine Randnotiz. Frustrierend?
Lara: Eigentlich nicht. Ich bin froh, nicht täglich in den Medien zu sein. Man zahlt einen hohen Preis im Privatleben für die Popularität.
Ana Maria: Genau. Es würde mir stinken, könnte ich nicht mehr aus dem Haus gehen, ohne unter Dauerbeobachtung zu stehen.
Ramona: Ich werde in Malmö auf der Strasse zwar erkannt, aber höchstens einmal von jungen Fussballerinnen um ein gemeinsames Foto gebeten. Alles noch sehr angenehm.
Gibts eigentlich auch männliche Fussball-Groupies, die euch nachstellen?
Ana Maria: Gibt es, ja. Meistens etwas komische Typen. Eher so ältere Herren. Ich hatte einmal einen, der sprach mich nach dem Match auf Kroatisch an. «Hey, Ana, super gespielt! Gibst du mir deine Handynummer?» Die Woche darauf das gleiche. Hallo? Gehts noch?
Lara: Da gibt es solche, die haben ganze Ordner dabei mit Dossiers über uns Spielerinnen. Es sind aber nicht Hunderte.
Was können Frauen im Fussball besser als Männer?
Ramona: Man kann und soll das nicht vergleichen. Im Tennis oder Skifahren macht das ja auch niemand. Da nimmt man ganz selbstverständlich zur Kenntnis, dass Männer von den körperlichen Voraussetzungen her den Sport anders ausüben. Schneller, kräftiger. Aber technisch und taktisch sind wir auf ihrer Höhe.
Ana Maria: Bei uns Frauen ist die Leidenschaft für das Spiel noch zu erkennen. Es wird nicht simuliert und Theater gespielt. Es geht halt viel weniger ums Geld als bei den Männern.
Ramona: Ich bin überglücklich, dass ich von dem leben kann, was ich am allerliebsten mache. Ich würde auch gratis Fussball spielen. Dass ich aber sogar noch Geld dafür bekomme, ist unbeschreiblich.
Sie können etwas auf die Seite legen?
Ramona: Ja, ein bisschen. Aber ich weiss natürlich, dass ich nach der Karriere weiter arbeiten muss, um mein Leben zu verdienen. Es gibt im Frauenfussball weltweit nur ganz wenige, die ausgesorgt haben.
Lara: Andererseits darf man nicht vergessen, dass wir immer noch mehr verdienen als viele, die irgendwo am Fliessband arbeiten und zu Hause eine Familie ernähren müssen.
Wenns also für den Maserati oder die Rolex nicht reicht, welches sind die Träume, die ihr euch erfüllen könnt?
Ana Maria: So ein Louis-Vuitton-Täschchen ist schon mal schön, oder sagen wir ein Louis-Vuitton-Portemonnaie…
Ramona: Man kann sich im Kleidergeschäft auch mal etwas einpacken lassen, ohne sich fragen zu müssen, ob das jetzt wirklich drinliegt. Und wichtig ist für mich, dass ich mir nach der Saison zur Erholung eine zwei-, dreiwöchige Ferienreise gönnen kann.
Lara: Wobei man sich schon an den Kopf greift, wenn man liest, dass Johan Djourou eine Uhr im Wert von 100'000 Franken geklaut wurde. Zeigt die denn eine genauere Zeit an, oder was?
Im Beachvolleyball oder in der Leichtathletik reagiert man nach dem Motto «Sex sells» auf die mangelnde Wertschätzung im Vergleich zu den Männern. Könnte das dem Frauenfussball ebenfalls helfen?
Ana Maria: Ich glaube nicht. Vielleicht könnte es für eine einzelne Spielerin interessant sein und ihr Werbegeld einbringen, aber dem Frauenfussball insgesamt hilft es nicht.
Ana Maria: Es gab vor der letzten WM ein Shooting mit einigen deutschen Nachwuchsspielerinnen im «Playboy». Die haben ja dafür vielleicht Geld bekommen.
Ramona: (lacht) Wirklich? Okay, dass muss jede selber wissen.
Achtet ihr trotzdem darauf, dass ihr gut ausseht, wenn ihr auf den Platz geht? Schminkt ihr euch vor dem Spiel?
Ramona: Ein wenig, etwas Eyeliner oder so.
Ana Maria: Oder die Fingernägel werden mal passend zum Trikot lackiert. Aber Make-up bringt gar nichts, wenn man so schwitzt.
Lara: Es regt mich allerdings schon auf, wenn ich Fotos beim Spielen von mir anschaue und finde, dass ich unvorteilhaft aussehe.
Ramona: Die Haare, die sind wichtig. Der Haarspray geht schon mal rum.
Ana Maria: Wobei man sich ja sowieso einen Rossschwanz bindet.
Zurück zum Thema Schweizer Nati: Wo ist die Limite für dieses Team?
Ana Maria: Schwer einzuschätzen. Wir haben auf jeden Fall noch viel Luft gegen oben.
Lara: Wir sind sicher noch nicht so weit, dass wir jetzt schon selbstverständlich von Kanada 2015 sprechen dürfen. Bisher brillierten wir oft gegen die starken Gegner, enttäuschten aber gegen schwächere Teams. Wenn wir uns nicht in jedem Match hundertprozentig konzentrieren, drohen noch immer Rückschläge. Wir haben aber unsere Konstanz im vergangenen Jahr erheblich gesteigert.
Ana Maria: Es gibt sicher noch Nationen, die derzeit für uns ausser Reichweite liegen: Deutschland, USA, Schweden, Japan, Frankreich, vielleicht auch Kanada.
Lara: Diese Länder haben sich aber ihren Status auch erarbeitet. Da hinken wir halt noch fünf, sechs Jahre hinterher.
Heisst das, die Schweiz könnte in fünf Jahren ebenfalls zur Teppichetage gehören?
Ramona: Die Liga kaum, aber die Nati könnte in dieser Zeit schon aufschliessen.
Ana Maria: Unser grosser Vorteil ist, dass wir eine sehr junge Nationalmannschaft haben. Keine ist über 30, wir haben viele, die so um die 23 sind, einige gar noch unter 20. Die können sich weiterentwickeln. Wenn wir so zusammenbleiben…
Ramona: Wir sind ja auch schon ziemlich lange so zusammen, kennen uns sehr genau.
Seid ihr sogar ein Team von Freundinnen?
Lara: Ja. Und das ist nicht selbstverständlich. Wir freuen uns jedes Mal auf die Nati-Zusammenzüge.
Ana Maria: Wir stehen uns wirklich nahe. Und dazu gehört der Trainerstaff, mit dem wir uns sehr gut verstehen und ergänzen.
Kommen wir zum Schluss noch mal auf die Einstiegsfrage zurück. Wo ihr in einem Jahr seid, davon habt ihr alle genaue Vorstellungen. Könnt ihr euch auch vorstellen, wo ihr in 20 Jahren seid?
Ramona: Wir treffen uns alle wieder, unsere Kinder spielen nebenan miteinander… (lacht) Im Ernst, so weit habe ich noch nie vorausgedacht, aber ich sehe mich schon als Mutter mit einer Familie. Das kann in Schweden sein oder in der Schweiz. Beruflich könnte ich mir vorstellen, weiterhin etwas mit Fussball zu machen, so in der Art wie in unserem Ausbildungszentrum in Huttwil.
Ana Maria: Wie alt bin ich dann? 43? Jesses! Ich hoffe schon auch, dass ich dann eine Familie habe. Und nach der Karriere würde ich gern die Polizeischule absolvieren.
Lara: Klar träume ich von einer Familie. Was beruflich sein wird, weiss ich nicht. Wieder ein Studium aufzunehmen, wäre eine Option. Politologie etwa. Und ich würde gern noch eine neue Sprache lernen. Aber vorerst zählt für uns alle nur der nächste Match.